KBV – Keine besonderen Vorkommnisse

Jürgen Vogel, Serkan Kaya, Annette Frier, Lutz Heineking jr. Warten auf den Schuss

Foto: RTL+ / Frank Dicks
Foto Tilmann P. Gangloff

Ähnlich wie die RBB-Serie „Warten auf’n Bus“ besteht „KBV – Keine besonderen Vorkommnisse“ (Warner Bros., eitelsonnenschein) fast ausschließlich aus Dialogszenen. Hier klingen die Gespräche allerdings, als hätte Quentin Tarantino ein Drehbuch für die Polizeiserie „The Wire“ geschrieben: Die absurden Anekdoten und aberwitzigen Geschichten erinnern lebhaft an „Reservoir Dogs“ oder „Pulp Fiction“. Das Szenario der für die RTL-Streamingplattform TV Now entstandenen Serie ist dagegen denkbar schlicht: Zwei Polizisten observieren ein Lagerhaus, in dem zwei Gangster auf eine Drogenlieferung warten. Weil auch die Ganoven die Zeit tot quatschen, kommt es hier wie dort zu witzigen Wortwechseln. Sehenswert sind die von Lutz Heineking, jr. inszenierten Episoden schon allein wegen Jürgen Vogel, aber auch der Rest des Ensembles hat großen Anteil an der Kurzweil.

Zwei Männer schlagen an einer Bushaltestelle die Zeit tot, indem sie über Gott und die Welt plaudern: Das ist der Kern der achtteiligen RBB-Serie „Warten auf’n Bus“ (2020). Zwischendurch haben die Herren zwar auch mal eine Auseinandersetzung mit Neonazis, aber der Titel „KBV – Keine Besonderen Vorkommnisse“ hätte durchaus ebenfalls gepasst. So heißt eine sechsteilige Serie, die im Grunde dem gleichen Prinzip folgt. Im Mittelpunkt der jeweils rund 25 Minuten langen Episoden stehen zwei Polizisten, die das tun, was im Krimi sonst stets ausgespart wird: Sie warten wie Läufer auf den Startschuss. Weil die Hamburger Polizei mit einer großen Rauschgiftlieferung rechnet, observieren Gilles (Jürgen Vogel) und Samuel (Serkan Kaya) nachts ein Lagerhaus am Hafen. Die beiden Männer sind nicht nur Kollegen, sondern auch Partner, weshalb ihre Gespräche sehr private Themen streifen.

KBV – Keine besonderen VorkommnisseFoto: RTL / Frank Dicks
Blonder als die Polizei erlaubt. Danni (Meike Jüttendonk) & Carola (Annette Frier)

Anders als „Warten auf’n Bus“ konzentriert sich „KBV“ aber nicht ausschließlich auf die beiden Hauptfiguren. Es gibt zwei weitere Paare, die ebenfalls nicht viel zu tun haben: Im Lagerhaus warten die Gangster Maurizio und Bernhard (Denis Moschitto, Rocko Schamoni) auf die Lieferung, und in der Leitstelle nehmen die Polizistinnen Carola und Danni (Annette Frier, Maike Jüttendonk) die regelmäßigen „KBV“-Meldungen von Gilles und Samuel entgegen. Deren traute Zweisamkeit wird immer wieder mal akustisch vom übereifrigen Hafennachtwächter (Daniel Zillmann) gestört, dessen Funksprüche stets mit der gleichen Frage beginnen („Jungs, seid ihr noch da?“). Ähnlich wie in Oliver Bukowskis Drehbüchern zur RBB-Serie verhindern gelegentliche Zwischenfälle und amüsante Gastauftritte, dass der Redefluss ermüdend wird: Die Polizisten bekommen Besuch von einer Zeugin (Andrea Sawatzki), die sie hartnäckig für eine Prostituierte halten, weil eine Controllerin ihrer Ansicht nach so was Ähnliches wie eine Domina ist, und in der Zentrale sorgt Carolas heftig pubertierender Sohn (Carl Josef Statnik) für allerlei Ärger. Sehr witzig ist auch die Stippvisite eines Interpol-Kollegen (Kida Khodr Ramadan), der schon nach kurzer Zeit extrem von Gilles’ Redefluss genervt ist. Samuel muss sich derweil dafür verantworten, dass er auf einen der beiden Ganoven geschossen hat, und erzählt einer vermeintlichen Psychologin (Christina Große) seine komplette Lebensgeschichte; dabei soll die Frau bloß seine Aussage aufnehmen.

„KBV“ basiert auf der australischen Serie „No Activity“ (2015/2016) und ist zunächst nur auf dem RTL-Streamingdienst TV Now zu sehen. Ob sie auch ins Fernsehen kommt, ist noch offen. Dafür steht bereits fest, dass es eine Fortsetzung geben wird, und das ist auch gut so: weil es ein großes Vergnügen ist, dem Ensemble zuzuschauen und vor allem zuzuhören, selbst wenn die Dialoge nicht ganz die Qualität der Wortwechsel haben, die sich Bukowski für „Warten auf’n Bus“ ausgedacht hat. Gerade die Gespräche der beiden Frauen klingen, als seien originelle Formulierungen mitunter wichtiger als der Inhalt gewesen. Der Rest wirkt jedoch, als habe der frühe Quentin Tarantino ein Drehbuch für die US-Cop-Serie „The Wire“ geschrieben: Wenn Polizisten und Gangster tiefschürfend über Nichtigkeiten fachsimpeln oder absurde Anekdoten austauschen, erinnert das lebhaft an die Dialoge aus „Reservoir Dogs“ oder „Pulp Fiction“ (1992/94). Dazu passen auch nicht ganz jugendfreie Erörterungen, die erst dann richtig witzig werden, wenn die Damen in der Zentrale unfreiwillige Zeuginnen etwa eines Gesprächs über orale Befriedigung werden. Damit nicht in Vergessenheit gerät, dass die Männer in der Lagerhalle die Bösen sind, kommt es unvermittelt zu einem Gewaltausbruch: Weil der durch Samuels Kugel verletzte Bernhard vorübergehend ausfällt, bekommt Maurizio Gesellschaft vom Neffen (Rauand Taleb) des Drogenbosses. Als der großmäulige junge Mann den abwesenden Bernhard beleidigt, hat das Warten für ihn ein jähes Ende.

KBV – Keine besonderen VorkommnisseFoto: RTL / Frank Dicks
Gutes Essen, Spitzenfrisur und auch sonst immer stilsicher: Jürgen Vogel als Gilles

Soundtrack: Kyrre Kvam („I Didn’t Jump“), Hans Albers („La Paloma“), Freddy Quinn („Du bist die Liebe“, „Aloa Oe“, „Auf der Reepberbahn“, „Allein wie Du“)

Kreativer Kopf hinter der Serie ist Lutz Heineking, jr. („Das Institut – Oase des Scheiterns“). Er hat zuletzt mit Lavinia Wilson fürs ZDF die kurzweilige Corona-Webserie „Drinnen – Im Internet sind alle gleich“ und für TNT-Comedy „Andere Eltern“ (2019) gedreht. In der TNT-Mockumentary spielt Wilson eine Yoga-Lehrerin, die mit Gleichgesinnten eine eigene Kita eröffnen will. Der Produktionsaufwand der drei Serien war vergleichsweise überschaubar, weil alle drei vor allem von Dialog geprägt sind. In „KBV“ gibt es gelegentliche Zwischenspiele mit Hafenimpressionen in satten Nachtfarben, aber ansonsten wird ausschließlich geredet, was dank der Mitwirkenden, den aberwitzigen Geschichten sowie Drehbucheinfällen wie einem kurzerhand ins Netz gestellten Gesangsvideo von Gilles jedoch ausgesprochen kurzweilig ist; außerdem ist „KBV“ schon allein wegen Jürgen Vogel sehenswert. Amüsant sind auch die kleinen Ausstattungs- und Kostümideen. Die Kleidung der Polizisten wirkt sehr gestrig; die geschmacklich recht fragwürdigen Krawatten zum Beispiel sehen stark nach Neunzigern aus. Vogels Perücke erinnert lebhaft an die Frisur von John Cazale in Sidney Lumets Bankraubdrama „Hundstage“ (1975), und mit ein bisschen Fantasie ähnelt der Haarschnitt von Serkan Kaya dem damaligen Wuschelkopf von Al Pacino. In der Auftaktfolge hat Gilles auf dem Weg zum Einsatzort einen ausgestopften Albinopfau vom Sperrmüll mitgenommen, weil sie damit seiner Ansicht nach weniger auffallen. In der letzten Folge haben die Polizisten eine Espressomaschine dabei, und da Kaffee selbstverständlich am besten schmeckt, wenn die Bohnen frisch gemahlen sind, kommt es prompt zu einer fatalen Pflichtvernachlässigung.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Serie & Mehrteiler

RTL

Mit Jürgen Vogel, Serkan Kaya, Annette Frier, Maike Jüttendonk, Denis Moschitto, Rocko Schamoni, Rauand Taleb, Daniel Zillmann, Carl Josef Statnik. Gäste: Andrea Sawatzki, Kida Khodr Ramadan, Christina Große

Kamera: Philipp Pfeiffer, Matthias Schellenberg

Szenenbild: Debbie Holler, Andrea Weitz

Kostüm: Marion Boegel

Schnitt: Ole Heller, Ivan Molares, jr.

Musik: Kyrre Kvam

Redaktion: Nadja Malkewitz

Produktionsfirma: Warner Bros. ITVP Deutschland, eitelsonnenschein

Produktion: Lutz Heineking jr., Verena Monssen, Bernd von Fehrn

Drehbuch: Johannes Boss, Mark Werner, Marko Lucht, Lutz Heineking jr. – Vorlage: Trent O’Donnell („No Activity”)

Regie: Lutz Heineking, jr.

EA: 25.02.2021 10:00 Uhr | RTL+

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach