„Ein Liebesfilm für alle, die keine Liebesfilme mögen“: Selten traf ein Werbeslogan die Atmosphäre eines Films so gut wie dieser. Die Figuren kommen aus dem Nichts. Sie haben keine Vergangenheit, und ihre Zukunft bleibt offen; sie sind einfach da. Was ihnen wirklich wichtig ist, passt in eine Tasche. Sie sind unbehaust, selbst wenn sie eine vorübergehende Bleibe haben. Kein Wunder, dass „Katze im Sack“ etwas Unwirkliches hat. Keine der Figuren ist in der Lage, zu ihren Gefühlen zu stehen. Gleichzeitig rührendes wie auch verzweifeltes Sinnbild für diese emotionale Verkrüppelung ist die Beziehung zwischen Kellnerin Doris (Jule Böwe) und dem deutlich älteren Brockmann (Walter Kreye): Nähe können sie nur über Distanz herstellen. In der traurigsten Szene des Films streichelt sich Doris für Brockmann. Sie steht im Hinterhof der Kneipe, er betrachtet sie hinter Gittern durchs gekippte Klofenster. Später gibt sich Doris einem Aufreißer in einer Seitenstraße hin; anschließend beschimpft und schlägt sie ihn. Sex gibt es in der Welt dieser kleinen Kino-Koproduktion nur ohne Liebe.
Seriöser Weise ist man vorsichtig mit Superlativen, die ebenso schnell wieder vergessen werden, wie sie vergeben wurden. In diesem Fall aber gibt’s das Prädikat schwarz auf weiß: „Katze im Sack“ ist zum besten Nachwuchsfilm 2004 gekürt und mit dem „First Steps Award“ ausgezeichnet worden. Es ist der erste Film von Florian Schwarz, der damit seinen Abschluss an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg gemacht hat. Das mag man kaum glauben: Diese Reise durch die Nacht ist von eindrucksvoller Stilsicherheit. Das gilt vor allem für die Führung der Darsteller. Kreye zum Beispiel, ein famoser Schauspieler, der sich zu oft an zweitklassige Fernsehfilme verschwendet, darf hier endlich noch mal zeigen, was er drauf hat. Auch Jule Böwe als urbanes Treibgut wird man so schnell nicht vergessen.
Doch ein Ereignis ist die Leistung von Christoph Bach („Detroit“). Er spielt Karl, die Figur im Zentrum der Geschichte; ein Mann, der plötzlich am Straßenrand steht. Das Drehbuch von Michael Proehl lässt ihm sein Geheimnis. Zwei oder drei Dinge in der Reisetasche, die ihm später prompt von Doris geklaut werden, deuten auf biografische Unebenheiten hin, werden aber nicht weiter erörtert. Als er Doris im Zug kennen lernt, sind beide widerwillig fasziniert voneinander, bleiben aber kühl. Trotzdem folgt Karl einer spontanen Regung, steigt wie Doris in Leipzig aus und besucht am Abend die Karaoke-Bar, in der sie arbeitet und in der Brockmann einen schrägen, aber rührenden Blues singt.
Ohnehin spielt die Musik neben dem unwirtlichen Leipzig und den drei Darstellern die fünfte Hauptrolle in dieser Geschichte. Den Songs vor allem von „Slut“ und von „2Raumwohnung“ verdankt der Film einen Großteil seiner Atmosphäre. Beim Max-Ophüls-Festival wurde Proehls Drehbuch, aber auch Komponist Fabian Römer ausgezeichnet (ein Soundtrack wird bei Normal-Records erscheinen). Gemeinsam mit Kameramann Philipp Sichler brauchte Schwarz seinen Bildern praktisch nur noch jede Behaglichkeit austreiben. Trotzdem ist „Katze im Sack“ nicht deprimierend. Natürlich muss man sich auf die etwas spröde Erzählweise einlassen, doch schließlich manövrieren Schwarz und Proehl ihr widerwilliges Liebespaar sogar zu einem fast schon versöhnlichen Schluss. Auch der ist zwar kein Versprechen für ein Happy End, doch allein die Aussicht auf Aufrichtigkeit ist in dieser trostlosen Endzeit-Stimmung mehr, als die Figuren erwarten durften. (Text-Stand: 14.4.2005)