„Zimmer mit Meerblick“ ist als Titel zwar auch nicht gerade originell, aber immer noch besser als „Heiratsschwindler küsst man nicht“. Das ist zumindest die Kategorie, in die sich diese Dramedy aus der „Katie Fforde“-Reihe des ZDF einsortieren lässt: Die New Yorker Schulleiterin Julia (Catherine Bode) hat zum ersten Mal in ihrem Erwachsenenleben etwas Verrücktes gemacht. Julias Verlobter John hat auf einer Insel vor New England das Haus gefunden, von dem sie schon seit ihrer Kindheit träumt; inklusive einer roten Eingangstür, hinter der das Glück auf sie wartet. Es gibt noch andere Interessenten, das Paar muss daher umgehend eine stattliche Anzahlung auf das knapp eine Million Dollar teure Domizil leisten. Mutter Carla (Beatrice Richter) steuert ihre Altersvorsorge bei, sodass Julia ihrem Verlobten 350.000 Dollar überweisen kann. Als sie kurz drauf voller Vorfreude zum neuen Eigenheim reist, fällt sie aus allen Wolken: Fisherman’s Cove auf Rock Island entpuppt sich als heruntergekommenes Bed & Breakfast, betrieben von Rick Seymour (Thomas Unger), einem missmutigen Einsiedler; von John oder dem gemeinsamen Traumhaus kein Spur. Julia ist überzeugt, vor dem falschen Haus oder auf dem falschen Eiland zu stehen, aber die Nachforschungen von Inselpolizistin Molly Pepper (Petra Kleinert) lassen keinen Zweifel: Ausgerechnet die perfektionistische Schulleiterin ist auf einen Heiratsschwindler reingefallen.
Die ZDF-Seite zu „Zimmer mit Meerblick“ zeigt als erstes ein inniges Foto von Catherine Bode und Thomas Unger; es ist also klar, dass Julia rasch Ersatz für den betrügerischen John findet. Außerdem entspricht das Paar einer Konstellation, die schon vor knapp sechzig Jahren in dem Klassiker „African Queen“ (1951, mit Humphrey Bogart und Katherine Hepburn) und seither in vielen Filmen dieser Art funktioniert hat: Gebildete Frau aus der Stadt trifft ungehobelten Naturburschen. Unger macht sich auch recht gut als wortkarger und etwas verschrobener Eigenbrötler, selbst wenn sich Julia zu Recht darüber wundert, dass ein Misanthrop ausgerechnet in der Gastronomie tätig ist. Astrid Ruppert hat sich einige Szenen für das Paar ausgedacht, die dank der Umsetzung durch den „Katie Fforde“-Routinier Helmut Metzger und dem sparsamen Spiel der beiden Hauptdarsteller sehr amüsant sind: Sie bestellt Chardonnay, er stellt ihr ein Bier hin. Die Geschichten der früheren Degeto-Redakteurin Ruppert, zuletzt unter anderem „Zweibettzimmer“ (2017), sind meist vergnüglich und manchmal auch mehr als das; „Obendrüber, da schneit es“ (2012), ihr Debütdrehbuch, war eine besinnliche Tragikomödie über die Einsamkeit des Großstädters zur Weihnachtszeit. Gerade ihre „Pilcher“-Episoden hatten aber auch ein unübersehbares Manko: „Wie von einem anderen Stern“ (2017) erzählte zwar eine schöne Liebesgeschichte, steckt aber voller ärgerlicher Klischeefiguren und war erwartbar bis ins Detail; gleiches galt für „Nanny verzweifelt gesucht“ (2018). Einen ähnlichen Effekt gibt es bei „Zimmer mit Meerblick“: Ein Blick in das Gesicht von Julias Verlobtem (Jeremy King) genügt, und die Zielgruppe weiß sofort, dass der Mann ein Betrüger ist. Das ist ähnlich unsubtil wie der Auftakt des Films, als Julia das Lenin-Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ zitieren muss, um zweifelsfrei zu verdeutlichen, dass sie nichts dem Zufall überlässt. Auch deshalb sind die lakonischen Szenen umso besser; gerade Petra Kleinert muss als tiefenentspannte Provinzpolizistin, die gleichzeitig das Postamt und örtlichen Lebensmittelladen führt, nicht viele Worte machen.
Zum Ausgleich gibt es zwei beinahe überraschende Handlungswendungen, auch wenn Buch und Regie schon früh andeuten, dass Rick dem Schwindler nähersteht, als ihm lieb ist; es ist natürlich kein Zufall, dass John Name und Adresse des Bed & Breakfast verwendet hat. Nicht unbedingt vorherzusehen ist allerdings ein zweiter Einfall: Als Mutter Carla samt zweiter Tochter (Merle Collet) kurzfristig auf die Insel kommt, bittet Julia den ruppigen Rick, vorübergehend in die Rolle ihres Verlobten zu schlüpfen; prompt offenbart der Miesepeter ganz neue Seiten, die nicht nur Nellie und Carla sehr ansprechend finden. Auch das hatte sich schon angedeutet, als sich Ricks verknitterte Züge beim Probieren von Julias Gazpacho wie durch ein Wunder glätten: Die Lehrerin nervt ihn zwar mit ungebetenen Ratschlägen, bringt die Pension aber auf Vordermann und entpuppt sich als begnadete Köchin. Unterm Strich ist der Film also genauso gefällig wie die Musik (Jens Fischer), die mit akustischer Gitarre, Piano und Geige für eine angenehme Stimmung sorgt. Weniger gelungen ist die Synchronisation, weil sich die deutschen Stimmen mit ihrer typischen Sprachmelodie hörbar von der Individualität der Schauspieler unterscheiden. Dass Regisseur Metzger jeden Handlungstag mit allerdings wunderschön anzuschauenden Sonnenuntergängen beschließt, spricht auch nicht gerade für Einfallsreichtum. (Text-Stand: 22.10.2018)