Wenn nichts mehr ist wie vorher: Nine-Eleven
Jungjournalistin Lucy Westfield soll für ihr New Yorker Blatt eine Aufmacherstory zum Jahrestag des 11. September 2001 schreiben. Eine emotionale Geschichte über einen der Helden von damals soll es werden. Der alte Mann, der erzählt, und die junge Frau, die zuhört. Dafür fährt Lucy in ihre alte Heimat. Dort wohnt der pensionierte Feuerwehrmann Andrew, heute Kneipier und vom Staub in seinen Lungen gezeichnet, der mit dem „Silver Star“, einer der höchsten Auszeichnungen des Landes, geehrt werden soll. Doch er weigert sich, über die Ereignisse von damals zu sprechen. Nicht einmal den „Silver Star“ will er annehmen. Das schreit für die Blattmacher des Big Apple umso mehr nach einer Story. Für Lucy hingegen beginnt eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Schließlich kam auch ihr älterer Bruder Finn bei dem Anschlag auf das World Trade Center ums Leben. Nach Nine-Eleven war also auch für die Westfields nichts mehr so, wie es vorher war. Aber was wäre, wenn nun das neue Bild der Wirklichkeit gar nicht der Wahrheit entspräche – und Lucys Bruder noch leben würde?
Wenn die Rührung zum Maß aller Dinge wird
Dass Themen wie Krebs, Mobbing oder die New Yorker Terroranschläge vom 11. September, integriert in die Melodramen aus der Katie-Fforde-Reihe, die Filme maßgeblich aufwerten – das mag die Logik der Macher sein. Die ultimative Botschaft der von Großbritannien in die USA verlegten Geschichten ist und bleibt aber ganz der Wirkung der Filme verpflichtet: Gefühl ist die Message. Und die Rührung, das Mitfühlen sind das Maß der Dinge. Wenn dazu noch die Ästhetik stimmt – umso besser. Die ZDF-Reihe, die sich stets bewegt zwischen weiblicher Selbstfindung & emotionalem Glücksversprechen, zwischen Zwängen des Berufs & Patterns der Liebe, zwischen dramatischem Konflikt & romantischer Begegnung, hat etwas von einem hübsch verpackten Präsent, dessen Inhalt nicht das hält, was die Verpackung verspricht. Also sollte man vielleicht gar nicht erst auspacken (sprich: thematisch allzu viel hineininterpretieren), sondern in der Verpackung den „Sinn“ dieser Filme sehen, der umso wertvoller ist, je origineller & attraktiver sich jene sinnliche Hülle darstellt. Eine Möglichkeit, die unverkennbare Schablonenhaftigkeit von Dramaturgie und Story vergessen zu machen, ist der ästhetische Eigen-Sinn, den die Figuren ins Spiel bringen können. Wenn sie es schaffen, dass sich beim Zuschauer Gefühle vor die stereotype Geschichte schieben, wenn es ihnen gelingt, am Kopf des Zuschauers vorbei dessen Sonnengeflecht zu streicheln, ist man bereit, das böse Wort Kitsch aus seinem Wortschatz – jedenfalls für diesen Film – zu streichen.
Gleich dreifach „attraktiv“: Oona Devi Liebich
Es gibt fotogene Gesichter. Es gibt filmogene Gesichter, die vor allem in der (emotionalen) Bewegung faszinieren. Und es gibt Gesichter, die tiefe Gefühle im Gegenüber hervorrufen können, weil sie selbst viel von sich preiszugeben scheinen. Vor allem Schauspieler, die im „Herzkino“ reüssieren wollen, müssen sich besonders auf Letzteres verstehen. Oona Devi Liebich („Paule und Julia“) erfüllt gleich alle drei Tendenzen in Sachen narrativ-medialer Attraktivität. Darüber hinaus ist ihr die Geschichte von „Wie Feuer und Wasser“, von jener leicht verunsicherten und doch modernen, selbstbewussten jungen Frau ins Gesicht und auf den Leib geschrieben. Ihre Lucy bewegt sich ständig im Zustand des Zweifelns: Wird sie eine gute Story schreiben können? Sollte sie den alten Feuerwehrmann nicht besser in Ruhe lassen? Sollte sie nicht besser – auch im eigenen Interesse – Familiengeheimnisse Familiengeheimnisse sein lassen? Diese grundlegenden Zweifel, bei fast allem, was diese Figur tut, durchzieht Liebichs Körpersprache. Ihr dezentes Lächeln untermauert und modifiziert gleichzeitig ihr Verhalten. Selten empfindet man eine Hauptdarstellerin im „Herzkino“ so stimmig und passend besetzt in ihrer Rolle wie hier. Es ist viel mehr als das klassisch hübsche Aussehen, das der 30-jährigen Schauspielerin den Karriereweg offenbar bisher eher erschwert hat, dass in dieser „Katie-Fforde“-Mär für sie und ihre sympathische Figur einnimmt.
Und am Ende die Taschentücher parat halten
Auch die Chemie zwischen ihr und ihrem Partner Golo Euler stimmt – und das Zusammenspiel steckt voller zarter Zwischentöne: Er verkörpert den Sohn des sturköpfigen Ex-Feuerwehrmanns, der beste Freund von Lucys verstorbenem Bruder. Er ist das männliche Pendant zur weiblichen Hauptfigur: ein eher introvertierter, zurückhaltender und nachdenklicher junger Mann, der sich durch seine Musik definiert und der als helfender Freund statt als drängender Womanizer seine zeitgemäße Liebhaberrolle ausfüllt. Wo Selbstfindung im Mittelpunkt steht, treten bei Katie Fforde Romantik und Erotik an die zweite Stelle… Gewiss gewöhnungsbedürftig ist Peter Sattmann, den man gefühlt jahrelang in jedem dritten Degeto-Freitagsfilm, einst dem Inbegriff deutscher Unterhaltungsunkultur, zu sehen bekam, und der hier eine Figur des uramerikanischen Alptraums übernehmen muss. Auch in seinem Fall ist es wie so oft bei Filmen: auf einmal stört einen das nicht mehr. Weil man (auch als Kritiker) erkennt, dass es darauf nicht ankommt. Sondern darauf, sich bewegen zu lassen. Und das kriegt „Katie Fforde – Wie Feuer und Wasser“ featuring Oona Devi Liebich ganz vorzüglich hin. Taschentücher fürs Ende auf jeden Fall parat halten!