Katie Fforde – Wachgeküsst

Nadja Bobyleva, Piesk, Sattmann, Ron Markus, Thielecke. Läuterungs-Love-Story

Foto: ZDF / Rick Friedman
Foto Tilmann P. Gangloff

Die heitere Liebesgeschichte „Wachgeküsst” (ZDF / Network Movie) gehört in die Kategorie „Lügen haben schöne Beine“: Weil er ihrem alten Vater den Mietvertrag gekündigt hat, will Tochter Maggie den Hausbesitzer Chris zur Rede stellen. Als der Schnösel bei einem Unfall sein Gedächtnis verliert, mogelt sie sich in sein Leben, um ihn zu einem neuen Vertrag zu überreden; durch die Amnesie ist allerdings auch seine Arroganz wie weggeblasen. Der Film erfüllt die wichtigste Voraussetzung für eine gelungene Romanze: Da Piesk den Kotzbrocken ebenso glaubwürdig verkörpert wie die Wandlung zum Sympathieträger und Nadja Bobyleva die Herzen ohnehin zufliegen, werden alle Zuschauer Chris und Maggie ein Happy End wünschen. Die weiteren Figuren sind mit sichtbarer Liebe entworfen und ebenfalls treffend besetzt, die Bildgestaltung signalisiert mit jeder Einstellung Wohlfühlfernsehen.

Ein Schlag auf den Kopf, und alles wird anders: Das ist ein beliebtes Erzählmotiv. Meist trifft es Männer, die vor dem Gedächtnisverlust ziemlich unangenehme Zeitgenossen waren, aber nun in all’ ihrer Hilflosigkeit vor allem Mitgefühl wecken. Natürlich laufen die Geschichten stets auf eine Läuterung hinaus; im Krimi kommen die Hauptfiguren den eigenen Taten auf die Schliche, in der Komödie kommt Liebe ins Spiel. Nach diesem Muster funktioniert auch „Wachgeküsst“. Die Romanze gehört zudem in die Kategorie „Lügen haben schöne Beine“; auf diese Weise können die Gefühle vorm Happy End noch mal auf die Probe gestellt werden. Zum Glück sieht der Film jedoch nicht nach Reißbrett aus, zumal die Beziehung geschickt eingefädelt ist: George Bradford (Peter Sattmann), ein etwas sonderbarer, aber liebenswerter alter Zausel mit Buffalo-Bill-Frisur, hat einen Räumungsbescheid bekommen; entsetzt stellt Tochter Maggie (Nadja Bobyleva) fest, dass er seit Monaten keine Miete bezahlt hat. Weil der Vater sein ganzes Leben in dem schmucken Haus an der Pier-Promenade von Plymouth verbracht hat und in jedem Winkel Erinnerungen stecken, fährt Maggie nach Boston, um den Besitzer umzustimmen. Bei Chris Lennon (Bernhard Piesk) beißt sie jedoch auf Granit: Der Anlageberater ist ein arroganter Schnösel, der aus dem kürzlich erworbenen Haus eine Wochenendresidenz machen will. Als sie ihre Wut an seinem Auto auslässt und er sich ihr in den Weg stellt, fährt sie ihn an. Der Unfall führt zu einer kompletten Amnesie, und nicht nur das: Chris ist wie verwandelt. Maggie will die Gelegenheit nutzen und ihn zur Unterschrift eines neuen Mietvertrags bewegen. Sie vertuscht jeden Bezug zu Plymouth und begleitet Chris zur Farm seiner Eltern; die Gerüche der Kindheit sollen sein Gedächtnis anregen.

Katie Fforde – WachgeküsstFoto: ZDF / Rick Friedman
Durch Kindheitsdüfte das Gedächtnis wiederfinden? Sabine Postel, Nadja Bobyleva & Bernhard Piesk

Drehbuchautor Ron Markus, bislang für Serien wie „Der Lehrer“, Alle Lieben Jimmy“ oder „Stromberg“ tätig, erzählt die Geschichte mit viel Liebe zu seinen Figuren und stets plausibel. Das gilt vor allem für die zunächst noch zaghaften Gefühle zwischen dem potenziellen Liebespaar. Das neue Ich des Finanzberaters ist zwar charmant und liebenswert, doch Maggies Ziel bleibt die Unterschrift. Nadja Bobyleva übertreibt in einigen komischen Szenen etwas, vermittelt jedoch umso schöner und subtiler, wie sich Maggie langsam, aber sicher verliebt. Regisseurin Frauke Thielecke hat mit Bobyleva zuletzt die sehenswerte Frauenromanze „Ziemlich beste Freundinnen“ (2018) gedreht, ebenfalls unter dem Label „Katie Fforde“; „Wachgeküst“ ist bereits ihre vierte Arbeit für die Reihe. Auch „Familie auf Bewährung“ (2018) bot dank Ann-Kathrin Kramer und Thomas Heinze kurzweilige Unterhaltung. Die romantische Komödie „Bellas Glück“ (2017), ähnlich konzipiert wie „Wachgeküsst“ – patente Frau, betrügerischer Mann – hat dagegen nicht funktioniert, weil es zwischen Diana Amft und Steffen Groth nicht geknistert hat und die komischen Momente nicht lustig waren. Das ist hier anders, zumal das Drehbuch für ganz andere Voraussetzungen sorgt, denn Markus kann seine männliche Hauptfigur quasi vor den Augen der Heldin erschaffen. Während „Bellas Glück“ auch daran scheiterte, dass Thielecke kaum Empathie für die Figuren wecken konnte, sorgt Markus für viele Gelegenheiten, die Chris sympathisch machen; zum Beispiel die Seifenkisten, die er für gehörlose Kinder gebaut hat. Es ist ohnehin ein ungeschriebenes Filmgesetz, dass jemand, der die Gebärdensprache beherrscht, kein schlechter Mensch ist. Ganz so leicht macht es der Film dem Antagonisten allerdings nicht, denn Chris hat den eigenen Bruder um seine Ersparnisse gebracht; mit dem Geld wollte Kyle (Philip Schwarz) seinen Traum vom eigenen Lokal verwirklichen. Der vor wenigen Jahren verstorbene Vater hat deshalb jeglichen Kontakt zu Chris abgebrochen; selbst seine Mutter hält ihn für einen geldgierigen Snob. Natürlich muss er diese Schuld erst tilgen, bevor sich alles zum Guten wendet, aber auch für Maggie gibt es eine Prüfung: In der Hoffnung, ein Kuss würde die verschütteten Erinnerungen freilegen, arrangiert sie in selbstverleugnender Uneigennützigkeit ein Date zwischen Chris und seiner Jugendliebe (Sandra Maren Schneider).

Soundtrack: John Martyn („Fairy Tale Lullaby“), Hot Chip („Boy from School”), Cat Stevens („The Wind”), Los Del Rio („Macarena”), Dave Matthews Band („Satellite”), Labi Siffre („Watch Me”), Marcos Valle („The Answer”), Matt Nathanson („All We are”), The White Buffalo („The Observatory”)

Katie Fforde – WachgeküsstFoto: ZDF / Rick Friedman
Maggie (Nadja Bobyleva) begleitet Chris (Bernhard Piesk) mit leisem Unbehagen auf’s Land zu seiner Familie. Zwei Sympathieträger erster „Herzkino“-Güte

Großen Anteil an der Vielschichtigkeit der Handlung haben nicht zuletzt die liebevoll entworfenen Nebenfiguren mit ihren jeweils eigenen Geschichten. Vater George zum Beispiel ist ein direkter Nachkomme jener Pilger, die einst mit der „Mayflower“ in Plymouth angekommen sind, und führt Touristen an die damaligen Schauplätze. Chris’ Mutter Iris wiederum, von Sabine Postel als Althippie verkörpert, hat einige Bräuche von den Ureinwohnern übernommen, mit denen sie sich regelmäßig zum Powwow trifft. Georges Herkunft führt zu einigen amüsanten Dialogscharmützeln, denn Iris ist überzeugt, dass seine Vorfahren kein besonders friedliches Verhältnis zu den „Indianern“ hatten (ein Begriff, den sie selbstredend ablehnt); aber im Grunde sind die beiden etwas absonderliche Gestalten vom gleichen Schlag. Zu den Guten gehört selbstverständlich auch Maggies beste Freundin Nicole (Victoria Fleer), selbst wenn sie allzu sehr dem Klischee solcher Rollen entspricht. Geschickt führt Markus sämtliche Mitwirkenden zusammen: Chris hat George eingeladen, zur Vertragsunterzeichnung auf die Farm zu kommen, und damit die Scharade nicht auffliegt, soll sich Nicole als dessen Tochter ausgeben, was George natürlich dauernd vergisst.

Anders als mit „Ziemlich beste Freundinnen“ wird Thielecke diesmal weder zu Diskussionen noch zum Nachdenken anregen, zumal schon die freundlichen Farben signalisieren, dass „Wachgeküsst“ in erster Linie Wohlfühlfernsehen sein will; dazu sollen auch die vielen Popsongs beitragen, die kaum noch Raum für Filmmusik lassen. Zu den Sonntagsklischees gehören außerdem die mehrfachen Kameraflüge über den Hafen von Plymouth. Den Ausflug nach Boston nutzt der Film für eine imposante nächtliche Skyline-Bilder (Kamera: Christian Klopp), und selbstredend fährt Maggie ein rotes Mini-Cabrio. Seltsamerweise verzichtet Thielecke auf Aufnahmen vom herbstlichen Massachusetts, obwohl die Geschichte kurz vor Thanksgiving spielt. Dafür hat der Film viele heitere Momente zu bieten. Ein Beleg für die Spielfreude des Ensembles ist nicht zuletzt die Schlusseinstellung mit einem „Macarena“-Tanz aller Mitwirkenden. Davon abgesehen erfüllt „Wachgeküsst“ die wichtigste Voraussetzung für eine gelungene Romanze: Weil Piesk den Kotzbrocken ebenso glaubwürdig verkörpert wie die Wandlung zum Sympathieträger und Nadja Bobyleva die Herzen ohnehin zufliegen, werden alle Zuschauer Chris und Maggie ein Happy End wünschen. (Text-Stand: 20.12.2018)

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Reihe

ZDF

Mit Nadja Bobyleva, Bernhard Piesk, Peter Sattmann, Victoria Fleer, Sabine Postel, Thomas Limpinsel, Sandra Maren Schneider, Philip Schwarz

Kamera: Christian Klopp

Szenenbild: Marcus A. Berndt

Kostüm: Carola Neutze

Schnitt: Geraldine Sulima

Musik: Jens Langbein, Robert Schulte Hemming

Redaktion: Verena von Heereman

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Jutta Lieck-Klenke, Sabine Jaspers

Drehbuch: Ron Markus

Regie: Frauke Thielecke

Quote: 4,38 Mio. Zuschauer (12,1% MA)

EA: 13.01.2019 20:15 Uhr | ZDF

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