Seit Jahren gibt es immer wieder große, berührende Fernsehfilme über Demenz, angefangen von „Mein Vater“ (2002) mit Götz George über „Die Auslöschung“ (2012) mit Klaus Maria Brandauer bis zu „Nichts für Feiglinge“ (2013) mit Hannelore Hoger. Sie alle erzählten die Geschichte der Krankheit aus der hilflosen Perspektive von Sohn, jüngerer Lebensgefährtin oder Enkel. Vor allem aber wählten diese Filme einen Ansatz, der auch komische Momente zuließ. Die Katie-Fforde-Verfilmung mit dem eher wenig originellen Titel „Vergissmeinnicht“ wählt zwar eine ähnliche Perspektive, verzichtet aber völlig auf Humor; und das ist bei weitem nicht die einzige Zutat, die diesem ZDF-Melodram zu einem guten Film fehlt.
Das Drehbuch, an dem sich gleich drei Autoren versuchten (Jörg Tensing, Martina Mouchot, Andreas Cremer), hätte vielleicht noch funktionieren können, aber die Umsetzung durch den „Herzkino“-Spezialisten John Delbridge hat mehrere Defizite. Das beginnt mit der Hauptrolle: Die New Yorker Medizinerin Natalie Wayne hat ihr Dasein ganz der Genforschung gewidmet und steht nit Anfang 30 kurz vor einer Entdeckung, die ihr womöglich den Nobelpreis bringt. Henriette Richter-Röhl ist in den richtigen Rollen beileibe keine schlechte Schauspielerin, aber die Wissenschaftlerin nimmt man ihr nicht ab, zumal es mehrfach über die junge Frau heißt, sie komme nie aus ihrem Labor raus; ihre Mutter fürchtet daher, sie werde als alte Jungfer sterben. Richter-Röhls Natalie aber ist eine gut gebräunte, modisch gekleidete junge New Yorkerin mit flottem Kurzhaarschnitt, perfektem Make-up und flottem Cabrio. Obwohl der Forschungsdurchbruch nur noch eine Frage von Stunden ist, lässt sie alles stehen & liegen, um zu ihrem Vater zu fahren. Der lebt als Provinzarzt in Massachussetts und hatte einen Unfall, will aber nicht im Krankenhaus bleiben. Auch wenn Natalie den Kontakt schon vor Jahren abgebrochen hat: Dass sie dem Vater zu Hilfe eilt, ist natürlich richtig so. Dass sie nur ein paar Stunden bleiben will, in den nächsten Tagen aber trotzdem genug Kleidung zum Wechseln hat, ist dagegen erstaunlich. Offenbar hat Natalie auch zwei Umhängetaschen dabei; zumindest wechselt das Stück innerhalb ein und derselben Szene die Farbe.
Foto: ZDF / Simon Vogler
Überzeugend sind dagegen die Szenen mit dem Vater: Rudolf Kowalski versieht den Dorfdoktor mit einer glaubwürdigen Mischung aus Ruppigkeit und Liebenswürdigkeit. Einerseits freut sich Daniel Wayne darüber, dass seine Tochter ihn in der Praxis unterstützt, andererseits fürchtet er sich davor, dass sie sein Geheimnis herausfinden könnte: Er leidet unter beginnender Alzheimer-Krankheit und dürfte längst nicht mehr praktizieren, zumal ihm bereits diverse Behandlungsfehler unterlaufen sind. Deshalb übernimmt Natalie seine Patienten und versucht gleichzeitig, einen Nachfolger zu finden.
Da „Vergissmeinnicht“ auch eine Romanze enthalten muss, ist der erste Mann, der Natalie über den Weg läuft, ein schmucker alleinerziehender Vater. Dieser Matthew (Patrick Rapold) führt zwar ein Lokal, aber man sieht ihn nie bei der Arbeit, was dramaturgisch gesehen von Vorteil ist: Wenn man denkt, nun sei es doch mal wieder Zeit für einen Auftritt Matthews, biegt Natalie am Strand um eine Ecke, und wer sitzt da und angelt? Genau. Bei Ebbe zwar, aber wen interessiert das schon. Da Matthew außerdem ein Motorrad fährt und Natalie selbstredend zu einem Ausflug mitnimmt, gibt es zur Abwechslung auch einen Grund für die obligaten Luftaufnahmen der malerischen Küste von Massachusetts; mal mit, mal ohne Sonnenlicht, das sich in den Wellen spiegelt. Immerhin hat Delbridge „Vergissmeinnicht“ flüssig inszeniert, die einheimischen Darsteller sind gut ausgewählt, und die junge Tara Fischer (als Matthews hübsche Tochter) wird man in Zukunft garantiert noch öfter sehen; auch Gudrun Landgrebe passt zu ihrer Rolle als Broadway-Diva, die nebenbei auch noch die Mutter von Natalie ist. Die wiederum zieht am Ende ein Dasein als Provinzärztin dem möglichen Nobelpreis vor; so gesehen passt es fast, dass man Henriette Richter-Röhl die Wissenschaftlerin ohnehin nicht geglaubt hat. (Text-Stand: 21.12.2014)