Schon der Beginn deutet an, dass „Hexensommer“ aus dem Rahmen der oft ebenso beliebigen wie belanglosen Sonntagsgeschichten im ZDF fällt: Der Film beginnt mit der Trauung zweier Männer in einem Gefängnis. Der Prolog ist für die Handlung nicht weiter wichtig, aber er führt mit der unkonventionellen dunkelhäutigen Gefängnispfarrerin Gwen Reynolds (Dennenesch Zoudé) eine Figur ein, die es so im „Herzkino“ noch nicht gegeben hat. Kurz drauf wird Gwen nach Massachusetts versetzt: In Ipswich soll sie dem örtlichen Pfarrer, der längst im Rentenalter ist, unter die Arme greifen. Die Protestantin nimmt die Nachricht mit gemischten Gefühlen auf: Ihre weiße Mutter hatte den Ort einst fluchtartig verlassen und sie beschworen, das Städtchen zu meiden. Kaum eingetroffen, bekommt Gwen eine Ahnung, warum: Amtskollege Finlay (Mattausch) begegnet ihr mit unverhohlener Feindseligkeit. Erst sorgt er dafür, dass sie keine Bleibe findet, dann sabotiert er sämtliche ihrer Ideen. Die Pfarrerin kann sich keinerlei Reim auf sein Verhalten machen, bis Finlays frühere Sekretärin ihr erzählt, welche unheilvolle Verbindung einst zwischen ihm und ihrer Mutter bestand.
Das Drehbuch ergänzt den Handlungskern um viele Nebenstränge, die die Geschichte sehr komplex wirken lassen. Der Titel „Hexensommer“ bezieht sich nicht nur auf das bevorstehende Halloween, sondern auch auf die Hexenverfolgungen in New England; Gwen fühlt sich gleichfalls irgendwann als Opfer einer Hexenjagd. Als fundamentalistischem Griesgram sind Finlay nicht nur die vielen Kürbisse ein Dorn im Auge, sondern auch das Hexenmuseum von Stella (Nina Franzoszek), der einzigen Frau im Ort, die Gwen ein Obdach gewährt. Dass der vor einem Jahr zugereiste Oliver (Marcel Mohab) Halloween für touristische Zwecke nutzen will, findet Finlay geradezu skandalös. Geschickt sorgen die Autoren dafür, dass ein Anruf gleich mehrere dieser zuvor parallel verlaufenen Handlungsstränge miteinander verknüpft: Gwen ist überzeugt, dass sie Oliver schon mal gesehen hat. Weil Finlay ihn und seine Verlobte Michelle (Catherine Bode) nicht trauen will, wird sie das übernehmen, aber zuvor will sie sich Klarheit über den Bräutigam verschaffen, der ihr regelmäßig die kalte Schulter zeigt. Selbstverständlich kennt sie ihn aus dem Gefängnis, und als Finlay den entsprechenden Anruf ihrer früheren Arbeitsstelle entgegennimmt, nutzt er die Gelegenheit, um den Mann umgehend im Ort zu diskreditieren. Oliver wollte unter neuem Namen ein neues Leben beginnen, hat nicht mal Michelle von seiner Vergangenheit erzählt und muss nun überzeugt sein, dass Gwen sein Geheimnis verraten hat.
Weil die Pfarrerin nebenbei immer neue Informationen über die Jugendjahre ihrer früh verstorbenen Mutter erfährt, die im Ort diskriminiert wurde, weil sie einen Schwarzen liebte und ein uneheliches Kind erwartete, ist die Atmosphäre des Films trotz der sonnigen Bilder fast düster. Gerade vor diesem Hintergrund wirken Finlays verschiedene Verzweiflungstaten übertrieben. Da die Figur durch Mattauschs Verkörperung zweitweise zudem wie eine Karikatur wirkt, ist die Läuterung des Priesters am Schluss allzu flott & eher unglaubwürdig. Andererseits lebt „Hexensommer“ nicht zuletzt von den Kontrasten: Die Aufnahmen der herbstlich bunt gefärbten Laubwälder New Englands sind ein Augenschmaus, und auch der Ort selbst ist einladend und freundlich; umso frappierender ist die negative Stimmung, auf die die Pfarrerin immer wieder trifft. Aber auch in dieser Hinsicht sorgen Buch und Regie für einen Kontrapunkt: Die musikalische Gwen übernimmt die Leitung des Chors und bringt mit mitreißenden Gospels eine Menge Schwung und frischen Wind in die Kirchengemeinde. Dass sie zur ersten Chorprobe die Fenster öffnet, ist ein schlichtes, aber beredtes Bild dafür.
Viel Freude machen auch einige bildgestalterische Details: Als Gwen nach ihrer Ankunft in Ipswich bei der Kirche eintrifft, sieht man sie sie aus Höhe der Kirchturmspitze; ein optischer Vorgeschmack auf die Herablassung, mit der Finlay ihr begegnen wird. Kein Wunder, dass sie dem scheinheiligen Kollegen vorwirft, er sei kein Diener Gottes, sondern spiele sich wie Gott selbst auf. Als der Pfarrer wütend einen Kürbis vor dem Kirchentor wegkickt, zeigt Metzger die Folgen des Tritts aus der Kürbisperspektive. Und so ist „Hexensommer“ dank schöner Bilder, glaubwürdiger Schauspieler und interessanter Schauplätze eine ungewöhnlich ernste (und ernstzunehmende) Geschichte über das Recht auf eine zweite Chance. Nicht zuletzt der Verzicht auf die übliche Romanze macht den Film zu einem in vieler Hinsicht ungewöhnlichen und sehenswerten Beitrag zum „Herzkino“ im ZDF. (Text-Stand: 23.4.2016)