Kati – Eine Kür, die bleibt

Lavinia Nowak, Dagmar Manzel, Andrea Stoll, Mimi Kezele. Ein Leben auf der Schokoladenseite?

Foto: ZDF / Stanislav Honzik
Foto Tilmann P. Gangloff

„Kati – Eine Kür, die bleibt“ (ZDF / Odeon Fiction) ist ein gerade wegen der beiden Hauptdarstellerinnen sehenswerter Film über die Vorbereitungen von Katarina Witt für ihr überraschendes Comeback bei den Olympischen Winterspielen in Lillehammer 1994. Im Mittelpunkt der Handlung steht die enge Beziehung zwischen der Eisprinzessin und ihrer von Dagmar Manzel vorzüglich verkörperten Trainerin Jutta Müller. Auch Lavinia Nowak imponiert in ihrer ersten großen Filmrolle, und das nicht nur wegen der verblüffenden Ähnlichkeit. Das Drama passt perfekt zum Tag der Deutschen Einheit, denn es ist weit mehr als ein reiner Sportfilm; und das nicht erst, als Witt Einsicht in ihre Stasi-Akte nimmt.

Keine Karriere geht stetig steil nach oben; auch und gerade nicht im Sport. Biografien sind ohnehin immer dann am interessantesten, wenn ein Bruch den Lebenslauf abrupt in eine andere Richtung treibt. Manchmal trifft dieses Schicksal eine gesamte Nation. Die Idee, die Folgen der „Wende“ ausgerechnet anhand von Katarina Witt zu erzählen, mag auf den ersten Blick absurd erscheinen, aber sie funktioniert erstaunlich gut. Clever integriert Autorin Andrea Stoll eine mögliche Kritik gleich zu Beginn in die Handlung, als sich Eiskunstlauf-Star Witt 1993 am Flughafen Tegel auf dem Weg zur Eisshow in den USA sagen lassen muss, sie lande immer auf der Schokoladenseite. Der Satz gibt ihr zu denken: DDR-Erfolge zählen nicht mehr. Fünf Jahre nach ihrem Abschied vom Leistungssport holt sie ihre frühere Trainerin aus dem Ruhestand: Jutta Müller soll sie auf ein Comeback bei den Olympischen Winterspielen in Lillehammer vorbereiten. Die Trainerin hält das angesichts einer Konkurrenz im Teenageralter für eine Schnapsidee: „Olympia ist was anderes als in Las Vegas mit dem Popo zu wackeln.“

Kati – Eine Kür, die bleibtFoto: ZDF / Stanislav Honzik
Ihre Verbitterung nach der Wende überwinden: Trainerin Jutta Müller (Dagmar Manzel) glaubt an ihre Kati (Lavinia Nowak).

Schon dieser Teil der Geschichte wäre ein reizvoller Stoff, und tatsächlich konzentriert sich der Film zunächst auf das scheinbar aussichtslose Unterfangen, aus der Eisprinzessin wieder eine Profisportlerin zu machen. Auf dieser Ebene ist „Kati – Eine Kür, die bleibt“ vor allem darstellerisch sehenswert. Theaterschauspielerin Lavinia Nowak, im Fernsehen bislang meist als Episodengast besetzt, hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit Witt und trifft auch den Tonfall des in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) aufgewachsenen Vorbilds recht gut. Jenseits von Hand- und Mundwerk überzeugt die gebürtige Münchenerin jedoch in ihrer Rolle als junge Frau, die auf dem verbissenen Weg zum selbstgesteckten Ziel immer wieder Rückschläge verkraften muss. Eine technisch sehr saubere Kombination der Handlung mit Double-Szenen und Rückblenden sorgt dafür, dass auch der Eiskunstlauf nicht zu kurz kommt.

Soundtrack: Frank Shelley („Cut Me Loose“), Marlene Dietrich („Sag mir, wo die Blumen sind”), Joseph Connor, Oliver Slack, Samuel Heath, Rebecca Hitch & Theo Krish („Breathless”), George Bizet („Carmen”)

Nowaks Leistung ist umso respektabler, weil sie sich an der Seite einer ungleich erfahreneren Kollegin bewähren musste. Dagmar Manzel gelingt als Trainerin mit der Lizenz zum Quälen das Kunststück, der Verbitterung Müllers, die nach der Wende von der Deutschen Eislauf-Union kaltgestellt wurde, durchaus positive Seiten abzugewinnen. Kleine Momente genügen Manzel, um anzudeuten, dass der Panzer aus Weltverachtung eine tiefe Verletztheit kaschiert. Zwar sind ihre vor sich hin gemurmelten Kommentare oder die im Mundwinkel versteckte Ironie durchaus sympathisch, aber liebenswert wird sie erst durch den Mann an ihrer Seite: Sylvester Groth erfüllt den Gatten mit aufrichtiger Zuneigung. Ohnehin sorgen viele beiläufige Momente dafür, dass „Kati – Eine Kür, die bleibt“ weit mehr ist als bloß ein Sportfilm (Regie: Michaela Kezele).

Kati – Eine Kür, die bleibtFoto: ZDF / Stanislav Honzík
Foto oben: Wer hinfällt, muss wieder aufstehen. Die simple Weisheit wird im Film durch die Botschaft konterkariert: Man muss aber nicht immer Erste werden, um die Herzen der Menschen zu gewinnen. Foto unten: Ein Bild, das bleiben wird. Kati Witt sichert sich in Kopenhagen das Ticket für die Olympiade. Sehr überzeugend: Lavinia Nowak. Man muss schon zweimal hinsehen.

Zu einem passenden Werk für den Tag der Deutschen Einheit wird der Film, als die Sportlerin, angestoßen durch ein Interview mit einem berüchtigten Boulevardblatt und daraus resultierender Schlagzeile („Katarina Witt – Wie war das mit der Stasi?“), Einsicht in ihre Staatssicherheitsakte nimmt, wobei der Begriff „Akte“ eine Verniedlichung ist: Es handelt sich um 27 Ordner; die Einträge begannen, als sie gerade mal sieben Jahre alt war. Fortan erklingen immer wieder Zitate aus dem Off, die dokumentieren, mit welch’ absurder Akribie Witt rund um die Uhr bespitzelt wurde. Beim dramaturgisch eher überflüssigen Waldspaziergang stellt sie Egon Krenz (Alexander Schubert) zur Rede; er war als Generalsekretär des SED-Zentralkomitees auch für den Sport und somit für den einzigen Bereich zuständig, in dem die DDR Weltklasse erreichte. Wichtiger und zudem hochaktuell ist hingegen eine Erkenntnis Müllers, die sinngemäß feststellt: Viele Menschen beißen sich in der Vergangenheit fest, um einen Grund zu haben, warum es in der Gegenwart nicht klappt.

Andrea Stoll hat Drehbücher für viele wichtige und oft ausgezeichnete Filme verfasst, darunter das Emanzipationsdrama „Aufbruch in die Freiheit“ (2018), die Tragikomödie „Familienfest“ (2017) sowie „Und alle haben geschwiegen“ (2013, alle fürs ZDF), ein bedrückender Film über die verdrängte Geschichte der deutschen Heimkinder. Zuletzt war sie in erster Linie mit der von ihr entwickelten und nicht nur wegen der Naturaufnahmen sehenswerten ARD-Reihe „Reiterhof Wildenstein“ über eine ehemalige Dressurreiterin beschäftigt. Dazu passt der bewegende Schluss von „Kati“ mit der sportfilmtypischen Botschaft, dass man nicht Erste werden muss, um die Herzen der Menschen zu gewinnen.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Lavinia Nowak, Dagmar Manzel, Felix von Bredow, Jörg Steinberg, Angela Hobrig, Sylvester Groth, Michael Lerchenberg, Norbert Stöss, Anna Thalbach, Alexander Schubert

Kamera: Holly Fink

Szenenbild: Oliver Hoese

Kostüm: Monika Hinz

Schnitt: Stine Sonne Munch

Musik: Oliver Biehler

Redaktion: Beate Bramstedt, Katharina Görtz

Produktionsfirma: Odeon Fiction

Produktion: Monika Raebel

Drehbuch: Andrea Stoll

Regie: Michaela Kezele

Quote: 2,81 Mio. Zuschauer (10,9% MA)

EA: 26.09.2024 10:00 Uhr | ZDF-Stream

weitere EA: 03.10.2024 20:15 Uhr | ZDF

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