Die „entlaufene“ Nonne und der Vogelfreie, der „das ganze Leben leben“ will
Trotz adliger Herkunft wurde Katharina von Bora nicht allein der Hoffnung auf das ewige Leben wegen, sondern auch aus materiellen Gründen als Kind von ihrem Vater, einem sächsischen Landadeligen, ins Kloster gegeben. Mit Anfang 20 kommt sie mit der revolutionären Gedankenwelt Martin Luthers in Berührung. 1523 hält Katharina (Karoline Schuch) nichts mehr hinter den Klostermauern, sie bricht ihr Gelübde und will fortan „das ganze Leben leben“. Doch das bleibt ihr als „entlaufener Nonne“, ohne rechtliche Stellung, ohne Einkommen und von ihrer Familie verstoßen erst einmal vorenthalten. Sie kommt im Hause vom Maler Lucas Cranach (Martin Ontrop) und seiner Frau Barbara (Claudia Messner) in Wittenberg unter, wo ihr nun auch Martin Luther (Devid Striesow) persönlich begegnet. Es wird ihr immer wieder nahegelegt, zu heiraten, um versorgt zu sein. Sie aber will das nicht einsehen. Wenn heiraten, dann nur Martin Luther, den sie als verletzlichen Mann voller Selbstzweifel kennengelernt hat und für den sie heimlich Gefühle hegt. Alle raten ihr ab von der Ehe mit Luther, dem Vogelfreien, der unter Kirchenbann und Reichsacht steht. Der Professor selbst ist hin und hergerissen. Auch er will „das ganze Leben leben“, zweifelt aber an seiner Familientauglichkeit. „Als Mensch bin ich nichts, ich bin Gottes Werkzeug.“ Nicht anders sieht das sein engster Vertrauter, Philipp Melanchthon (Ludwig Trepte), der um Luthers geistiges Wirken als Reformator bangt – und er redet Katharina ins Gewissen: „Zerstört nicht sein Gleichgewicht, sonst stürzt er ins Bodenlose.“ Diese Prophezeiung bewahrheitet sich nicht. „Die Lutherin“ wird aber nicht nur seelische Stütze ihres Mannes; sie entwickelt sich auch zur angesehenen Wirtschafterin, zur Gesprächspartnerin auf Augenhöhe und sie wird eine kluge, weitsichtige Mutter, die es besser machen will als ihre Familie.
Foto: MDR / Steffen Junghans
„Auch wenn wir versuchen, dem Zuschauer einen Zugang zu dem zu ermöglichen, was Katharina von Bora und Martin Luther vor 500 Jahren umtrieb, so war uns klar, dass deren Geschichte nur aus der damaligen Zeit heraus erzählbar ist. Das verlangt allerdings, auszuhalten was uns heute fremd ist, das Sperrige und mitunter Verstörende.“ (Mario Krebs, Produzent)
Nicht der übliche gediegene Jubiläumsfilm, kein herkömmliches Frauen-Biopic
Anlässlich des „Luther-Jahres“, in dem sich der Beginn der Reformation zum 500. Male jährt, wählt diese fiktionale ARD-Koproduktion zwischen MDR, Degeto, BR und SWR einen unerwarteten Blickwinkel, um aus dem Leben des geistigen Vaters der evangelischen Kirche zu erzählen. Der Film zielt weniger auf den Reformator, stärker auf den Menschen Martin Luther, einen unruhigen Geist, der jahrelang in einem halbverfallenen Kloster lebt, zwischen Euphorie und Verzweiflung nichts als arbeitet, kaum schläft, sich schlecht ernährt und damit seine Gesundheit ruiniert. Vor allem aber zielt der Film auf die lang übersehene Katharina von Bora, die im Jahre 1525 mit Luther den heiligen Bund der Ehe eingeht – und bald mehr ist als nur die Frau an der Seite eines berühmten Mannes. „Katharina Luther“ lässt somit nie den Eindruck aufkommen, es handele sich hier um einen jener typischen öffentlich-rechtlichen Jubiläums- oder Jahrestags-Events. Dass die Perspektive des Films etwas mit dem Genre Fernsehfilm zu tun hat, der bekanntlich mehr von Frauen goutiert wird, mag eine Rolle gespielt haben beim Konzept dieses ambitionierten Projekts, schmälert aber nicht die historische Relevanz dieser Perspektive. Und auch die Bedenken, die man vorab in Anbetracht der Fülle an TV-Biopics aus den letzten Jahren wie „Margarete Steiff“, „Käthe Kruse“, „Clara Immerwahr“ oder „Dr. Hope“ haben kann, finden keine Bestätigung und erst recht nicht die Vermutung, dass hier einmal mehr eine Frau die Ärmel hochkrempelt und ihren – vornehmlich dramaturgisch bescheidenen – Weg geht. Dafür ist diese Geschichte (für den kirchengeschichtlichen Laien) viel zu interessant und der Film viel zu überlegt gemacht.
Foto: MDR / Steffen Junghans
„Wir wollten den Menschen Katharina von Bora finden, in seiner mittelalterlichen Prägung und in seiner allgemeingültigen (und damit auch modernen) Psychologie. Auch bei Luther ging es um den Menschen mit allen seinen Widersprüchen. Vieles bei ihm erschließt sich erst aus seinen Ängsten, aus Zweifeln und inneren Kämpfen und sogar aus Verzweiflung.“ (Christian Schnalke, Drehbuchautor)
Das Spätmittelalter wird miterzählt, es ist die Gegenwelt zum „Luther“-Haus
„Katharina Luther“ erzählt von der Rolle der Frau im Spätmittelalter, in dem es offenbar neben Heirat und Kloster nur noch das Freudenhaus gab, um zu überleben. Aber auch eine Ehe konnte zu Beginn des 16. Jahrhunderts Sünde sein, wenn zwei wie Martin und Katharina Luther, ein Mönch und eine Nonne, ein Paar waren. Wie sehr doch der von der katholischen Kirche zementierte Glaube bzw. Aberglaube die Geistesgeschichte („Angst, Jahrhunderte lang nichts als Angst!“) prägte, aber wie tief er vor allem im gemeinen Volk verwurzelt war und den Alltag bestimmte, zeigen immer wieder Szenen, in denen sich die Heldin aus dem geschützten Raum ihres Hauses heraus begibt, ins Zentrum nach Wittenberg, wo sie beschimpft wird („Ihr werdet Sünde über uns alle bringen“), oder in ihr Elternhaus, wo sie von Vater und Bruder verstoßen und verflucht wird. Aber selbst Katharina holen immer wieder die tief verwurzelten Ängste aus ihrer Zeit im Kloster ein. In ihrer Schwangerschaft wächst die Angst, dargestellt in einem Alptraum, ein „Teufelsbalg“ zu gebären, und als eine ihrer Töchter mit dem Leben ringt, wittert sie die Strafe Gottes. Auf der anderen Seite betont Autor Christian Schnalke das gemeinschaftliche Leben im „Luther“-Haus, in dem Studenten wohnen und Gelehrte ein und aus gehen, und er lässt keinen Zweifel daran, wer hier das Sagen hat. Katharina Luther mit ihrem Sinn fürs Praktische managt das Leben und schafft damit die materiellen Grundlagen („Wir brauchen mehr Einnahmen“) für Luthers geistiges Wirken. Mit ihrem intellektuellen Einfluss auf den Reformator hält sich Schnalke dagegen eher zurück. Stärker motiviert er das Handeln der „Lutherin“ aus der Erfahrung mit ihrer Ursprungsfamilie. Sie will ihre sechs Kinder selber aufziehen, keines ins Kloster abschieben.
Foto: MDR / Steffen Junghans
„Wir haben Totalen weitestgehend vermieden und erzählen in Naheinstellungen und Details, wollten den Zuschauer reinholen in die Handlung, haptisch erzählen und nah am menschlichen Seheindruck.“ (Julia von Heinz, Regisseurin)
Kluges Bildkonzept, betörend sinnliche Umsetzung, ästhetische Transzendenz
Den Stoff, die historisch verbürgte Geschichte von Katharina und Martin Luther, haben die Macher erfreulicherweise nicht als einen Selbstläufer verstanden. In jedem Bild spürt man als Zuschauer nicht nur einen für Fernsehfilme ungewöhnlichen Gestaltungswillen, sondern auch ein feines Gespür für Wahrnehmungsprozesse. Der besondere Wert von „Katharina Luther“ – über das Erzählte und die Perspektive hinaus – ist denn auch das kluge Kamera-Konzept, die zwischenzeitlich geradezu betörend sinnliche Umsetzung und ein Szenenbild, das weder das Geschehen naturalistisch abbildet, noch zur Totale neigt, sondern in Kombination mit dem Blick der Kamera zu einer gewissen Transzendenz einlädt. Die Bilder tendieren zu nahen Einstellungen, sie gehen sehr konkret den Dingen auf den Grund, das Gezeigte wird des Öfteren nur ausschnitthaft erfasst, hinzu kommen Unschärfen und die Handkamera sorgt für hektische Bewegungen – was wiederum dem Erzählten insgesamt eine gewisse Abstrahierung verleiht. Regisseurin Julia von Heinz („Ich bin dann mal weg“) wollte um jeden Preis „eine distanzierte Draufsicht“ auf die historische Szenerie vermeiden und „haptisch erzählen“. Um die Haptik zu verstärken, „haben wir viel mit Filtern an der Kamera, aber auch gezielt mit Staub und Partikeln in der Luft gearbeitet“, betont Kamerafrau Daniela Knapp („Poll“). Für die Ausschnitthaftigkeit des Bildes und die gewollten gelegentlichen Unschärfen findet sie eine geistesgeschichtliche Erklärung. Das Spätmittelalter sei eine „dunkle Zeit“ gewesen – „wir wollten nicht alles im klaren hellen Licht zeigen, sondern vieles auch im Dunkeln lassen“. Und „das Gefühl, nicht alles sehen zu können und deshalb nicht alles zu wissen“ wird nicht nur dem Zuschauer vermittelt, sondern versinnbildlicht natürlich auch die erzählte Epoche.
Foto: MDR / Steffen Junghans
„Oft haben wir mit Einstrahlungen auf der Linse gearbeitet, die Katharina und dem Zuschauer die klare Sicht auf die Dinge ein bisschen verstellen. Dadurch fühlen wir auch mit ihr, wenn eine Situation für sie unklar oder bedrohlich ist. Die Zuschauer haben nie einen Wissensvorsprung.“ (Daniela Knapp, Kamerafrau)
Die Cadrage und die Schauspielerblicke sind meisterhaft aufeinander bezogen
Die Kunst der Blicke und Perspektiven führt last but not least zur Hauptdarstellerin Karoline Schuch. Ihr Blick ist das emotionale Zentrum des Films. Er kommentiert das Geschehen, zeigt ihre Gefühlslagen auf und lenkt damit die Emotionen des Zuschauers. In dieser Hinsicht besonders gelungen ist die Irritationsphase, die Zeit nach dem Kloster. Befremdlich empfindet die Heldin den Alltag in Wittenberg. Man spürt, diese junge Frau versteht nach Kindheit und Jugend als Nonne diese grobe, ungerechte Welt da draußen nicht. Nach der brillanten Kloster-Exposition, die ein bisschen an Rivettes „Nonnen“-Film und Bressons Bildsprache erinnert, sind es immer wieder die intimen Szenen, die kleinen Gesten, die besonders überzeugen. Wie Katharina ihrer Nonnen-Freundin Ave (mit Mala Emde ideal besetzt), der es schwer fällt, ihren Habit abzulegen, geradezu zärtlich zur Hand geht, oder – ein wiederkehrendes Motiv – der Sinn und Sinnlichkeit stiftende visuelle Umgang mit der Natur: das ist großes Fernsehen. Aber auch der Einbruch der hässlichen Wirklichkeit besitzt filmisch eine mitreißende physische Kraft: Da flieht beispielsweise die Heldin von einer entwürdigenden „Brautbörse“ und sieht dabei – in rasant montierten Großeinstellungen – förmlich in die ekelhafte Fratze des Mittelalters voller Gier und Gewalt. Den Gegen-Entwurf dazu gibt es am Ende des Films: Katharina versucht Luther, der kurz zuvor noch dem Wahnsinn nahe schien, wieder auf den gemeinsamen Weg, auf „das ganze Leben“, einzuschwören. „Wir dürfen einander nicht loslassen.“ Sie sitzen in einer Kammer am offenen Fenster. Ein lichter Ausblick. Ein Sinnbild für Nähe. Eine vorbildliche Beziehung. Ein schöner, werthafter Film. (Text-Stand: 28.1.2017)