Kanzlei Liebling Kreuzberg

Luise von Finckh, Schmeide, Sorin, Hoenisch. Wiederhören macht Freude

Foto: Degeto / Stefan Erhard
Foto Tilmann P. Gangloff

Kreuzberg hat einen neuen Liebling! Und damit die Neuauflage von „Liebling Kreuzberg“ (1986 bis 1998) auch die Fans der Kultserie anspricht, wirkt sogar der Titelheld mit, wenn auch nicht leibhaftig, schließlich ist Manfred Krug 2016 gestorben: Enkelin Lisa Liebling (Luise von Finck) kommt frisch von der Uni, möchte die Kanzlei wieder zu einer Anlaufstelle für sozial Benachteiligte machen und sucht regelmäßig Rat in den Diktatkassetten ihres geliebten Opas. Die Kombination mit Gabriela Maria Schmeide als Seniorpartnerin funktioniert prima, die juristischen Fälle sind gerade wegen ihres doppelten Bodens interessant; die Inszenierung ist allerdings recht konservativ, im Stile des 90er-Jahre-Klassikers.

Was den einen ihr Pumuckl, ist den anderen ihr Anwalt: Nach 26 Jahren hat Kreuzberg wieder einen Liebling. Wie formidabel es funktionieren kann, vermeintliche oder echte Kultserien neu aufzulegen, hat RTL im letzten Jahr mit den herzerwärmenden „Neuen Geschichten vom Pumuckl“ bewiesen; die Fortsetzung des Kinderklassikers aus den Achtzigern war auch für Erwachsene sehr sehenswert. „Liebling Kreuzberg“ ist eine jener Produktionen, die das Prädikat „Kult“ in der Tat verdienen, und gleichfalls an die vierzig Jahre alt. Die Idee, die Marke mit neuem Leben zu füllen, ist jedoch ebenso reizvoll wie riskant. Der Kobold aus der Kinderserie ist als Zeichentrickfigur unsterblich, aber Manfred Krug, als Anwalt der kleinen Leute genauso prägend in Erinnerung wie als Hamburger „Tatort“-Kommissar, ist 2016 gestorben. In der „Pumuckl“-Neuauflage übernimmt Meister Eders Neffe viele Jahre nach dem Tod des Onkels die Schreinerwerkstatt. In „Kanzlei Liebling Kreuzberg“ kreuzt aus heiterem Himmel die Enkelin von Robert Liebling in der nun von dessen letzter Partnerin geführten Kanzlei auf. Talia Jahnka (Gabriela Maria Schmeide) muss Lisa Liebling (Luise von Finckh), frisch von der Uni, wohl oder über als gleichberechtigte Kollegin akzeptieren, denn so steht es im Partnergesellschaftsvertrag, den sie einst mit Robert abgeschlossen hat.

Kanzlei Liebling KreuzbergFoto: Degeto / Stefan Erhard
Köstlich? Lisa Liebling (Luise von Finckh) bekommt den Robert-Liebling-Starterpack spendiert, inklusive Wackelpeter.

Die Konstellation birgt naturgemäß Konfliktpotenzial, zumal es gar keinen Platz für eine weitere Person gibt: Den zweiten Büroraum hat der junge Kollege Cem Oktay (Emre Aksizoglu) belegt. Weil Lisa ihn nicht vertreiben will, arbeitet sie erst mal im Foyer. Zweiter Zündstoff ist die Ausrichtung der Kanzlei: Talia hat sich auf Wirtschaftsfälle spezialisiert. Von Roberts sozialem Anspruch ist nichts mehr übrig geblieben, und das will Lisa schleunigst ändern, zur Not pro bono, was prompt zu weiterem Ärger zwischen den nicht nur vom Alter her gänzlich unterschiedlichen Partnerinnen führt, schließlich muss auch Geld verdient werden. Mit Hilfe einer Nebenfigur sorgt Drehbuchautor Andrej Sorin dafür, dass die strenge Talia auch nette Seiten zeigen kann: In den Gesprächen mit ihrem Mann (Christian Kuchenbuch) wird deutlich, dass sie durchaus Sympathie für die zuweilen etwas ungestüme Kollegin empfindet.

Von außen betrachtet hätte nichts dagegen gesprochen, aus „Kanzlei Liebling Kreuzberg“ – Arbeitstitel des von der ARD-Tochter Degeto verantworteten Films war „Liebling Kreuzberg 2.0“ – eine Serie zu machen; allerdings gibt es dienstags im „Ersten“ ja schon „Die Heiland – Wir sind Anwalt“ (seit 2018). Dank Lisa Liebling sind die Themen des Freitagsfilms jedoch jünger; es geht unter anderem um Diskriminierungen aller Art. Besonderes Merkmal des Drehbuchs ist ein doppelter Boden. Auf den ersten Blick scheinen die Fälle klar, weil offenkundig ist, wem ein Unrecht widerfahren ist, aber Lisa lernt, dass die Dinge immer zwei Seiten haben: Die Täter sind auf ihre Weise ebenfalls Opfer; so gelingt Sorin das Kunststück, eine juristische Geschichte ohne gegnerische Partei zu erzählen. Dazu passt, dass der Film komplett auf Gerichtssaalszenen verzichtet.

Kanzlei Liebling KreuzbergFoto: Degeto / Stefan Erhard
Dr. Talia Jahnka (Gabriela Maria Schmeide) hat anfangs Probleme mit Lisa Liebling, der Enkelin ihres verstorbenen, allseits beliebten Kollegen. Da ist ihr das eingespielte Verhältnis zur ewigen Anwaltsgehilfin Senta (Anja Franke) schon sehr viel lieber.

Soundtrack: Fleetwood Mac („Dreams“), Beirut („Nantes“), Nina Chuba („Mangos mit Chili“, „Wildberry Lillet”), Goldfrapp („Ooh La La”), Kim Carnes („Bette Davis Eyes”), Feist („Mushaboom”), Peter Fox („Zukunft Pink”)

Stattdessen menschelt es sehr. Mehr und mehr zu einer guten Freundin der jungen Anwältin wird eine gleichaltrige Cafébesitzerin: Mia (Nhung Hong) betreibt nebenbei den Podcast „Tacheles to go“, mit dem sie den Stummen eine Stimme geben will. Das passt perfekt zu Lisas Haltung: Auch sie will Menschen helfen, die sonst auf der Strecke bleiben. Unterstützung bekommt sie quasi aus dem Jenseits, was den Film um einige Momente kräftiger Rührung ergänzt: Anwaltsgehilfin Senta (Anja Franke war schon in der Serie dabei) hat Opas Vermächtnis gehütet. Dank der Diktatkassetten mit Lieblings Lehrsätzen aus dem juristischen Abreißkalender gehört Manfred Krug zumindest akustisch ebenfalls zum Ensemble. Eine weitere Ebene wird ebenfalls durch einen Generationenkonflikt geprägt: Lisa zieht in ihr einstiges Jugendzimmer, aber Mutter Sarah kann nicht aus ihrer Haut und fällt prompt ins gewohnte übergriffige Rollenmuster zurück; Roswitha Schreiner hat auch in der Serie Lieblings Tochter gespielt.

Einige inhaltliche Aspekte mögen „woke“ und progressiv wirken, doch die Umsetzung (Regie: Franziska Margarete Hoenisch) ist eher konservativ; flott sind allein die schlagwerkbetonte Musik (Anna Kühlein) und die Popsongs. Der westdeutsche Teil des Publikums wird womöglich irritiert reagieren, wenn Talia ihrer jungen Partnerin sagt, ihre Generation habe den jungen Frauen von heute den Weg freigeboxt und unter anderem die Abschaffung von Paragraf 218 erreicht: Das galt nur für die DDR, dort war Abtreibung ab 1972 legal; im Westen ist der Paragraf nur modifiziert worden. Ein zweiter Film ist in Vorbereitung.

Kanzlei Liebling KreuzbergFoto: Degeto / Stefan Erhard
Wiederhören macht Freude. Nach dem Waldmeister-Wackelpudding macht sich Lisa (Luise von Finckh) an die alten Tonaufnahmen von ihrem Großvater. So lebt auch ein Stück des Mythos „Liebling Kreuzberg“ im Film akustisch weiter.

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Luise von Finckh, Gabriela Maria Schmeide, Anja Franke, Emre Aksizoglu, Nhung Hong, Roswitha Schreiner, Winfried Glatzeder, Artjom Gilz, Long Dang-Ngoc, Mai-Phuong Kollath, Peter Moltzen, Christian Kuchenbuch

Kamera: Martin L. Ludwig

Szenenbild: Fryderyk Swierczynski

Kostüm: Marion Bergmann

Schnitt: Biljana Grafwallner-Brezovska

Musik: Anna Kühlein

Redaktion: Barbara Süßmann, Christoph Pellander

Produktionsfirma: Odeon Fiction

Produktion: Alban Rehnitz, Lynn Schmitz

Drehbuch: Andrej Sorin – basierend auf Motiven und Figuren der Serie „Liebling Kreuzberg“ von Jurek Becker

Regie: Franziska M. Hoenisch

Quote: 3,81 Mio. Zuschauer (16,3% MA)

EA: 25.09.2024 10:00 Uhr | ARD

weitere EA: 27.09.2024 20:15 Uhr | ARD

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