Zumindest im Westen ist die Erinnerung an Manfred Krug vor allem durch zwei Paraderollen geprägt: der singende „Tatort“-Kommissar und die Titelfigur der ARD-Serie „Liebling Kreuzberg“. Das Schönste an der späten Nachfolgereihe „Kanzlei Liebling Kreuzberg“ ist daher zumindest aus nostalgischer Sicht die akustische Mitwirkung des 2016 verstorbenen Schauspielers: Wann immer Robert Lieblings Enkelin Lisa nicht weiter weiß, und das ist zumindest im ersten von zwei neuen Filmen recht häufig der Fall, greift sie zu Opas Diktiergerät und spielt eine willkürliche Passage ab. Oft genug passen die Aussagen perfekt zur jeweiligen Situation. Das gilt vor allem für Lieblings Rat, Panik sei „nur eine vorübergehende Existenzform“: Entsprechende Momente erlebt sie ständig, wobei sie jedes Mal Nasenbluten bekommt.
Foto: Degeto / Odeon Film / Britta Krehl
Davon abgesehen erzählen die beiden Filme Justizdramen, die zwar interessant sind, aber vor allem von den Hauptdarstellerinnen und ihren Rollen leben. Die junge Idealistin (Luise von Finckh) hätten sicher auch andere Schauspielerinnen überzeugend verkörpern können, aber Gabriela Maria Schmeide als Lisa Lieblings mütterlich-merkelige Kanzleipartnerin Talia Jahnka ist eine perfekte Besetzung. Fesselnd sind die Fälle der Juristinnen vor allem dann, wenn sie persönlich involviert sind. In „Bewährungsprobe“ gerät Lisa in ein moralisches Dilemma, als sie erkennt, dass sie auf der falschen Seite steht: Eine Juraprofessorin (Leslie Malton) bittet sie, gegen einen ihrer Studenten (Matti Schmidt-Schaller) vorzugehen, der ein verleumderisches Video von einer Vorlesung ins Netz gestellt hat. Lisa folgt der Strategie der früheren Staatsanwältin und gewinnt den Prozess mit Bravour, muss dann jedoch feststellen, dass nicht die Professorin, sondern der Student das Opfer ist.
Talia übernimmt derweil das Mandat einer Erzieherin, die bei der Arbeit einen Herzinfarkt erlitten hat. Kurz zuvor war sie noch in der Notaufnahme einer Klinik. Die Prämisse ist allerdings schwer zu glauben. Der erfahrene Arzt weiß angeblich nicht, dass sich ein drohender Infarkt bei Frauen anders ankündigt als bei Männern: Das wirkt recht weit hergeholt, aber es geht natürlich ums Prinzip und die Ungerechtigkeit, dass medizinische Forschung stets am männlichen Körper ausgerichtet war. Ein weiterer Fall präsentiert sich zumindest anfangs eher heiter, als sich Cem Oktay (Emre Aksızoğlu), Dritter im Kreuzberger Kanzleibund, eines Straßenmusikers annimmt: Der Mann hat einen sogenannten Platzverweis erhalten und baut sich zum erheblichen Unmut von Talia ausgerechnet vor der Kanzlei auf. Um die „Ruhestörung“ wieder loszuwerden, soll Cem den Platzverweis anfechten. Der Mann hat nicht nur noch weiteren Behördenärger, sondern zudem ein grundsätzliches Problem, das er nur selber lösen kann. Regie führte beim ersten der beiden neuen Filme Andreas Menck, der diverse Serienfolgen gedreht (allen voran „Doktor Ballouz“, ZDF) und auch Horst Lichters autobiografischen Bestseller „Keine Zeit für Arschlöcher“ sehenswert verfilmt hat (2022). Handwerklich hat „Bewährungsprobe“ ordentliches Fernsehniveau, aber sehenswert ist der Film neben den drei Erzählungen in erster Linie wegen der Mitwirkenden.
Foto: Degeto / Odeon Fiction / Oliver Feist
Das gilt auch für „Nachbarschaftshilfe“: Die Inszenierung (Petra K. Wagner) ist ähnlich beschaulich. Einziger offensichtlicher Unterschied ist eine deutlich buntere Farbgebung. Flott ist dagegen die Musik, obwohl das unausgesprochene Motto des Films „Takt & Tempo“ lautet. So heißt die kürzlich gegründete Tanzschule von Talias Schulfreundin Sarah, die eines Tages in die Kanzlei schneit. Ungleich fesselnder als das Mandat – ein Kunde ist während des Unterrichts über ein leicht erhöhtes Podest gestolpert und hat sich den Knöchel gebrochen, Sarah soll die Behandlungskosten übernehmen – ist das Subthema dieser Ebene: Selbst Talias langjährige Sekretärin weiß im Grunde nichts über die Chefin. Deren offizielle Vita beginnt erst mit dem Jura-Studium, als habe es die Zeit davor nicht gegeben. Sarah wirft ihrer einstmals besten Freundin vor, die Vergangenheit zu verleugnen; zu Schulzeiten haben sie Pläne für eine gemeinsame Zukunft geschmiedet. All’ das hat Talia nach der „Wende“ hinter sich gelassen; inklusive Sarah. Dass Schmeide (geboren in Bautzen) wie auch Ulrike Krumbiegel (Ost-Berlin) in Ostdeutschland aufgewachsen sind, mag aus Publikumssicht nicht weiter wichtig sein, trägt aber seinen Teil zum authentischen Spiel bei.
Soundtrack: (1) New Radicals („You Get What You Give“), Cat Stevens („Wild World“) (2) Blondie („Heart Of Glass“), Pretenders („Back On The Chain Gang“), Phil Collins („Dance Into The Light“); (2) Blondie („Heart of Glass“), Kate Nash („Foundations”), The Pre-tenders (“Back on the Chain Gang”), Silly („EKG“), Boygenius (“Not Strong Enough”), Shostakovich (Jazz Suite No. 2_ VI. Waltz II), The Beatles („Here Comes The Sun“)
Foto: Degeto / Odeon Fiction / Oliver Feist
Der Titel bezieht sich auf Lisas Mandat. Einer Witwe (Cornelia Heyse), die sich früher um Post und Pflanzen gekümmert hat, wenn die Kanzlei geschlossen war, droht ein typisches Altersarmutsschicksal: Die Finanzen waren stets Sache ihres Mannes, und weil er vor seinem Tod einen viel zu hohen und angeblich völlig risikofreien Kredit aufgenommen hat, steht sie nun vor einem Schuldenberg. Auf dieser Ebene würzt Andrej Sorin, der die Reihe entwickelt und auch diesmal die Drehbücher geschrieben hat, die Handlung mit kleinen Krimi-Elementen: Die junge Juristin glaubt, dass der nur bedingt geschäftstüchtige Gatte über den Tisch gezogen worden ist, kann das aber nicht beweisen. Angesichts der Sorgfalt, die der Autor bei den juristischen Details hat walten lassen, wirkt der Bluff, mit dem Lisa die Bank schließlich von einer gütlichen Einigung überzeugt, umso unglaubwürdiger. Abgesehen von der persönlichen Betroffenheit der beiden Anwältinnen würden die Geschichten ohnehin auch zu „Einspruch, Schatz!“ passen, der anderen juristischen Reihe freitags im „Ersten“; Manfred Krug beschert den Filmen als Lisas Ratgeber das Alleinstellungsmerkmal.

