Kaisersturz

Groth, Melles, Kämper/Machtan, Röhl. Wilhelminisch kostümiertes Kammerspiel

Foto: ZDF / Peter Steuger
Foto Thomas Gehringer

Die letzten Tage der deutschen Monarchie als Primetime-Dokudrama mit opulenten Kostümen und eindrucksvollen Schnurrbärten: „Kaisersturz“ (Produktion: AVE) will eine Art Countdown bis zum Beginn der Novemberrevolution 1918 erzählen, doch die brav aneinander gereihten Szenen kommen kaum in Fluss und erzeugen nur wenig Spannung. Zudem bleiben die Generäle außen vor, als wären sie nur historische Randfiguren. Dafür werden die Schwächen des homosexuellen Reichskanzlers Max von Baden umso ausführlicher dargestellt. Überzeugend das Spiel von Sylvester Groth und Sunnyi Melles als Kaiserpaar sowie von Christian Redl als Friedrich Ebert, der Monarchie und Demokratie miteinander versöhnen will, um die Revolution zu verhindern. Dem Film liegt die These des Historikers Lothar Machtan zugrunde, dass die Monarchie auch im Herbst 1918 noch eine Zukunft hatte.

9. November 1918: In Potsdam verschafft sich ein Trupp Revolutionäre Zugang zur Kaiserin im Neuen Palais. Ein Soldat mit Schrammen im Gesicht und einer roten Armbinde an der Uniform tritt vor Auguste Victoria, die entgeistert, mit Tränen in den Augen, fragt: „Sie wünschen?“ Was der Revolutionär „wünscht“, wird erst am Ende des Films aufgelöst. So weit, so gut – ein bisschen künstliche Spannung darf man einem Film über weitgehend bekannte historische Ereignisse schon zugestehen. Aber als könne das Publikum die Bedeutung dieser Inszenierung nicht verstehen, wird die Erklärung dazu aus dem Off gleich mit serviert: Während der Kaiser im Hauptquartier weile, sei die Kaiserin den Revolutionstruppen „schutzlos ausgeliefert“, heißt es, Mitleid heischend. Und da steht Sunnyi Melles, diese filigrane, zarte Schauspielerin, aufrecht und in großartigem Kleid. Man fürchtet als Zuschauer wirklich ein wenig um sie. Doch das Publikum muss auch noch Respekt für Auguste Victoria aufbringen: „Bis zuletzt hat sie für den Erhalt ihres Herrscherhauses gekämpft“, wird einem im Ton eines Untertanen mitgeteilt, der nichts auf seine Herrschaft kommen lassen will. Man möchte ergänzen: Eine Herrschaft, die sich demokratischen Reformen widersetzt, Deutschland militarisiert und in den verheerenden Ersten Weltkrieg geführt hat.

Starke Besetzung mit Groth, Melles, Redl und Hartmann
Das ZDF widmet mit „Kaisersturz“ dem Ende des Kriegs und dem Beginn der Novemberrevolution vor 100 Jahren ein Dokudrama in der Primetime, und bereits der Einstieg lässt vermuten, dass der Sender damit gerne das Publikum „abholen“ möchte, das es auch sonst gern mit Dokus aus der Welt des Hochadels unterhält. Weit überwiegend in Spielszenen erzählt der Film aus Sicht des Kaiserpaars, des Reichskanzlers Max von Baden sowie des Sozialdemokraten Friedrich Ebert die Entwicklung der letzten Wochen vor dem Beginn der Revolution. Die Besetzung kann sich sehen lassen: Sylvester Groth spielt den realitätsfremden Kaiser, Christian Redl den heimlich mit den Monarchisten verhandelnden Ebert, Hubertus Hartmann den homosexuell veranlagten Prinzen. In den Nebenrollen fällt neben Sunnyi Melles als stolze, standes- und machtbewusste Auguste Victoria vor allem Gerti Drassl („Die Vorstadtweiber“) als selbstbewusste, mit ihrem Ehemann auf Augenhöhe diskutierende Louise Ebert angenehm auf. So gibt es in dem männlich dominierten Historien-Drama neben der Kaiserin immerhin noch eine weitere zu beachtende Frauenfigur.

KaisersturzFoto: ZDF / Peter Steuger
Eine kleinere Rolle, aber sehr präsent: Sunnyi Melles als Kaiserin Auguste Viktoria.

Wilhelminisch kostümiertes Kammerspiel an Originalschauplätzen
Gedreht wurde an Originalschauplätzen wie dem Kasseler Schloss Wilhelmshöhe und dem Potsdamer Neuen Palais. Opulent sind also nicht nur die angeklebten wilhelminischen Schnurrbärte und prachtvollen Uniformen, sondern auch die Kulissen. Das passt immerhin zum Genre „Dokudrama“, wobei sich der dokumentarische Anteil eher bescheiden ausnimmt. Zwischen den Spielszenen gibt es ab und zu kurze Einschübe, in denen auch historisches Film-Material zum Einsatz kommt. Die Originalbilder stehen aber nicht für sich, sondern dienen vornehmlich als Illustration oder Beglaubigung der erklärenden Kommentare aus dem Off. Der Anspruch war, sich „möglichst genau an die historischen Begebenheiten zu halten“, wie Regisseur Christoph Röhl vom ZDF zitiert wird. Die Inszenierung scheint freilich unter der Last des Anspruchs zu leiden. Wirklich in Fluss kommt dieses wilhelminisch kostümierte Kammerspiel nicht. An den Schauspielern liegt es am wenigsten, doch bei allem Respekt etwa für das nuancierte Spiel von Sylvester Groth, der Wilhelm II. nicht nur als verstockten Herrscher, sondern auch als tragisch irrenden Menschen darstellt – die Szenen wirken in diesem thesenpapierartigen Film wie aneinandergereiht. Spannung kommt nicht wirklich auf.

Sozialdemokratische Gretchenfrage: Mitregieren oder nicht?
Die These lautet, in den Worten des Historikers Lothar Machtan, der Co-Autor und Fachberater der Produktion war: „Das deutsche Kaiserreich musste nicht zwangsläufig, gleichsam ,naturnotwendig‘ scheitern. Die historischen Akteure hatten es in der Hand, die Dinge auch anders zu gestalten. Der Auszehrung und dem Verfall der Monarchie hätte entgegengewirkt werden können: durch eine ernsthafte Auseinandersetzung der Herrschenden mit dem demokratischen Zeitalter, durch eine aufrichtige Versöhnung von Monarchie und Demokratie; etwa wie zeitgleich in Schweden oder den Niederlanden, wo die royale Spitze des Staates politisch ins zweite Glied zurücktrat, weil sie erkannte, dass die Zeit reif dafür war.“ Ebert, der eine Revolution für „gefährlich“ hielt und den Kaiserthron als „Halt für das Volk“ sah, hat es versucht. Er handelt im Gegenzug für die Unterstützung Max von Badens eine Regierungsbeteiligung der SPD aus. Außerdem müsse die Krone „den Wünschen des Volkes entgegenkommen“. Die Folgen sind nicht nur Widerworte seiner Frau am Kaffeetisch, sondern heftiger Streit im SPD-Vorstand. Die ewige sozialdemokratische Gretchenfrage – Mitregieren oder nicht – wird hier als Duell zweier Männer inszeniert: Ebert contra Philipp Scheidemann (Bernd Birkhahn). Man darf „Kaisersturz“ zugutehalten, dass der Film konsequent bei der kleinen Form bleibt und nicht auch noch versucht, den Krieg oder die soziale Wirklichkeit zu inszenieren. Die Stimme des Volkes humpelt allein in Gestalt eines Kriegsveteranen daher.

KaisersturzFoto: ZDF / Peter Steuger
Etwas mehr Sensibilität im Umgang mit homosexuellen Stereotypen wäre angebracht gewesen: Max von Baden (Hubertus Hartmann) und sein Vertrauter (Franz Hartwig).

Max von Baden wird als schlapper Trottel vorgeführt
Der historische Ansatz führt dennoch zu einer seltsamen Schieflage: Die Militärs haben zwar erheblichen Einfluss auf das Geschehen, was auch nicht unterschlagen wird, aber in der Inszenierung bleiben die Generäle Hindenburg und Ludendorff nur Randfiguren, die ein wenig in der Kulisse herumstehen. Besonders schlecht kommt dagegen Prinz Max von Baden weg. Historiker Machtan hatte vor fünf Jahren eine Biografie über ihn geschrieben, die in den Feuilletons als „glänzend“ (Die Zeit) und „fair“ (Die Welt) gelobt wurde. Davon ist im Fernsehen nicht viel übrig geblieben. Max von Baden wird als schlapper Trottel vorgeführt, dem politisches Gespür völlig fehlt und der ohne seinen Berater Kurt Hahn (Franz Hartwig) keinen eigenen Entschluss zustande bringt. Besonders problematisch ist, dass seine Homosexualität in direkten Kontext mit seiner Entscheidungsschwäche gestellt wird. Zum Beispiel in dieser kolportagehaften Szene: Während sich Reichskanzler von Baden von einem jungen Mann mit halb offenem Hemd massieren lässt, kommt Ebert zu Besuch und dringt darauf, dass Ludendorff, der gerade wieder umgeschwenkt ist und den Krieg doch fortsetzen will, gehen müsse. „Und der Kaiser am besten auch.“ Ob der Prinz denn nicht spüre, „was auf uns zukommt, wenn Ludendorff sich durchsetzt“? Da ringt sich Max von Baden nur ein laues „Ja, sicher“ ab und fügt hinzu: „Ich hoffe, mein Masseur ist noch nicht gegangen.“

Homosexuelle Stereotypen – gestern und heute
Richtig ist es natürlich, dass des Prinzen Homosexualität thematisiert wird, schließlich ist er damit in einer homophoben Zeit erpressbar – und welcher Hass ihm entgegenschlägt, wird beim Telefonat mit der Kaiserin nur allzu deutlich. Doch weil der Film protokollmäßig den Countdown der letzten Tage der Monarchie abarbeitet, wird die Anstrengung eines Doppellebens in jener Zeit nicht in Ansätzen deutlich, nur das Ergebnis: Hubertus Hartmann gibt den Max von Baden als kränklichen Hypochonder, dem jede Anstrengung zu viel scheint. Das passt dann leider nur zu gut zu dem mehrfach zitierten Vorwurf, er habe sich als Offizier unehrenhaft verhalten, indem er den Frontdienst verweigerte. Wirklich hinterfragt wird das nicht, weshalb ein unangenehmer, vermutlich nicht beabsichtigter Beigeschmack entsteht. Etwas mehr Sensibilität im Umgang mit homosexuellen Stereotypen wäre jedenfalls angebracht gewesen. (Text-Stand: 12.10.2018)

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Sylvester Groth, Sunnyi Melles, Christian Redl, Hubertus Hartmann, Franz Hartwig, Gerti Drassl, Bernd Birkhahn, Holger Handtke

Kamera: Peter Steuger

Szenenbild: Sylvester Koziolek, Dragan Denda

Kostümbild: Filiz Ertas, Dorota Budna

Schnitt: Julia Oehring

Redaktion: Stefan Brauburger, Annette von der Heyde

Produktionsfirma: AVE

Produktion: Walid Nakschbandi, Johanna Behre

Drehbuch: Dirk Kämper, Lothar Machtan

Regie: Christoph Röhl

Quote: 3,41 Mio. Zuschauer (11,4% MA)

EA: 31.10.2018 20:15 Uhr | ZDF

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