Die Trennung von seiner Frau verkraftet Paul (Christoph Schechinger) nur schwer. Arbeit kann da eine gute Ablenkung sein, noch dazu, wenn es darum geht, anderen zu helfen. In seinem aktuellen Fall sind es gleich zwei Menschen, die seiner Kompetenz und Umsicht als Psychologe bedürfen. Jasmina (Anna Hausburg), die zu blauäugiger Romantik neigende Sprechstundenhilfe in der Tierarztpraxis von Pauls Mitbewohnern, Sandkastenfreundin Jule (Mona Pirzad) und dessen Mann Aaron (Ben Braun), hat sich zu einer Lebendspende entschieden. Empfänger ist ihr Halbbruder Roman (Nico Ramon Kleemann), zu dem sie bisher keinen Kontakt hatte und auf den sie sogar jahrelang eifersüchtig war, weil er mit ihrem geliebten Vater zusammenleben durfte. Dieser, ein bekannter Schauspieler, erinnert sich erst jetzt wieder an sein erstes Kind. Paul erkennt schnell, dass es sich bei Fritz Thomas (Uwe Ochsenknecht) um einen mustergültigen Narzissten handelt, der nur sein eigenes Ego kennt. Der befreundete Tierarzt Eric (Ulrich Friedrich Brandhoff) ist besonders skeptisch, was die Leberspende angeht. Selbst Roman reagiert verhalten auf die einzige Maßnahme, die sein Leben retten kann, ja, er wirkt geradezu gleichgültig. Und dann ist da auch noch die Kommission, die ihre Zustimmung geben muss. Im Falle von Jasmina, die das Risiko nur auf sich nimmt, um die Liebe ihres Vaters zu gewinnen, könnte dies eine zu hohe Hürde sein.
Foto: Degeto / Hardy Spitz
„Im Schatten des Vaters“, die fünfte Episode der ARD-Freitags-Reihe „Käthe und ich“, lebt vor allem in der zweiten Hälfte von dem Dilemma, in dem sich die Hauptfigur befindet: Eine Organspende aus dem falschen Motiv heraus muss Paul ablehnen, andererseits will er natürlich das Leben des Empfängers retten, diesem 18jährigen Jungen, der so klug und sensibel ist, dem allerdings das elterliche Urvertrauen fehlt. Sollte Paul also versuchen, Jasmina die Augen zu öffnen, ihr die Wahrheit zu sagen über ihren vergötterten Vater? Das Dilemma: Nur über ihren existentiellen Schmerz wird der Junge zu retten sein. Autorin Brigitte Müller, auch Produzentin der Reihe, bringt Dramaturgie, Psychologie und das verhandelte medizinisch-ethische Problem in ein stimmiges Gleichgewicht. Hilfreich dabei sind das große Personal und die zahlreichen, kleinen Geschichten, oftmals nur angedeutet, um möglicherweise in späteren Episoden wiederaufgenommen zu werden. Sie relativieren dieses an sich schwere Drama auf Leben und Tod. Was Dramödien meist mit Witz und Humor gelingt, das schafft diese Reihe mit einer ständig suggerierten Alltäglichkeit, die Freundschaft und Familie großschreibt und sich für die Zuschauer als ein Zuhause-Gefühl über die Geschichten legt. Verhandelt werden dabei zumeist dysfunktionale Eltern-Kind-Beziehungen.
Soundtrack: Junip („Line of Fire“ = Titelsong; (1): Lionel Richie („Say You, Say Me“), Alice Boman („Dreams“), Allman Brown feat. Liz Lawrence („Sons and Daughters“); (2): Passenger feat. Josh Pyke („What You’re Thinking“), Fink („Look To Cloesely“), Harry Styles („Falling“), Lea („Elefant“)
Foto: Degeto / Hardy Spitz
Auch in der zweiten neuen Episode 2021, „Das Adoptivkind“, könnte der Casus knacksus ein Familienkonflikt sein: Der zwölfjährige Ben (Oskar Netzel) ist von einem Tag auf den anderen wie verwandelt, er beleidigt Klassenkameraden, und er mobbt sie, streitet aber alles ab. Die Folge: Er wird brutal zurückgemobbt – bis er schließlich in einer SMS einen Hilferuf loslässt: „Mein Vater schlägt mich“. Paul möchte zunächst weder die Polizei noch das Jugendamt einschalten. Die kennen nur Pauschallösungen und nehmen sich nicht wie er die Zeit, Familienbeziehungen auf den Grund zu gehen. Zunächst will er Pauls Schwester Luisa (Anna-Lena Schwing) auf den Zahn fühlen; denn auch sie verhält sich merkwürdig. Und es gibt einen weiteren Grund, weshalb dem Psychologen Bens Schicksal besonders nahegeht: Der Junge ist ein Adoptivkind, so wie auch er. Sein Thema bricht also wieder auf. Er hat es die letzten Jahre verdrängt – seit seine leibliche Mutter gern mit ihm Kontakt aufgenommen hätte. Mutter Helga (Hildegard Schroedter) ist ihm genug – und als er gezwungen ist, Ben aus seiner Familie zu nehmen, weiß er sofort, wem er den Jungen mit gutem Gewissen anvertrauen kann.
Die neuen Episoden von „Käthe und ich“ schließen in Bezug auf Handlung, Dramaturgie & Inszenierung, aber auch in punkto Qualität an die Filme von 2019 und 2020 an. Das Gefühl ist die treibende Kraft, nicht in der romantischen Variante, sondern als wichtigster Faktor bei der Heilung von seelischen Störungen, die in Pauls Fällen oft systemischen Ursprungs sind. Aber auch die filmische Ansprache des Zuschauers setzt auf das Emotionale, ohne den Verstand zuzukleistern: denn die Dialoge über medizinische und (familien)psychologische Sachverhalte werden knapp und sachlich formuliert und selbst die Landschaftsbilder als Projektionsfläche für die Emotionen der Geschichte(n) können vom Zuschauer als kurze Reflexionspausen genutzt werden. Weil die dargestellten Beziehungen mehrschichtig und interdependent sind, können auch die Lösungen nicht mehr so simpel sein, wie sie es in vergleichbaren Unterhaltungsfilmen vor ein paar Jahren noch waren. In der Episode „Im Schatten des Vaters“ sind es vor allem die vielen Figuren, die Unwahrheiten und Rationalisierungen, die die Geschichte in einem spanungsreichen Flow belässt, obwohl schnell der egomanische Schauspieler als Zentrum allen Übels ausgemacht werden kann. Ein bisschen weniger Spekulieren auf Fallhöhe und etwas weniger Holzhammer hätten (ob mit oder ohne Uwe Ochsenknecht) der Glaubwürdigkeit gutgetan. Schauspielerisch und von der inneren Spannung her die beste Szene ist jedenfalls die gegen Ende des Films, in der der eindrucksvoll als Mephisto geschminkte Egomane „entlarvt“ wird – und dem nun auf einmal die Worte fehlen.
Foto: Degeto / Hardy Spitz
Die Stärke der zweiten Episode, „Das Adoptivkind“, liegt vor allem in der titelgebenden Verbindung zwischen A- und B-Plot. Was bei anderen Filmen häufig bemüht wirkt, hier stört diese Dopplung des Adoptions-Motivs kein bisschen. Im Gegenteil: Sie vertieft den dahinterliegenden Diskurs, indem sie vor allem für die Biographie und die Erfahrung der Hauptfigur mit ihrer Mutter sensibilisiert. Auch wenn die Mobbing-Geschichte mit dem Verdacht auf häusliche Gewalt, die dem adoptierten Ben widerfährt, sich als Steigbügelhalter für Pauls private Geschichte(n) entpuppt, retrospektiv betrachtet also ein dramaturgischer Trick ist, der zudem noch die Spannung auf des Rätsels Lösung steigert: im Erzählfluss des dicht und sinnlich erzählten Films (Regie in beiden neuen Episoden: Oliver Liliensiek) dürfte das dem Normalzuschauer kaum auffallen. Dennoch besteht bei dieser Art des TV-Dramas – im Gegensatz beispielsweise zum ARD-Mittwochsfilm – immer die Gefahr, dass das Thema hinter der Dramaturgie mit ihrem Zwang zum Happy End verschwindet. Auch wenn das Leben weitergeht, wie „Käthe und ich“ dem Zuschauer angenehm vermittelt, so löst sich doch jedes Problem, jeder Widerspruch am Ende vollkommen auf. In beiden Fällen auf Kosten eines Buhmanns. Da muss sich nicht nur der Kritiker fragen, ob es da nicht elegantere Lösungen gibt. Die in anderen Filmen verwendete Strategie, alle Charaktere geheilt und geläutert aus der Geschichte zu entlassen, das jedenfalls ist erst recht keine bessere Lösung.