1965. Der Mini-Rock, die Beatles und die Pille sind noch nicht im bayerischen Lehrbach angekommen. Verhütet wird hier noch mit Schweinsblasen – und der Herr Pfarrer hat sowieso immer recht. Auf diese Hinterwäldler wirkt die selbstbewusste Pädagogin Julia Welling wie von einem anderen Stern. Dabei kommt sie doch bloß aus Berlin. Auch das noch, eine Preußin! Und ausgerechnet die soll das neue Kinderheim im Auftrag der Diözese leiten!? Mit Mini, geschminkt und so gar nicht gottesfürchtig – die Dorfbewohner befürchten Sodom und Gomorra. Und dann versteht sich diese Person auch noch gut mit dem schneidigen US-Major David Carter, der die Auflösung des Militärstandorts in Lehrbach abwickelt und der Julia die leerstehende Kaserne verkauft hat. Da ist gleich wieder Gerede im Dorf. Doch die Zimmerwirtin ist gestreng: kein Männerbesuch. Könnte das denn überhaupt was werden mit Julia und dem amerikanischen Soldaten? Als Tochter eines überzeugten Nazis ist ihr Krieg verhasst. Und er hat Vorbehalte gegen Germany. Doch warum spricht er so gut Deutsch?
Foto: ZDF / Erika Hauri
Das ZDF-„Herzkino“ begibt sich in die vermeintlich so wilden Sixties, allerdings dorthin, wo sich die Kühe gute Nacht sagen und die patriarchalischen Strukturen der 50er Jahre menschenverachtende Urständ feiern. Eingeschüchterte Frauen und Kinder, die als billige Arbeitskräfte vom Vater missbraucht und geschlagen werden – das geht der Heldin in „Julia und der Offizier“ gehörig gegen den Strich. Sie tritt mit einem Konzept von Reformpädagogik an, das den mit Reichsarbeitsdienst groß gewordenen Erwachsenen im Dorf schwer zu vermitteln ist. Eine „demokratische Pädagogik“, die auf Toleranz und Zivilcourage, auf Ich-Stärkung und kindgerechtes Verhalten setzt, ist das erklärte Ziel der Heldin. Viel vermittelt sich davon nicht im Film – mal ein engagiertes Plädoyer, mal ein reformpädagogischer Nebensatz. Das Leben der Kinder im Heim bleibt am Rand der Geschichte, dafür lässt sich die Haltung der Heldin mitunter an den Disputen mit den Dörflern deutlich erkennen. Außerdem tritt ein Erziehungskonflikt außerhalb des Heims in den Vordergrund: die Geschichte eines Jungen, der von seinem Vater geprügelt wird und von zu Hause fort läuft. Julia nimmt sich mit Hilfe ihres Offiziers dem Jungen an, versucht, dem Vater das Sorgerecht zu entziehen und zeigt ihn auch noch an. Das sorgt für böses Blut – und dann brennt das Kinderheim.
Soundtrack: Four Tops („I Can’t Help Myself“), Supremes („Where Did Our Love Go“), The Searchers („Needles And Pins“), Who („My Generation“), Sarah Vaughan („All or Nothing At All“), Byrds („Mr. Tambourine Man“), Bobby Darin („Dream Lover“), Simon & Garfunkel („Sound Of Silence“)
Foto: ZDF / Erika Hauri
Ein Wohlfühlfilm, in dem es um etwas gehen soll, ohne dass daraus gleich ein kapitaler Themenfilm wird, eine Romanze, die von der deutschen Geschichte überschattet wird – solche Versuche sind jenseits des Event-Fernsehens hierzulande eine Rarität. Und sie sind eine Kunst, die selbst den amerikanischen Unterhaltungskünstlern nicht allzu oft gelingt. „Julia und der Offizier“ beginnt herzerfrischend und man würde diesem Film gern 90 Minuten die Gefühle entgegenbringen, die die Geschichte für ihre Heldin übrig hat. Henriette Richter-Röhl spielt ihr frühes Beat-Girlie mit Bienenkorb, sexy-Lidstrich und einem Hauch Corrèges-Styling mit einer Selbstverständlichkeit, wie man diese Zeit wohl nur von heute aus spielen kann. So richtig aber glaubt man dem Film seine Zeit nicht. Es sind einfach zu viele Konflikte, zu viele politische Fässer, die im sonnigen Bayernland mal eben aufgemacht werden: Reform-Pädagogik, die menschenverachtende Kinderheimpraxis der Kirchen in den 50er und frühen 60er Jahren, die Doppelmoral der Gottesmänner, die Keuschheit predigen, aber es selbst mit ihr nicht so genau nehmen, das geistige Erbe des Nationalsozialismus, die Judenverfolgung, die amerikanische „Besatzung“, die Ressentiments gegen das Fremde, die unzureichende Entnazifizierung, die dörfliche Struktur… Dann soll das Ganze auch noch zusammengehalten werden von einer Grenzen überschreitenden Liebe. Ein bisschen viel fürs „Herzkino“.
Nicht, dass all die Themen in einem einzigen Film nicht angeschnitten werden könnten, aber dazu bedarf es eines klug konzipierten Drehbuchs, eines, das sich entscheidet zwischen einer Romanze und dem Porträt einer faszinierenden Frau. Der Titel „Julia und der Offizier“ und der Sendeplatz geben ein Versprechen auf Liebe. Auch gehören die Szenen zwischen Richter-Röhl und David Rott zu den stärksten Momenten. Jedoch schwenkt der Film zwischenzeitlich ganz auf die Seite der Heldin und ihres unamourösen Engagements. Das hat auch mit der Rezeption zu tun. Die Emanzipations- und Sittengeschichte, der Dorfkampf und die Kinderheim-Problematik sind nun mal der attraktivere, weil ungewöhnlichere, letztlich bewegendere Teil der Geschichte. Liebesgeschichten begegnen einem in jeder Seifenoper, auch politisch unterfüttert, im historischen Kontext sieht man sie oft genug. So Stil- und Genre-sicher der Film auch im Detail inszeniert ist, in punkto Story-Taktung und Tonlagen-Timing stimmt es hier nicht. Die große Leidenschaft der Heldin muss man sich selbst denken. Dass sie mit dem feschen Offizier nicht in die Kiste springt, muss als Indiz dafür genügen, dass sie es ernst meint mit ihm. Wahrscheinlich fehlte einfach nur die Sendezeit. Das Liebesfilm-Finale jedenfalls überrascht. Vor allem der Ausbruch der Heldin („aber ich brauch dich doch“) kommt ziemlich unverhofft und wirft plötzlich ein anderes Bild auf die taffe Großstadtpflanze. Spätestens da beißen sich Genrekonvention und Rollenprofil.