John Rabe war noch vor 20 Jahren ein unbekannter Deutscher. Von 1911 bis 1938 war er der Direktor der Siemens-Niederlassung in Nanking. Er war NSDAP-Mitglied und ein aufrechter Nationalsozialist. 1996 wurden seine wieder aufgetauchten Tagebücher veröffentlicht und plötzlich war die Rede vom „guten Deutsche von Nanking“. Zehn Jahre später entstand ein aufwendiger Kinofilm (Budget: 17 Mio. Euro) an Originalschauplätzen, der John Rabe noch bekannter machen sollte. Dafür gab es Preise, doch die Zuschauer blieben weg. Das könnte sich zur Erstausstrahlung der 180-minütigen TV-Langfassung im ZDF wiederholen.
Nanking, 1937. Die Japaner bombardieren und besetzen die Stadt. Sie gehen grausam auch gegen die Zivilbevölkerung vor. Beim „Massaker von Nanking“ werden mindestens 200.000 Chinesen niedergemetzelt. John Rabe bleibt als einer der wenigen Europäer im asiatischen Hexenkessel. Unter seiner Leitung wird eine Schutzzone für die Zivilbevölkerung eingerichtet, für Frauen, Kinder und alte Menschen. Das Hakenkreuz bietet größtmöglichen Schutz gegen die Übergriffen der Japaner, die mit Nazi-Deutschland verbündet sind. Zu Rabes Mitstreitern gehören ein deutschjüdischer Botschaftsangestellter, ein britischer Besserwisser, ein die Deutschen verachtender US-Chirurg und eine französische Lyzeumsleiterin. Hunderttausende strömen in die Zone – weit mehr als erwartet. Entsprechend schlecht ist die Versorgungs-Situation. Als sich die Japaner nicht mehr an die Abmachungen halten und die Sicherheitszone stürmen wollen, ist es die kämpferische Standhaftigkeit, die Rabe gegen jede politisch-diplomatische Logik die Oberhand im Ringen um 200.000 Menschenleben behalten lässt.
Ein Nazi als Held, das Hakenkreuz als Schutzmantel – „John Rabe: Der gute Deutsche von Nanking“ testet etwas aus, was sich bisher kein großer historischer Film geleistet hat. Keine Frage, dieser John Rabe sollte nicht dem Vergessen anheim fallen. Aber bedarf es dazu einer solchen gigantischen Kino-Unternehmung? Zu viele solcher standardisierten Historien-Stücke hat man schon gesehen. Da weht die Hakenkreuzfahne, da schreitet der gute Mensch zur Tat, da wird Geschichte zum Heldengemälde. Die Dramaturgie geht über Leichen. Das ist mehr als nur der Historie geschuldet: Leichenberge müssen herhalten, damit die Handlung emotional in Gang kommt. Im zweiten Teil funktioniert die Geschichte besser, die Akteure sind eingespielt und die Massenszenen sind weicher eingebunden in das Drama der Hauptfiguren.
Insgesamt erfährt der Stoff durch die verlängerte Fernsehfassung keine Vertiefung, die ausführlicheren Nebengeschichten verdichten das Ganze nicht, sondern machen den Film einfach nur länger. Gallenbergers „John Rabe“ hat aber auch Szenen, die angenehm in Erinnerung bleiben. Es sind die Szenen zu zweit: ob zwischen Rabe und seiner Frau, zwischen Rabe und der ihn mehr als nur verehrenden Schulleiterin oder vor allem das nächtliche Besäufnis der politischen Kontrahenten, dem Hitler-Hasser und dem Hitler-Anhänger, Tukur vs. Buscemi. Dagegen fallen die Massenszenen und Tableaux ab, die vom großen Kino künden, ohne das Versprechen davon wirklich einzulösen. Über diesen John Rabe könnte man sich andere, bessere Filme (auch Dokumentarfilme) vorstellen – auch mit Ulrich Tukur!