„Ulmen“ bumst eine AfD-Politikerin und „Yardim“ fühlt sich auf einmal ganz queer
Sie sind die Könige der Fremdscham, gegen die Stromberg wie ein netter Onkel von nebenan wirkt. Christian Ulmen und Fahri Yardim spielen zwar nicht sich selbst, performen allerdings unter ihrem Klarnamen, geben vor, ein Stück weit ihr eigenes Lebensumfeld zu bespielen – und das mit ganz wenig Drehbuch, dafür mit viel Improvisation. Dieser fiktive Doku-Charakter („Die geschilderten Ereignisse beruhen auf wahren Begebenheiten“) befeuert möglicherweise noch das Fremdschämen beim Zuschauen. Diese beiden Kumpels sind und bleiben unmöglich – auch in der fünften und letzten Staffel der Pro-Sieben-Serie „Jerks“ (2017-23), die nun, eineinhalb Jahre nach der Joyn-Premiere, im Free-TV zu sehen ist. Der eine wanzt sich an die Klimaaktivisten heran, der andere fühlt sich auf einmal ganz queer. Mit Frauen läuft eher wenig (sieht man von dem Wow-Sex mit einer AfD-Politikerin ab), die wiederaufgewärmte Beziehung mit Collien findet endgültig ein Ende, als sich Christian auf eine spontane Masturbationssession mit einem trauernden Busfahrer einlässt, und Fahri geht natürlich mal wieder fremd, was die beiden veranlasst, in einem Dorf ein Jahr lang sexuelle Enthaltsamkeit zu üben. Zwischendurch erfährt der Zuschauer mit zwei Episoden in die Kindheit und in die Jugend, wie sich die beiden kennengelernt haben und wie aus Fahri ein Analverkehr-fixierter Sexsüchtiger wurde. Natürlich ist mal wieder der beste Freund nicht ganz schuldlos daran. Beinahe hätte die komischste deutsche Comedy der letzten Jahre ein tragisches Ende genommen. Doch einmal, wenigstens einmal zeigt „Christian Ulmen“ Mitgefühl (mit seinem Freund) und vermasselt es nicht sofort wieder.
Foto: Pro Sieben / Joyn / André Kowalski
Der feige Maulheld & der miesepetrige Prinzipienreiter sind die Zielscheibe des Spotts
Möglicherweise scheiden sich an „Jerks“ die Geister. Sicherlich ist das Autorenteam um Johannes Boss und Christian Ulmen in den 51 Folgen (zwischen 20 und 30 Minuten Länge) stets an die Grenzen des sogenannten „guten Geschmacks“ gegangen, für einige vielleicht sogar darüber hinaus, aber sie haben – wie bei allen realen Zeitgeist-Phänomenen, vom weiblichen Masturbationskurs bis zur Cancel Culture – auch bei der Comedy unter der Gürtellinie immer sich selbst zur Zielscheibe des Gespötts gemacht. Sie sind die Dödel. Sie sind die, die mit Männerbündelei und aus der Zeit gefallenen Macho-Sex-Phantasien um die Ecke kommen. Während der eine, Fahri, das schräge Verhalten herunterspielt und vor allem bei Frauen Schönwetter zu machen versucht, kann Prinzipienreiter Ulmen meist kein Ende finden, will diskutieren, wo es nichts mehr zu diskutieren gibt – was doppelt peinlich ist. Wie in den meisten Freundschafts-Comedys feiern in „Jerks“ Egoismus und Narzissmus fröhliche Urständ. Da treffen sich regelmäßig ein feiger Maulheld, der für einen „guten Fick“ seine Großmutter verkaufen würde (oder zumindest seinen „besten Freund“) und ein nerdiger Rumdruckser, der in peinlichen Situationen durchaus Schamgefühle kennt, dem auf dem Weg dorthin allerdings jedes Gespür für gesunde, gesellschaftliche Normen abhandengekommen ist. Das ist im Übrigen ein wesentlicher Unterschied zu „Curb Your Enthusiasm“ („Lass es, Larry“, 2000-2024), von der sich nicht nur die Serie „Pastewka“ inspirieren ließ: Während das Verhalten von „Christian Ulmen“ schon fast ins Autistische geht, ist „Larry David“, ähnlich wie der Autor und Hauptdarsteller selbst, ein genauer Beobachter seines sehr speziellen L.A.-Biotops der Reichen und Schönen, er stänkert gegen (sinnlose) gesellschaftliche Konventionen, ist ein geistreicher Querdenker und nur selten ein verquälter Miesepeter.
Der psychologisch-selbstreflexice Mehrwert von „Jerks“:
Mehr als jede andere Comedy konfrontiert einen „Jerks“ – sofern man sich nicht sofort abwendet – mit den eigenen geschmacklichen Grenzen und persönlichen Wertmaßstäben. Die Serie ist nach dem (möglichen) spontanen Spaß und dem lustvollen „Peinschweiß“, der geflossen sein mag, offen für diverse Arten von Selbstreflexion. Mir persönlich beispielsweise fiel auf, dass ich die 51 Folgen einigermaßen überstanden habe, allerdings beim zweiten Sehen einiger Folgen (wahrscheinlich im Wissen um die kommende Peinlichkeit) die besonders beschämenden Momente überspringen musste. Die Neugier auf den Ausgang hat offenbar beim ersten Sehen das unangenehme (Fremd-)Schamgefühl gebremst.
Foto: Pro Sieben / Joyn
Was andere über „Jerks“ geschrieben haben = Zitate, die ich unterschreiben würde:
Johanna Adorján in „Süddeutsche Zeitung“ (17.1.2017)
„Ganz normale Typen also, ein bisschen feige, egoistisch und exakt so unaufrichtig, wie es für sie jeweils von Vorteil ist, trotz allem aber insgesamt sehr liebenswert und manchmal sogar rührend in ihrer sehr heutigen männlichen Hilflosigkeit, in der so viel von der trotzigen Weigerung steckt, erwachsen zu sein.“
„Aber das Wichtigste: Diese Serie hält den Zuschauer nicht für blöder als sich selbst. Sie ist auf Augenhöhe gemacht. Ohne Rücksichtnahme darauf, ob irgendetwas vielleicht falsch ankommen könnte. Nichts wird entschuldigt oder beschönigt, nichts einmal zu oft erklärt oder vorsichtshalber mit ironischem Spaßmacher-Zwinkern versehen.“
Markus Ehrenberg in „Tagesspiegel“ (20.12.2020)
„Offenbar gibt es da eine Affinität zur Fremdscham. Die tritt bekanntlich auf, wenn eine andere Person Normen oder Werte verletzt und das selbst nicht merkt oder nicht als peinlich empfindet. Sie ist damit ein wichtiges Regulativ. Eben wie ‚Christian Ulmen‘, der seine Serien-Freundin Emily (Emily Cox) ständig enttäuscht, Versprechen und Verabredungen vergisst.“
Jan Freitag auf „DWDL“ (3.2.2023)
„Schließlich ist die Serie trotz Würgereizes beim Zusehen auch deshalb so bekömmlich, weil sie männliche Marotten der Generation X für vorige und folgende Alterskohorten auf Täterkosten greifbar macht, ohne didaktisch zu wirken.“
Anja Rützel in „Der Spiegel“ (2.2.2024)
„Es geht natürlich wieder mal um Körperflüssigkeiten. Mindestens Peinschweiß fließt auch beim Zuschauen, wenn ‚Jerks‘ mit der fünften Staffel nun auf die finale Zielgerade des selbst verursachten, schmerzhaft eskalierenden Alltagsleidens einschwenkt.“
„Beim Zuschauen wartet man, wenn ‚Jerks‘-erfahren, wie bei einer Achterbahnfahrt auf den Abwärtssturz: mit behaglichem Ekel. Manchen Plotverlauf kann man erahnen, anderes – wie etwa die trauliche Onaniererei mit dem Busfahrer – sieht man beim schlechtesten Willen nicht kommen.“