Jerichow

Fürmann, Hoss, Sözer, Petzold & die Leidenschaft im globalisierten Kapitalismus

Foto: BR / Arte / Christian Schulz
Foto Rainer Tittelbach

Unaufhaltsam nimmt die Tragödie ihren Lauf. Geld – Macht – Liebe. So funktioniert das Spiel, nicht nur im Osten Deutschlands. „Man kann sich nicht lieben, wenn man kein Geld hat“, lässt Laura beiläufig den Kernsatz des Films fallen. Als Parabel auf den gescheiterten Aufbau Ost lasen Kino-Kritiker den Petzold-Film. Schon als Thriller-Variation im Arthaus-Stil ist „Jerichow“ mit seiner schnörkellosen Handlungsführung, den vielen Petzoldschen Auto-Käfig-Szenen und seiner perfekten Tragödien-Dramaturgie überragend genug.

Seine Mutter ist gestorben. Thomas, Zeitsoldat in Afghanistan, unehrenhaft aus der Armee entlassen, ist deshalb in seine alte Heimat zurückgekehrt: Jerichow, keine biblische Oase, sondern ein Kaff, irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern. Die Gegend ist flach, wenig einladend, kaum bebaut, an den Straßen stehen Discounter oder mal ein Schnellimbiss. Die meisten von ihnen gehören dem Deutschtürken Ali. Als der seinen Führerschein verliert, braucht er dringend einen Fahrer für seine Lieferungen und Kontrollgänge. Der wortkarge Thomas scheint ihm dafür der Richtige zu sein. Ali vertraut ihm – ganz im Gegensatz zu seiner Frau Laura, die von ihm zwanghaft kontrolliert wird. Von Thomas nimmt sie anfangs scheinbar wenig Notiz. Einer mehr, der nach der Pfeife ihres Mannes tanzt. Nach einem Picknick am Meer, bei dem der besoffene Ali die beiden einander in die Arme treibt, fallen sie wenig später wie Tiere übereinander her. Sie haben keine Wahl. Ihre Körper wollen es so.

Unaufhaltsam nimmt die Tragödie ihren Lauf in Christian Petzolds „Jerichow“. Geld ist die Währung in dieser verhängnisvollen Dreiecksgeschichte, die die Struktur und die Motive von James M. Cains Roman-Thriller „The Postman Always rings twice“ variiert, der es bereits auf drei bemerkenswerte Verfilmungen gebracht hat. Kaum eine Sequenz, in der das Geld die Beziehungen nicht beeinflussen würde. Geld – Macht – Liebe. So funktioniert das Spiel, nicht nur im Osten Deutschlands. „Man kann sich nicht lieben, wenn man kein Geld hat“, lässt Laura, von Nina Hoss in einer Mischung aus edler Größe und stiller Schlampe gespielt, beiläufig den Kernsatz des Films fallen. Als Parabel auf den gescheiterten Aufbau Ost lasen Kritiker den Petzold-Film zur Kino-Premiere. Die Konzentration der Erzählung lässt solcherlei Interpretationen zu, ohne dass es so aussieht, als ob man dem Film damit Gewalt antue. Die Lesarten schälen sich direkt aus den Sinneseindrücken heraus, aus den Situationen, den Bildern, den Bewegungen der Schauspieler. Doch als essenzieller Thriller, als Genre-Variation im Arthaus-Stil ist „Jerichow“ mit seiner schnörkellosen Handlungsführung, den vielen Petzold-typischen Mein-Auto-ist-mein-Käfig-Szenen und einem dramaturgisch perfekten Netz aus vorausdeutendem und retrospektivem Zeichenspiel schon überragend genug. Durch die Zusammenführung von griechischer Tragödie, amerikanischen (Kino-)Mythologie und Arthaus-Sinnlichkeit gelingt dem wichtigsten deutschen Autorenfilmer sein bislang perfektester und (theoretisch) publikumsträchtigster Film. (Text-Stand: 8.7.2011)

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Kinofilm

Arte, BR

Mit Benno Fürmann, Nina Hoss, Hilmi Sözer

Kamera: Hans Fromm

Schnitt: Bettina Böhler

Musik: Stefan Will

Soundtrack: Sezen Aksu

Produktionsfirma: Schramm Film

Drehbuch: Christian Petzold

Regie: Christian Petzold

EA: 13.04.2011 22:00 Uhr | Arte

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