Fernsehen ist ein Unterhaltungsmedium, und das bezieht sich nicht bloß auf Quiz, Shows und Comedy. Unterhaltung ist alles, was dem Zeitvertreib und der Flucht aus dem Alltag dient; also auch und vor allem die Sonntagsfilme im „Zweiten“. Das typische Unterhaltungs-Publikum ist eher konservativ, was in diesem Fall heißt: Es möchte, dass seine Erwartungen erfüllt werden; Überraschungen sind okay, aber bitte nur innerhalb eines gewissen Rahmens. Deshalb ist das „Herzkino“ in diesem Sinne einer der konservativsten Sendeplätze im deutschen Fernsehen. Hier ist es bereits ungewöhnlich, wenn das Drehbuch zur „Inga Lindström“-Romanze „Geliebter Feind“ aus dem Erzählschema „Eine Frau zwischen zwei Männern“ ausbricht: Gastronomin Elli ist mit ihrem Koch tatsächlich nur befreundet, weshalb der Liebe zur Titelfigur nichts im Wege steht; selbst wenn sie den jungen Mann und seinen Chef verdächtigt, sie wollten das Lokal zugrunde richten, um es anschließend es zu einem Spottpreis übernehmen zu können. Solche Hürden gehören ebenso zum üblichen Muster wie der abrupte, aber natürlich nur vorübergehende Bruch der Beziehung kurz vor Schluss.
Das klingt zunächst nicht weiter aufregend, zumal das ZDF solche oder ähnliche Geschichten fast jeden Sonntag erzählt. Aber „Geliebter Feind“ ist ein Film von Oliver Dieckmann, der das Drehbuch gemeinsam mit Aline Ruiz Fernandez geschrieben hat; die beiden waren auch für die mehr als sehenswerten romantischen „Lindström“-Dramen „Liebe verjährt nicht“ (2020) und „Der schönste Ort der Welt“ (2021) verantwortlich. Diesmal ist das Vorzeichen deutlich komödiantischer, und dafür sorgt in erster Linie ein kleines Mädchen. Der Film beginnt mit dem Fund einer alten Blechbüchse in einem Bootshaus. Der Mann, der die Dose findet, wird von Simon Licht gespielt, und der muss in Filmen dieser Art meist Figuren verkörpern, die mindestens zwielichtig sind. Tatsächlich führt Viggo Berg nichts Gutes im Schilde: Kurz drauf beobachtet ihn Elli (Pia Amofa-Antwi) bei einer Auseinandersetzung mit ihrem Vater Karl (Joachim Raaf). Der Streit hat Karl derart aufgeregt, dass er anschließend zusammenbricht und ins Krankenhaus muss, und das ist nur der Anfang der schlechten Nachrichten: Aus heiterem Himmel bekommt das beliebte Fischrestaurant bloß noch miserable Bewertungen. Da muss Berg dahinterstecken! Der Investor sucht nach Gründstücken mit Meerblick, um dort Hotels zu errichten. Also fährt sie in die Zentrale des Unternehmens, um ihn zur Rede zu stellen, trifft dort aber nur den attraktiven Juniorchef. Lucas (Gerrit Klein) glaubt, sie wolle sich für eine Stelle als Fahrerin bewerben, und weil sie im Gegensatz zum letzten Chauffeur prima mit seiner kleinen Tochter Ronja (Ida Wieland) klarkommt, kriegt sie den Job. Fortan nutzt Elli jede sich bietende Gelegenheit, um in den geschäftlichen Unterlagen zu schnüffeln; außerdem verbringt sie viel Zeit mit der vernachlässigten Ronja.
Foto: ZDF / Ralf Wilschewski
Niemand wird sich darüber wundern, wie sich dieser Handlungsstrang weiterentwickelt, zumal selbst einzelne Szenen vorhersehbar sind: Wenn Elli am Ufer entlang balanciert, um Lucas beim Gespräch mit seinem Chef zu belauschen, fällt sie selbstredend ins Wasser, und weil er sich über sie lustig macht, sorgt sie dafür, dass es ihm nicht besser ergeht. Solche Momente sind Teil der stillen Übereinkunft zwischen Buch, Regie und Publikum, ebenso wie die Landschaftsbilder, wobei Dieckmann in dieser Hinsicht nicht ganz so verschwenderisch mit der Sendezeit umgeht wie andere Sonntagsfilmregisseure; außerdem verzichtet die Musik (Martina Eisenreich) auf den üblichen Zuckerguss. Ungleich überraschender als der Slapstick ist der Trick, mit dem sich Elli ins Firmengebäude mogelt, zumal sie ihn am Schluss gleich noch mal anwendet. Aber das Beste sind die Dialoge, und in dieser Hinsicht erweist sich Ida Wieland als echter Glücksgriff: Ronja entspricht zwar in mancherlei Hinsicht dem Muster des typischen Filmkinds, aber das Mädchen verkörpert die Rolle mit großer Natürlichkeit und trägt ihre witzigen Zeilen mit einer beeindruckenden Selbstverständlichkeit vor; die Szenen mit ihr, Pia Amofa-Antwi und Gerrit Klein gehören mit Abstand zu den besten des Films. Das erwachsene Duo ist allerdings ähnlich famos. Ida Wieland kannte ihre Filmpartnerin womöglich bereits als Moderatorin des Kika-Magazins „Pia und die wilden Tiere“ (BR); in Filmen und Serien war Amofa-Antwi bislang nur Nebendarstellerin. Weitere Hauptrollen dürften wie auch für Klein nach diesem Film nur eine Frage der Zeit sein.
Soundtrack: Joshua Radin („Someone Else’s Life“), Gladys Knight & The Pips („Midnight Train To Georgia”), A Fine Frenzy („Almost Lover”)
Der Rest der Handlung stammt aus dem bekannten „Lindström“-Baukasten: Elli, deren Tarnname Madita Lillebror eine kleine Verbeugung des Drehbuchs vor Astrid Lindgren ist, stößt bei ihren Nachforschungen auf ein dreißig Jahre altes dunkles Familiengeheimnis, wobei sich rausstellt, dass Viggo seinen Schurkereien zum Trotz die tragische Figur der Geschichte ist. Sehr sympathisch ist allerdings der souveräne Umgang mit Ellis Herkunft: Anderswo wäre garantiert ausführlich thematisiert worden, warum sie eine dunkle Hautfarbe hat; hier wird beiläufig eingestreut, dass ihre Großmutter in Südafrika lebt. Ein echter Hingucker ist auch Lucas’ Auto, ein Cadillac DeVille Cabriolet, Baujahr 1965. (Text-Stand: 1.3.2022)
Foto: ZDF / Ralf Wilschewsk