„Familienbande“ aus der „Inga-Lindström“-Reihe erweist sich als ungewöhnlich komplex für eine „Herzkino“-Geschichte: Es gibt zwei Liebesgeschichten, eine Ehekrise, eine Adoptions-Ebene; es geht um den Schutz eines Waldes vor der Abholzung und den Umgang mit Behinderten, außerdem spielen Pferde eine große Rolle. Dann gibt es noch einen skurrilen Wettbewerb zwischen zwei älteren Herren, zwei Ereignisse in der Vergangenheit, die gleich mehrere Lebensläufe geändert haben, sowie eine überraschende Vaterschaft. Inszeniert wurde der Film von John Delbridge; der gebürtige Brite ist ein Veteran des gefälligen deutschen Romanzen-TV, seine Filmografie ist gespickt mit Beiträgen zu Reihen und Serien wie „Inga Lindström“, „Katie Fforde“, „Utta Danella“, „Emilie Richards“ oder „In aller Freundschaft“. Leider weiß er zu genau, welche Bilder das ZDF für seinen Sonntagssendeplatz erwartet…
Das Drehbuch stammt ausnahmsweise nicht von „Lindström“-Alias Christiane Sadlo, sondern von Stefanie Sycholt, die für die „Herzkino“-Redaktion bislang vor allem die Reihen „Cecelia Ahern“ und „Ein Sommer in…“ bedient hat und ansonsten im Drama („Themba“) reüssierte. Hier erzählt sie die Geschichte der Anwältin Eva (Gesine Cukrowski), die mit ihrem Mann Carl (Siegfried Terpoorten) und dem 13jährigen Sohn Adoptivsohn Nils (Michelangelo Fortuzzi) zu ihrem Vater (Leonard Lansink) aufs Land fährt. Der Urlaub dient vor allem der Eherettung: Carl hat ein angeblich beendetes Verhältnis mit einer anderen Frau. Schon die ersten Bilder nehmen vorweg, wie die Sache ausgehen wird: Mit großem Interesse beobachtet Eva einen feschen Reitersmann (Thure Riefenstein). Später stellt sich zwar heraus, dass Eva einst eine überaus erfolgreiche Reiterin war, aber zunächst entsteht natürlich der Eindruck, als gelte ihre Neugier dem Kerl, und dieser Schluss ist nicht verkehrt, wie sich zeigen wird.
Soundtrack: Taylor Swift („Begin Again“), Lilly Wood & The Prick & Robin Schulz (“Prayer in C”)
Geschickt verknüpft das Drehbuch fortan die Erzählebenen, auf denen sich Eva tummelt: Der Reiter, Per, besitzt ein Gestüt, will die Zucht vergrößern und braucht dafür mehr Platz, deshalb soll ausgerechnet der Lieblingswald von Evas verstorbener Mutter dran glauben. Sohn Nils, ohnehin in einer schwierigen Phase, will seine leiblichen Eltern kennenlernen; Eva hat Angst, ihn zu verlieren, zumal es offenbar ein Geheimnis um seine Geburt gibt. Gatte Carl scheint zwar bereit für einen Neuanfang, aber Delbridges Inszenierung sorgt dafür, dass seine Auftritte stets von einem Hauch des Zweifels umweht werden. Und dann ist da ja noch der schmucke Per, den Eva im Zuge der Auseinandersetzung um das Wäldchen näher kennenlernt und der ihr keck einen Kuss raubt. Nebenbei verliebt sich Nils in Pia, die Tochter von Evas bester Freundin (Anna Schäfer); und ihr Vater Sven, Tierarzt, wettet mit seinem Freund Björn, Menschenarzt (Zierl), dass sein Schwein genauso lernfähig ist wie Björns Hund.
Die entsprechenden Dressurversuche sorgen selbstredend für die komischen Momente des Films, aber davon abgesehen ist Sven eine wunderbare Opa-Rolle für Leonard Lansink, die der „Wilsberg“-Darsteller mit viel Wärme und Weisheit und gar nicht stinkstiefelig verkörpert. Auch die anderen Mitwirkenden passen gut zu ihren Figuren. Mitunter spürt man das Spiel, und die beiden jungen Darsteller stolpern einige Male über ihre Dialoge, aber im Großen und Ganzen fällt das nicht weiter ins Gewicht. Eine bemerkenswerte Rolle hat Marek Harloff: Pers Bruder Robbie ist seit einem Autounfall, bei dem seine hochschwangere Frau starb, geistig behindert. Er ist eine Seele von Mensch, aber auch etwas anstrengend, weil er in seiner kindlichen Einfalt unbequeme Wahrheiten ausspricht, die Erwachsene eher für sich behalten würden. Harloff spielt das sehr überzeugend und anrührend, profitiert aber auch von einem besonderen Figurenentwurf. Robbie hat ein großes Gespür für Pferde und bringt Nils das Reiten bei, die beiden freunden sich an, was zu der aus einem speziellen Grund sehr eigentümlichen Szene führt, dass er Nils fragt, ob der sein Papa sein möchte.
Die Schauplätze sind wie stets bei „Inga Lindström“ pittoresk, es gibt einige schöne Pferdebilder und selbstredend den einen oder anderen Sonnenuntergang; die Konflikte sind zwar ernstzunehmend, aber nicht allzu dramatisch. Gerade die Adoptionsebene wird vor dem Hintergrund der für dieses Alter typischen Identitätsfindung seriös erzählt. Dafür, dass die Handlung auf den ersten Blick durchschaubar scheint, entwickelt sie eine überraschende Komplexität. Gelegentlich erfreut „Familienbande“ sogar mit kleinen Besonderheiten. Der Umschnitt von einem Pferd auf die gleichnamige Schachfigur mag nicht übermäßig originell sein, gehört aber zu den Details, die den Film sympathisch machen. (Text-Stand: 20.2.2016)