Weil Krimis in der Regel aus Sicht der Ermittlerteams erzählt werden, kommen das Schicksal der Hinterbliebenen und die Lücke, die der Tod eines Menschen in eine Familie reißt, meist zu kurz. Dass davon nun ausgerechnet ein Film aus der ZDF-Sonntagsreihe „Inga Lindström“ handelt, ist beachtlich. Das Drehbuch hat das Thema allerdings geschickt verpackt, denn vordergründig ist „Der schönste Ort der Welt“ ein romantisches Drama mit den üblichen schönen Schweden-Schmuckbildern und der gewohnten Sonnenuntergangstimmung. Auch der Auftakt passt ins Bild: Ein Liebespaar spielt sich allerhand neckische Streiche. Der junge Mann (Paul Triller) hat keinerlei Ambitionen, in die Steuerkanzlei seines Vaters einzutreten, und möchte lieber Bootsbauer werden; Freundin Maja (Zoe Moore) bestärkt ihn darin. Als sie einen Anruf ihres kleinen Bruders Linus erhält, wimmelt sie ihn ab, um weiter mit Elias turteln zu können. Bei der Heimkehr erwartet sie eine bestürzende Nachricht: Der 13jährige Linus wollte mit dem Auto der Eltern zu ihr fahren und hatte einen tödlichen Unfall.
Fünf Jahre später arbeitet Maja, die ihr Heimatdorf Norrköpping immer als den schönsten Ort der Welt bezeichnet hat, als Physiotherapeutin in Stockholm. Den Kontakt zu Elias hat sie abgebrochen, die Eltern und den geliebten Großvater Benno (Bernd Tauber) sieht sie nur noch sporadisch, zumal die verbitterte Mutter Ingrid (Birge Schade) ihr die Schuld am Tod von Linus zu geben scheint. Seit dem Unglück liegt zudem offenbar ein Fluch über Bennos Hof. Ein Hagelsturm hat die Ernte zerstört, und weil Ingrid die Versicherung gekündigt hatte, um Geld zu sparen, steht der Betrieb vor dem Ruin, zumal der störrische Alpaka-Züchter Benno stets jede Form von Veränderung verhindert hat. Majas Vorschlag, die possierlichen Tiere zu nutzen, um Erholungserlebnisse für gestresste Manager anzubieten, lehnt er ebenfalls ab. Außerdem schwebt natürlich über allem die Frage, was Linus ihr damals mitteilen wollte; als das Familiengeheimnis gelüftet wird, ergreift Maja ein zweites Mal die Flucht.
Foto: ZDF / Ralf Wilschewsk
Das klingt alles nach ziemlich viel Drama, aber Regisseur Oliver Dieckmann, der das Drehbuch gemeinsam mit Aline Ruiz Fernandez geschrieben hat, gelingt das Kunststück, die Geschichte im typischen Lindström-Tonfall zu erzählen, und das gilt nicht nur für die Bilder: Trotz der teilweise schweren Themen ist die Umsetzung auch dank vieler witziger Ideen am Rande von einer beschwingten Leichtigkeit, zumal die Musik (Andy Groll), beim Sonntagsfilm im „Zweiten“ gern auch mal ein schwer erträglicher Stimmungsverstärker, die perfekte akustische Untermalung für die malerische Optik (Kamera: Uwe Schäfer) bietet. Zu einem mehr als nur sehenswerten „Herzkino“-Beitrag wird „Der schönste Ort der Welt“ jedoch durch die Arbeit des Regisseurs mit seinem Ensemble. Weil sich die ZDF-Unterhaltungsfilme am Sonntagabend stets auf die Frauen konzentrieren, sind die männlichen Mitwirkenden oft nur zweite Wahl; das ist diesmal anders.
Soundtrack: Of Monsters and Men („Dirty Paws“), José González („Heartbeats”), Rupa & The April Fishes („Inheritance”), Ariana Grande & Justin Bieber („Stuck With U”), Ryan Bingham („The Weary Kind”)
Das Drehbuch folgt zwar dem reichlich abgenutzten Romanzenschema „Eine Frau zwischen zwei Männern“, konfrontiert seine Heldin aber dafür mit attraktiven Alternativen: hier der bodenständige Elias, der natürlich doch in der Kanzlei gelandet ist, Maja aber selbstverständlich immer noch liebt; dort der stets gutgelaunte Michel (Manuel Mairhofer), ein unkomplizierter, spontaner Typ mit Vollbart und Wuschelkopf, der sich als schwerreicher Erfinder einer weltweit erfolgreichen Dating-App entpuppt. Vierte im Bunde ist Majas beste Freundin Noomi (Lilian Prent). Diese Nebenrollen sind nicht nur im „Herzkino“ oft sehr dankbar: Die Darstellerinnen haben zwar nicht so viel Spielzeit wie die Hauptfigur, sind aber als Ratgeberin eminent wichtig für die Handlung. Dieckmann hat mit Lilian Prent eine ausgezeichnete Wahl getroffen: Zoe Moore ist dank ihrer Frische und natürlichen Herzlichkeit der Wirbelwind des Films, Prent der Sonnenschein. Die junge Schauspielerin hat ihr großes Talent schon mit ihrer ersten Fernsehfilmrolle als krebskranker Teenager in dem Drama „Jeder Tag zählt“ (2012) gezeigt. Gut ausgewählt sind auch die beiden Männer: Paul Triller hat sich bereits in der Frauentausch-Romanze „Falsches Leben, wahre Liebe“ (2020) aus der ZDF-Reihe „Rosamunde Pilcher“ bewiesen, Manuel Mairhofer hat als Sandkastenliebe der Heldin in dem „Lindström“- Melodram „Das Haus am See“ mitgewirkt. Für Qualität birgt zudem das Drehbuchduo: Aline Ruiz Fernandez und Oliver Dieckmann, der den Film mit großer Sorgfalt inszeniert hat, haben auch bei den ähnlich sehenswerten Lindström-Liebesdramen „Liebe verjährt nicht“ sowie „Feuer und Glas“ (beide 2020) zusammengearbeitet.
Foto: ZDF / Ralf Wilschewski