In Wahrheit – Zwischen Recht und Gerechtigkeit

Christina Hecke, Sondermann, Kiwitt, Schnelting, Kirsten Laser. Zwei Königskinder

Foto: ZDF / Manju Sawhney
Foto Tilmann P. Gangloff

Im Rahmen der bislang stets mehr als sehenswerten Reihe fällt die achte „In Wahrheit“-Episode, „Zwischen Recht und Gerechtigkeit“ (Arte, ZDF / Network Movie), nicht weiter aus dem Rahmen. Das Drehbuch von Mathias Schnelting orientiert sich an einem juristischen Prinzip, das zuletzt öfter als Krimibasis diente: Die Ermordung einer jungen Frau führt Judith Mohn (Christina Hecke) zu einem nie aufgeklärten älteren Fall. Der damalige Verdächtige ist aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden, aber niemand darf zweimal wegen eines Verbrechens angeklagt werden. Die Bildgestaltung ist sorgfältig, die Musik hörenswert, das Ensemble ausnahmslos sehenswert; eine Romanze zwischen der Kommissarin und dem Verteidiger (Pierre Kiwitt) des Angeklagten darf gern fortgesetzt werden. Ansonsten zeichnet sich der Film jedoch vor allem wegen seiner großen Empathie aus.

Jeder Krimi ist auch Drama, schließlich gibt es neben den Opfern auch Angehörige. Für die ZDF-Reihe „In Wahrheit“ gilt das in besonderem Maß: Die Filme wollen mehr als bloß von Ermittlungsarbeit erzählen. In der achten Episode gibt es einen Moment, der typisch für diese Haltung ist: Die frühere Freundin einer ermordeten jungen Frau trifft sich mit deren Vater auf dem Friedhof. Der Mann war gegen die Beziehung, vielleicht kam er auch nicht damit klar, dass seine Tochter lesbisch war, aber nun versöhnen sich die beiden. Zur Wahrheitsfindung hat dieser berührende Augenblick nichts beizutragen, doch er sorgt für eine empathische Erweiterung des gewohnten Krimischemas, in dem für Trauer meist nicht viel Platz ist.

Ansonsten erzählt Mathias Schnelting in seinem zweiten „In Wahrheit“-Drehbuch nach „Jette ist tot“ (2018) eine nicht weiter ungewöhnliche Krimigeschichte: Nach dem Fund einer erstickten Praxishilfe in einem Saar-Wehr erinnert sich die französische Rechtsmedizinerin (Sandra Bourdonnec) an einen Mord, der vor fünf Jahren auf der anderen Seite der Grenze begangen worden ist. Das Opfer war Krankenschwester, beide Frauen sind mit einem Narkosemittel betäubt worden. Damals ist es zum Prozess gegen einen Pharmareferenten gekommen, aber Serge Roubaix (Jean-Luc Bubert) ist aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden. Als Judith Mohn (Christina Hecke) den Pflichtverteidiger des Mannes aufsucht, bringt Schnelting, der unter anderem die Drehbücher für diverse sehenswerte „Helen Dorn“-Krimis (ZDF) geschrieben hat, ein reizvolles weiteres Element ins Spiel: Das Interesse der Polizistin an Alain Montand (Pierre Kiwitt), der das Metier gewechselt und das Weingut seiner Eltern übernommen hat, geht spürbar über die berufliche Ebene hinaus.

In Wahrheit – Zwischen Recht und GerechtigkeitFoto: ZDF / Manju Sawhney
Krimi ist immer auch Ermitteln, ist Laufarbeit, Routine, mit den immergleichen Situationen und Bildern. Bubert, Schwabe, Hecke

Ihre Gefühle werden die Kommissarin später selbstredend noch in Schwierigkeiten bringen, denn nun ist sie nicht mehr unbefangen, wie der Kollege Breyer (Robin Sondermann) zu Recht anmerkt. Zunächst konzentriert sich das Duo jedoch auf den Chef des zweiten Opfers: Bereits beim ersten Besuch in der Praxis von Christian Peters stellt Breyer fest, dass der Doktor seinen Mitarbeiterinnen allzu nah auf die Pelle rückt. Überwachungskamerabilder aus einer Hotellobby beweisen, dass Arzt und die Angestellte kurz vor deren Tod einen heftigen Streit hatten: Er hatte die „Honeymoon Suite“ reserviert, sie wollte ihn offenbar nicht begleiten. Der Arzt als Täter wäre jedoch eine Beleidigung der Intelligenz aller Krimifans, zumal schon die Besetzung mit Tobias van Dieken das Ablenkungsmanöver erahnen lässt.

Soundtrack: Florence & The Machine („Dream Girl Evil“), Procol Harum („A Whiter Shade Of Pale”), The Supremes („Baby Love”), Hunter Dane („Love & Hate”)

Interessanter ist der juristische Hintergrund der zweiten Ebene, denn Schnelting hat sich bei der Buch-Konzeption mit dem Prinzip des „Ne bis in idem“ auseinandergesetzt: Niemand darf zweimal wegen eines Verbrechens angeklagt werden; es sei denn, es liegt ein Geständnis vor. Damit ist nicht zu viel verraten, wie schon der Filmtitel andeutet. Er bezieht sich auf ein Zitat Mohns: Recht und Gerechtigkeit seien wie zwei Königskinder, die nicht immer zusammenfänden. Der Arbeitstitel „Späte Rache“ ist noch eindeutiger. Montand beantwortet die Frage der Kommissarin nach seiner Meinung zum alten Fall ausweichend, räumt aber später ein, er sei von der Schuld seines Mandanten überzeugt gewesen.

In Wahrheit – Zwischen Recht und GerechtigkeitFoto: ZDF / Manju Sawhney
Der Filmtitel deutet es an: Der juristische Hintergrund der achten Episode von „In Wahrheit“ ist interessanter als der Krimifall.

Reizvoller als die sich abzeichnende Entwicklung der Krimiebene sind daher die von Regisseurin Kirsten Laser („Soko“) dank der Mitwirkenden und der guten Bildgestaltung (Rodja Kükenthal) stimmig umgesetzten Zwischenmenschlichkeiten. Gerade die Szenen mit Christina Hecke und Pierre Kiwitt sind sehr sympathisch, zumal er als Sohn einer Französin und eines Deutschen auch sprachlich eine passende Besetzung für die zweisprachige Rolle ist. Deshalb ist es umso unglaubwürdiger, dass Montand am Ende einen langen Dialog mit einem Landsmann auf Deutsch führt, beide mit starkem Akzent. Zu den schönen Momenten des Films gehören hingegen die Auftritte von Steffi Kühnert als Mohns Mutter und Rudolf Kowalski als Ex-Kommissar Zerner, der diesmal nicht als Kriminalist, sondern als starke Schulter gefragt ist. Ansonsten fällt „Zwischen Recht und Gerechtigkeit“ gerade auch im Vergleich zu früheren Filmen der 2017 gestarteten Reihe nicht weiter aus dem Rahmen. In Erinnerung bleibt neben der gern fortzusetzenden Romanze vor allem die clevere Klammer zwischen dem Prolog und einer Rückblende gegen Ende, als eine Veränderung der Schärfe die Auflösung des Falls bestätigt. Hörenswert ist auch die vielfältige Musik von Hansjörg Kohli.

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Reihe

Arte, ZDF

Mit Christina Hecke, Robin Sondermann, Pierre Kiwitt, Jean-Luc Bubert, Tobias van Dieken, Jörg Pose, Anneke Schwabe, Martina Schöne-Radunski, Steffi Kühnert, Sandra Bourdonnec, Rudolf Kowalski

Kamera: Rodja Kükenthal

Szenenbild: Marcus A. Berndt

Kostüm: Natascha Curtius-Berger

Schnitt: Geraldine Sulima

Musik: Hansjörg Kohl

Redaktion: Karina Ulitzsch, Martin Gerhard

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Lydia-Maria Emrich, Bernadette Schugg

Drehbuch: Mathias Schnelting

Regie: Kirsten Laser

Quote: ZDF: 4,23 Mio. Zuschauer (20,9% MA)

EA: 15.03.2024 20:15 Uhr | Arte

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