Krimidrehbücher orientieren sich an unterschiedlichen Dramaturgien. Die einen funktionieren wie eine Schnitzeljagd, andere wie ein Puzzle; und dann gibt es noch Geschichten, in denen wie bei einer Zwiebel Schicht um Schicht abgetragen wird, bis sich der Blick auf eine schockierende und im besten Fall völlig unerwartete Erkenntnis offenbart. Im neunten Film aus der Reihe mit Christina Hecke als Kommissarin fallen schließlich tatsächlich jene Worte, denen die Krimis aus Saarlouis ihren Titel verdanken: „In Wahrheit“ sei alles ganz anders. Solche Wendungen um 180 Grad bergen allerdings immer das Risiko, nicht glaubwürdig zu sein; oft wirkt die Auflösung wie aus dem Hut gezaubert. Ein wenig gilt das auch hier (Buch: Magdalena Grazewicz, Thomas Gerhold), weil es keine versteckten Hinweise gibt, die sich im Nachhinein als Anzeichen deuten lassen. Das fällt jedoch nicht weiter ins Gewicht; die Handlung ist dennoch plausibel.
Foto: ZDF / Manju Sawhney
Außerdem ist da noch Robert Finster. Der Österreicher verkörpert seine Gasthauptrolle als Mann, der gerade seine Frau verloren hat, mit einer Intensität, die bei aller Fulminanz nie plakativ wirkt. Ausgeprägte, hochemotionale Trauer mutet im Film leicht zu dick aufgetragen an, erst recht, wenn sie auch noch in Nahaufnahme gezeigt wird. Finster trifft jedoch perfekt den schmalen Grat zwischen großem Gefühl und Übertreibung. Die preiswürdige Leistung erinnert an seine zwar wesentlich kleinere, aber ähnlich vielschichtige Rolle in dem ZDF-Zweiteiler „Mord in der Familie – Der Zauberwürfel“ (2021). Natürlich hat Schauspiel auch viel mit der Regie zu tun. Kirsten Laser hat bereits die letzte „In Wahrheit“- Episode gedreht („Zwischen Recht und Gerechtigkeit“, 2024). Ihre Inszenierung ist erneut unauffällig, aber sorgfältig; auch diesmal zeichnet sich ihr Film nicht zuletzt durch viel Empathie aus.
„Für immer Dein“ beginnt mit einem abendlichen Zelten von Vater und Sohn im Wald. Moritz Brück (Finster) erzählt dem kleinen Theo ein Einschlafmärchen. Zwischenschnitte mit typisch kriminaltechnischen Aufnahmen lassen Schlimmes erahnen. Das Smartphone klingelt, der Junge geht ran, aber die Anruferin ist nicht wie erwartet seine Mutter, sondern Judith Mohn (Hecke): Goldschmiedin Anna Brück ist allem Anschein nach Opfer eines Raubmords geworden. Buch und Regie vermitteln eindringlich, wie sich das anfühlt, wenn das Grauen in den Alltag einbricht und ein Leben in zwei Teile spaltet: die glücklichen Jahre davor und die Zeit danach. Der Witwer ist am Boden zerstört, zumal die Kommissarin und ihr Kollege Breyer (Robin Sondermann) herausfinden, dass Anna auf einer Internet-Plattform für unverbindliche Sexabenteuer unterwegs war. Davon abgesehen sagt der Freundeskreis nur Gutes über die Beziehung des Paars. Trotz aller Erschütterung seiner Grundfesten, die auch das Kripoduo nicht kaltlässt, muss sich Brück weiter ums Geschäft kümmern: Er hat eine Software zur Früherkennung von Hautkrebs entwickelt. Die App ist in der Erprobungsphase, die medizinische Studie ist noch nicht abgeschlossen.
Foto: ZDF / Manju Sawhney
Jenseits der Trauer folgt die Handlung nun dem gewohnten Krimiverlauf: Eine Nachbarin hat einen Mann gesehen, der ums Haus geschlichen ist, daher konzentrieren sich die Ermittlungen alsbald auf Otto Harms (André Szymanski), dessen Gatte an der Studie teilgenommen hat. Da war seine Erkrankung allerdings schon im fortgeschrittenen Stadium, weshalb ihm nicht mehr geholfen werden konnte. Womöglich wollte sich Harms an Brück rächen. Er hat zwar ein Alibi, aber das entpuppt sich als falsch. Der Verdacht erhärtet sich, als Hecke später in buchstäblich letzter Sekunde einen Anschlag auf Moritz Brück und seinen Sohn verhindern kann. Beinahe wäre das ganze Haus in die Luft geflogen, auch diesmal ist Harms in der Nähe gesehen worden; und dann nimmt die Geschichte eine komplett unvorhersehbare Wendung.
Dank einiger wichtiger Nebenfiguren ist die Handlung auch personell komplex. Klug in die Ermittlungen integriert sind zum Beispiel Mohns Freund (Pierre Kiwitt) sowie ihre Mutter (Steffi Kühnert), die beide auf gänzlich unterschiedliche Weise zur Lösung des Falls beitragen. Aus dem Rahmen fällt allein der von Stephan Bissmeier mit stechendem Blick versehene Vater Brücks: Moritz hatte bislang nicht viel Glück mit seinen Geschäftsideen, der Alte wartet förmlich aufs nächste Scheitern. Dass er nicht einen Funken an Mitgefühl erkennen lässt, passt nicht recht zu der ansonsten mit gutem Gespür für Zwischentöne und viel Behutsamkeit im Detail erzählten Geschichte.