Kann den leiblichen Eltern ein Kind genommen werden, weil sie bei aller liebevoller Fürsorge nicht in der Lage sind, es intellektuell optimal zu fördern? Es kann. „In Sachen Kaminski“ erzählt ein solches Familiendrama nach einem authentischen Fall. Es beginnt mit dem Rat des Kinderarztes an die unterdurchschnittlich intelligenten Eltern, einen Antrag auf Frühförderung für ihr Kind zu stellen. Die Familienhelferin beweist wenig Geschick, die von der Situation völlig überforderten Eltern in die Maßnahme des Jugendamts zu integrieren. Und so geht alles bald sehr schnell seinen gut gemeinten, aber menschlich sehr bedenklichen Gang: Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts, Verlust des Sorgerechts, schließlich „neue Beelterung“, wie es im Fachjargon heißt. Die Eltern wollen aber ihr Kind nicht aufgeben und die engagierte Anwältin will den Glauben an die Gerechtigkeit nicht verlieren. Dafür gehen die drei bis vor den Europäischen Gerichtshof und klagen gegen die Bundesrepublik Deutschland.
„‚In Sachen Kaminski‘ ist weder trübe Unterschichtenbesichtigung noch sozialromantische Schmonzette. Stattdessen inszenierte Regisseur Stephan Wagner („Der Stich des Skorpion“) ein kluges psychologisches Drama, das in einem gesellschaftlichen Bereich spielt, in dem ansonsten kaum kluge psychologische Dramen angesiedelt werden … ‚In Sachen Kaminski‘ zeigt, dass sich Empfindsamkeit, soziales Engagement und psychologische Akkuratesse nicht ausschließen müssen.“ (Christian Buß in: Spiegel online)
Autor Holger Karsten Schmidt und Grimme-Preisträger Stephan Wagner machen aus dem Stoff mehr als einen Film über einen Rechtsstreit. Den Gerichtssaal sieht man nur selten von innen, dafür werden bei aller Sachlichkeit und Distanz, die die Chronologie der ernüchternden Ereignisse vorgibt, die Gefühlswelten des Elternpaares stärker ausgeleuchtet. Juliane Köhler und Matthias Brandt lassen, nachdem man sich in das verbogene Deutsch ihrer Figuren eingehört hat, den Zuschauer vergessen, dass hier Schauspieler vor der Kamera agieren. Beide beherrschen die Kunst, unscheinbar zu wirken und in ihrer Rolle vollkommen aufzugehen. Brandt kam selbst auf die Idee, sich für Bauarbeiter Martin Kaminski eine dicke Sieben-Dioptrin-Brille zu verpassen, deren künstliche Sehbehinderung er am Set mit Kontaktlinsen ausgleichen musste. Auch Köhler studierte im Vorfeld sehr intensiv das Verhalten geistig zurückgebliebener Menschen. „Beim Dreh war dann aber der unterdurchschnittliche IQ kein Thema mehr“, so Köhler, „sondern nur noch, wie ein Mensch damit umgeht, dass ihm die Kinder weggenommen werden.“ Und da handeln dann doch alle Eltern ähnlich.
Der Film, eine Wohltat im belanglosen Krimi- und Romanzen-Einerlei, ist keine Generalanklage gegen die staatliche Einmischung in Erziehungsfragen. Es ist durchaus einsichtig, weshalb das Jugendamt glaubte, eingreifen zu müssen. „In Sachen Kaminski“ zeigt, wie durchaus sinnvolle Gesetze durch die bürokratische Maschinerie und menschliches Versagen ausgehöhlt werden. Der Film macht deutlich, dass die Mühlen des Jugendamts zu Beginn hätten etwas bedächtiger mahlen sollen, „dass das Kind nicht einfach von den Eltern hätte getrennt werden dürfen“, so Köhler. Andere Lösungen der Zusammenarbeit von Erziehungshelfern und Eltern sind denn auch heute die Regel. (Text-Stand: 15.7.2005)