Im Büro hängt noch das alte Fahndungsplakat. Die Mitglieder der terroristischen „Rottland-Gruppe“ hatten so einiges auf dem Kerbholz: Morde, Überfälle, Entführung und einiges mehr. Ihrem unseligen Tun gingen sie im Rhein-Sieg-Kreis nach, und der Verfassungsschutz folgte ihnen bis ins entlegene Niederlützel. Die Terrorbande gehört lange der Vergangenheit hat, das mit zwei Planstellen besetzte „Büro Verfassungsschutz Niederlützel“ ist geblieben. Zu tun gibt es für Ermittlerin Mechthild Dombrowski (Gudrun Landgrebe) und ihren Kollegen Paul Horner (Uke Bosse) nur noch wenig. Einmal müssen sie mit ihrem schmucken Ford Granada, auch schon ein Oldtimer, raus in die Felder, weil Teenager Lisa (Alina Mehrens) mit Freund Jonas (Jakob Schmidt) für ein Youtube-Video einen Selbstmord durch Erhängen simuliert. Der schlicht gestrickte Horner ist entsetzt, während Dombrowski den makabren Jux auf Anhieb durchschaut. Ansonsten verbringt man den Tag mit Maulaffen feilhalten, Zeitunglesen und Herumtrödeln. Um zwei Uhr ist Feierabend. Bis zu dem Tag, an welchem Matthias Frings (Fabian Siegismund) vorfährt, Abteilungsleiter Verfassungsschutz Abteilung II. Weil er Wert darauf legt, dass sein Auto exakt in der Mitte der Parkmarkierungen steht, hätte er Dombrowski beinahe verpasst, erwischt sie aber dann doch und zitiert sie ins Büro zurück. Was andere vielleicht erfreuen würde, sorgt bei Dombrowski und Horner für säuerliche Mienen: Das Büro Niederlützel soll geschlossen und in die Dienststelle Rostock integriert werden, wo verstärkt gegen „rechte Faschisten“ ermittelt werden muss.
Ihren Reaktionen zufolge muss das Wort „Rostock“ in Dombrowskis Ohren wie „Ebola“ klingen. Verzweifelt sucht sie nach Wegen, die Versetzung zu sabotieren. Die Lösung liegt nahe: Wenn es keine Terroristen gibt, muss man welche erfinden. Wo findet man das größte Schreckenspotenzial? Im Islam. Und da Muslims bekanntlich kein Schweinefleisch essen, wird der örtliche Schweinebauer als Ziel eines fingierten Anschlags auserkoren. Eine passende Bombe findet sich unter den Asservaten, museumsreif, aber immer noch explosiv. Das zugehörige Bekennervideo dreht man unten im Keller. Bei der Ausführung dann passiert ein Missgeschick: Ein Schwein frisst die Bombe auf. Horner rennt los, will das Unglück noch verhindern. Zum James-Bond-Thema „Live and Let Die“ kracht es, dann pfeift es. Die Kamera blickt in Horners vorübergehend geschädigten Gehörgang und fährt rückwärts hinaus.
Foto: ZDF / Joscha Seehausen
Mit hitlereskem Seitenscheitel
Der Coup klappt. Frings nimmt die Bedrohung ernst und erklärt sich selbst zum Leiter der Ermittlungen. Dummerweise lassen sich auch die Dorfbewohner anstecken. Bürgermeister Rösgen-Schmidt (Oliver Kleinfeld), standesgemäß mit hitlereskem Seitenscheitel versehen, hält eine mit Politikerphrasen gespickte Durchhalterede. Aus dem Fernseher dröhnt der Refrain „Bumm macht die Explosion“. Der betroffene Bauer Senkfuß drischt populistische Sprüche und macht erfolgreich Stimmung gegen Ausländer. Vordergründig sorgt er sich um die Sicherheit, tatsächlich will er wirtschaftlich profitieren: „Wollt ihr euch eure Kultur verbieten lassen? (…) Kauft Schweine für die Freiheit! Wer keine Schweine kauft, ist Islamist!“ Leidtragender der ganzen Affäre ist der türkische Imbissbesitzer Vedat Akbulut (Tayfun Baydar), seiner Freundlichkeit wegen bislang ein allseits geschätzter Mitbürger, jetzt aber Ziel haltloser Unterstellungen und letztes Endes brutaler Übergriffe. Horner entwickelt angesichts der fatalen Entwicklung ein schlechtes Gewissen, will gestehen, aber dann nimmt der Fall eine neue Wendung: Senkfuß selbst wird zum Bombenattentäter. Den vereinten Kräften der versammelten Verfassungsschützer aber gelingt es, die Katastrophe zu verhindern. Wenn auch knapp und nicht ohne Blessuren. Umso mehr werden sie als Helden gefeiert. Und der bigotte Bürgermeister plädiert in einer flammenden Rede für Toleranz und Integration.
„In bester Verfassung“ wurde im „TV-Labor“ Quantum der ZDF-Redaktion „Das kleine Fernsehspiel“ als Web-Serie konzipiert. Die Distribution erfolgt in der ZDF-Mediathek und bei YouTube in acht Einzelfolgen à sieben bis acht Minuten. Für die Ausstrahlung im ZDF-Hauptprogramm am 17.6.2019 wurde aus diesen Kurzenepisoden ein zusammenhängender Film von 65 Minuten erstellt. Eine Praxis, die seit einiger Zeit häufiger zu beobachten ist, beispielsweise auch bei der mediensatirischen Serie „Akte Lansing“ des Bayerischen Fernsehens. Zwischen diesen beiden Produktionen gibt es einen spürbaren Unterschied: „In bester Verfassung“ merkt man an, dass Regisseur und Koautor Joseph Bolz erste Produktions-Erfahrungen im Kurzfilm und bei Youtube-Kanälen sammelte. Die kurzen Episoden der Serie sind auch in sich in kleine Handlungseinheiten gegliedert, gleichen eher einer Sketchparade als einer geschlossenen Erzählung. Es gibt eine Geschichte mit Anfang und Ende, aber die Häppchen-Dramaturgie erlaubt keine sukzessive Entwicklung – denn erzählt wird nicht in Schritten, sondern in Sprüngen. Schlampigkeiten im Detail und eine unzureichende filmische Erschließung der Schauplätze machen die Angelegenheit nicht eben besser.
Ein Blick in die USA zeigt, wie der Transfer vom Web ins lineare Fernsehen gelingen kann. 2008 startete beim Web-Anbieter L/Studio.com die Comedy-Serie „Web Therapy“, die von der Schauspielerin Lisa Kudrow („Friends“) entwickelt worden war. Sie produzierte auch und spielte die Hauptrolle. Die Web-Episoden dauerten maximal 15 Minuten – was nebenbei auch inhaltlich begründet war: die Psychotherapeutin Fiona Wallice (Kudrow) wollte ihre Sitzungen auf wenige Minuten reduzieren, hielt die Therapiestunden per Skype ab und sprach dabei direkt zu den Zuschauern. Der Abonnementsender Showtime fand Gefallen an dem Format und adaptierte es, indem für die lineare Ausstrahlung zusätzliche Szenen gedreht wurden, die dann zusammengenommen vollwertige episodische Erzählungen ergaben.
Foto: ZDF / Joscha Seehausen
Soundtrack: Wings („Live and Let Die“), Helene Fischer („Atemlos durch die Nacht“), Tocotronic („Drei Schritte vom Abgrund entfernt“), Audio88 & Yassin („Weshalb ich Menschen nicht mag“), Cat Stevens („Morning Has Broken“, „Moonshadow“)
Beamtenwitze aus der Mottenkiste
„In bester Verfassung“ steht auch schauspielerisch in der Tradition der Sketch-Shows. Wo die Komik aus der Szene heraus entstehen könnte, tragen die von der Regie entsprechend geführten Darsteller noch zusätzlich auf, liefern Karikaturen und stellen ihre Figuren somit bloß, statt sie charakterlich zu modellieren. So wird aus der Satire, die laut Inhalt des zugehörigen Pressehefts beabsichtigt war, präpotenter Klamauk ohne die geringste aufklärerische Wirkung. Hinzu kommen Plattheiten wie das „Heil Hitler“-Gebrüll einer dementen Seniorin oder die Ansammlung von Beamtenwitzen, die aus Humorzeitschriften der 1950er-Jahre stammen könnten. Karikaturen haben selten die Kraft, Andersdenkende zu überzeugen. „In bester Verfassung“ liefert Abnick-Inhalte ähnlich dem politischen Kabarett, das Gleichgesinnte versammelt und sie in ihrer Haltung bestätigt.
Ausgenommen von der Kritik an den auf Laienspielniveau oder Youtube-Amateurstandard rangierenden schauspielerischen Leistungen sei ausdrücklich Gudrun Landgrebe in der Rolle der Drahtzieherin Mechthild Dombrowski, auf weiter Flur die einzige Person mit Durchblick, dabei aber auch völlig skrupellos, wenn es um die eigenen Interessen geht. Landgrebe erliegt nicht der Versuchung, dem Affen Zucker zu geben, sondern spielt den Unfug ernsthaft und ohne ironische Brechung durch. Der richtige Ansatz, dem sich die übrigen Darsteller aber offenbar nicht anschließen mochten. An dieser Stelle zeigt sich, dass Fernsehen und Film einiges verlorenging, weil Landgrebe jahrelang auf das kühl-erotische Fach festgelegt, um nicht zu sagen reduziert wurde. Hier immerhin beweist der Mittdreißiger Joseph Bolz Unvoreingenommenheit und einen frischen Blick. (Text-Stand: 15.5.2019)