Immer wieder anders

Wackernagel, Metschurat, Krapoth, Steurer. Liebe & Genre auf den Kopf gestellt

Foto: Degeto / NDR / Georges Pauli
Foto Rainer Tittelbach

Das dicke Ende kommt in der ARD-Komödie „Immer wieder anders“ bereits am Anfang: Untreue, Trennung, Scheidung. Danach bildet sich eine Freundschaft zwischen dem Ex-Paar, aus der wieder mehr werden könnte – doch die Jahre ziehen ins Land (ähnlich wie bei Harry & Sally)… Der Film von Matthias Steurer besticht durch seine muntere Erzählweise mit Handlungssprüngen über Jahre und dem Sprechen in die Kamera. Aber auch das Thema Beziehung wird spielerisch ausgelotet – alltagsnah, gesellschaftlich relevant, geschlechtsspezifisch. Und Wackernagel und Metschurat sind dafür ideal besetzt.

Katjas Nestbautrieb und Kontrollzwang erdrücken Jan, dem seine Kanzlei schon genug Stress bereitet – und so kommt das dicke Ende ziemlich am Anfang ihrer Ehe. Er geht fremd, sie schmeißt ihn raus. Jan ist verzweifelt, Katja will die Scheidung. Danach geht alles irgendwie leichter: das Ex-Ehepaar versteht sich besser denn je. Jeder ist großzügiger, lässt den anderen sein Ding machen und weiß ihn als „Freund“ zu schätzen. Kurz nach der Scheidung tritt eine neue Frau in Jans Leben – ausgerechnet Katja war es, die die aparte Französin für ihren Ex eingestellt hat: der hat mittlerweile seine Kanzlei an den Nagel gehängt und hat ein stilvolles, kleines Lokal eröffnet. Bis sich Katja neu verlieben wird, gehen fünf Jahre ins Land. Jan ist nach den Kindern aus erster Ehe zum dritten Mal Vater geworden. Völlig überfordert, würde er sich jetzt liebend gern auf Katjas Nestwärme einlassen, doch die will heiraten.

„Immer wieder anders“ stellt die Phasen der Liebe und das Genre Beziehungskomödie auf den Kopf. Der Film, der in vier Kapitel unterteilt ist, beginnt mit „Das Ende“ und schließt mit „Der Anfang“. Es wurde aber auch Zeit, dass die muntere Erzählweise mit Handlungssprüngen über Jahre und dem Sprechen in die Kamera, die US-Komödien wie „Der Stadtneurotiker“ oder „Harry & Sally“ schon vor Jahrzehnten etablierte, endlich auch einmal im öffentlich-rechtlichen PrimeTime-Fernsehen ankommt. Dort werden ja besonders die Genres mit leichterer Gangart dramaturgisch formatiert, bis es wehtut. Von diesem Erzählrhythmus kann man sich als Zuschauer nicht nur sehr viel besser treiben und überraschen lassen als von den ausgereizten Mustern einer Romantic Comedy, man wird durch ihn auch auf andere Bahnen der Erkenntnis gestoßen, auf realistischere Beziehungsaspekte, auf geschlechtsspezifische Wünsche und Bedürfnisse, auf gesellschaftliche Rollenmuster und Traumbilder. Ein bisschen gewöhnen muss man sich freilich an diese seltene Dramaturgie, die letztlich – ähnlich wie in „Jedes Jahr im Juni“, einem ernsthafteren deutsch-deutschen Liebesfilm, dem im übrigen auch Katharina Wackernagel ihr Strahlen schenkte – überraschend gut funktioniert.

Immer wieder andersFoto: Degeto / NDR / Georges Pauli
Die „Familie“ hält besser denn je zusammen. Erst als Jan zum dritten Mal Vater wird, verkompliziert sich die Situation… Barnaby Metschurat, Katharina Wackernagel und Maren Kroymann

Die Zeit der Schmetterlinge im Bauch überspringen Autorin Sophia Krapoth und Regisseur Matthias Steurer – jedenfalls lässt der Film sie nicht flattern. Auf den Gesichtern erkennt man schon, dass da wieder Gefühle wachsen, ja nie abgestorben sind. Ein Paar, das zu schnell durchgestartet ist, sich von außen ihre Träume hat aufzwingen lassen, und zu wenig über die eigenen Bedürfnisse gesprochen hat, macht auch in der mehrjährigen Entwöhnungsphase so weiter, wie es die Beziehung angefangen hat: stillschweigend. Das hat auch dramaturgische Gründe (der Film soll ja 90 Minuten tragen). Aber nicht nur. Da sind Stolz, ein bisschen Verletzung, da ist der Alltag im Spiel – all das verdeckt die schlummernden Gefühle und die Ahnung, einen riesengroßen Fehler gemacht zu haben. Und weil die Sprunghaftigkeit des Lebens, ohne gleich etwas Schicksalhaftes daraus zu machen, der dramaturgische Berater des Films ist, wird man als Zuschauer Zeuge einer Chronologie der amourösen Ereignisse.

Explizite Botschaften über die Partnerwahl und den Sinn der Liebe werden nicht gesendet. Der Zuschauer bleibt Beobachter, hält Distanz – jeder kann seine eigenen Schlüsse ziehen. Zwischenzeitlich wirkt der Film, den Unterhaltungsfilm-Experte Steurer verspielt und mit leichter Hand inszeniert hat, auch über kleine dramaturgische Hänger im letzten Drittel hinweg, in der authentischen Darstellung seiner thirtysomethings-Ehekrisen wie ein verstecktes Plädoyer für das Single-Dasein. Mit dem Abschwören blauäugiger Romantik ergeht sich „Immer wieder anders“ zwischenzeitlich geradezu – seit Jahren sehr beliebt – in der Idealisierung der generationenübergreifenden Patchwork-Familie. „Frauen und Männer passen einfach nicht zusammen“, auch diese These nährt der Film. Zumindest sind Wahrnehmung und Empfindung von Frau und Mann ziemlich verschieden. „Wir haben’s ganz toll hingekriegt“, wertet Wackernagels Katja den monatelangen Umbau ihres Hauses. „Ich würde nie wieder bauen“, teilt dem Zuschauer im Gegenschnitt der Ehemann entnervt mit.

Barnaby Metschurat und Katharina Wackernagel sind für die Rollenbilder der Hauptfiguren eine ideale Besetzung. Weibliche Sinnlichkeit (ihre roten Lippen muss man küssen!) trifft auf männliche Sensibilität. Hier der kontrollfixierte Aktivposten der Beziehung, dort der Passive, der sich vom weiblichen Urmutterschoß emanzipiert, bevor er wieder in ihn zurückflüchten möchte. Was Jan über die Beziehung zu seiner Mutter sagt, das spiegelt sich auch in der Liebe zu Katja wieder: „Ich bin immer vor ihr weggelaufen; gleichzeitig hab’ ich sie vermisst.“

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Katharina Wackernagel, Barnaby Metschurat, Sebastian Bezzel, Laura de Boer, Oliver Bröcker, Maren Kroymann

Kamera: Maximilian Lips

Szenenbild: Isolde Rüter

Schnitt: Dagmar Pohle

Produktionsfirma: Relevant Film

Produktion: Heike Wiehle-Timm

Drehbuch: Sophia Krapoth

Regie: Matthias Steurer

Quote: 2,35 Mio. Zuschauer (7,8% MA); Wh.: 3,05 Mio. (10,9% MA)

EA: 21.02.2014 21:15 Uhr | ARD

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