Die Verfilmungen der „Taunuskrimis“ von Nele Neuhaus wurden interessanterweise erst dann richtig gut, als sich das ZDF entschlossen hat, die Romane als jeweils zu Jahresbeginn ausgestrahlte Zweiteiler produzieren zu lassen: „Böser Wolf“ (2016) erzählte eine äußerst komplexe Geschichte über organisierten Kindesmissbrauch und war drei Stunden lang spannend. „Die Lebenden und die Toten“ (2017) ist ein fesselnder Thriller über einen Scharfschützen, der scheinbar wahllos Menschen erschießt. Beide Male gelang es Marcus O. Rosenmüller, der die Reihe mit der dritten Adaption, „Mordsfreunde“ (2014), übernommen hat, 180 Minuten lang zu fesseln; im ersten Zweiteiler optisch anspruchsvoll, mit Zeitlupeneinlagen und kunstvollen Übergängen, im zweiten eher schnörkellos und fast puristisch. Mit der achten Produktion, „Im Wald“, ist nun der letzte Roman der „Bodenstein & Kirchhoff“-Reihe verfilmt. Qualitativ sind die drei Stunden jedoch ein Rückschritt. Während die beiden anderen Zweiteiler keine Minute zu lang waren, ist diesmal der zweite Teil voller Redundanzen, als gelte es, auch jene Zuschauer mitzunehmen, die den ersten verpasst haben.
Dabei ist die Handlung wieder von einer Komplexität, die die doppelte Filmlänge rechtfertigt; das Drehbuch stammt erneut von Anna Tebbe, die mit Ausnahme von „Die Lebenden…“ die Vorlagen zu allen Rosenmüller-Taunuskrimis geliefert hat. Der große Reiz ihrer Geschichte, die ausdrücklich nur „auf Motiven“ des Romans basiert, liegt nicht zuletzt in der persönlichen Betroffenheit von Oliver von Bodenstein (Tim Bergmann). Nach der spektakulär gefilmten Ermordung eines Mannes – ein Wohnwagen explodiert – wird der Leiter der Kripo Hofheim mit den Gespenstern seiner Kindheit in dem Taunusdorf Waldhain konfrontiert: Das Verbrechen ist bloß der Auftakt zu einer Mordserie, die offenbar mit einem Ereignis in Bodensteins Kindheit zu tun hat; damals ist sein bester Freund Artur, ein Kind russlanddeutscher Einwanderer, spurlos verschwunden. Die Polizei hat viel zu spät und dann auch nur halbherzig nach dem Jungen gesucht; die Aussiedler waren ganz offenbar nicht willkommen im Dorf. Arturs Mutter hat die Einwohner deshalb mit einem Fluch belegt, der nun, 35 Jahre später, Wirkung zu zeigen scheint. Bodenstein ahnt diesen Zusammenhang zwar, aber belegen kann er ihn nicht; Pia Sander (Felicitas Woll) hält ihn ohnehin für befangen, schließlich führen sämtliche Nachforschungen zu Menschen, die der Kollege sein Leben lang kennt. Das erste Opfer, Clemens Herold, war der Bruder eines früheren Freundes, der ebenso wie Oliver zu einer Kinderbande gehörte. Kurz darauf wird Rosie, die todkranke Mutter der beiden Männer, im Hospiz erwürgt. Später wird der Pfarrer aufgehängt in seiner Kirche gefunden. Clemens hatte bis zu seinem Tod Material für eine Chronik des Dorfes recherchiert; möglicherweise hat dies gewissermaßen den Fluch reanimiert.
Foto: ZDF / Sophie Schüler
Tebbe und Rosenmüller erzählen die Geschichte auf zwei Ebenen: hier die Gegenwart, dort die Vergangenheit, die der Regisseur in jenen verwaschenen Farben zeigt, wie sie typischerweise für Rückblenden in die Siebzigerjahre verwendet werden; im Roman tragen sich die zurückliegenden Ereignisse tatsächlich bereits 1972 zu. Clever ist auch die Idee, die Spuren damals wie heute zum gleichen Verdächtigen führen zu lassen. In Wirklichkeit ist der einstige Fußballtrainer Leonard Keller (Hannes Wegener) jedoch die tragische Figur der Geschichte. Als er gleich zu Beginn in einer Rückblende das erste Mal auftaucht, setzt ihm seine Freundin Patrizia (Stephanie Japp) ein Bolzenschussgerät an den Kopf. Er hat den angeblichen Suizid-Versuch zwar überlebt, ist fortan jedoch schwer behindert und somit nach Ansicht des ermittelnden Polizisten Ginsberg (Eisermann) gestraft genug, falls er tatsächlich, wie Indizien andeuten, etwas mit Arturs Verschwinden zu tun hat; 35 Jahre später will ihm der wahre Mörder erneut seine Taten in die Schuhe schieben. Die Hintergründe über die Ereignisse vermittelt das Buch, indem eine Schreibdame Ginsbergs diktiertes Protokoll abhört.
An der Handlung liegt es nicht, dass „Im Wald“ dennoch nicht überzeugt; das Problem ist das Personal. Abgesehen vom festen Ensemble gibt es eineinhalb Dutzend Mitwirkende, entsprechend viele Namen schwirren durch die Gespräche der Ermittler; es ist daher gar nicht so einfach, den Überblick zu behalten, zumal die meisten Figuren nicht weiter eingeführt werden (was bei geringem Personal realistisch wirken kann). Zunächst erscheinen die Dorfbewohner als eine einzige große Familie; erst nach und nach erschließt sich, wer tatsächlich mit wem verwandt ist. Aus Sicht von Krimi-Fans etwas enttäuschend ist auch die Tatsache, dass Zuschauer dem Mörder früh auf die Schliche kommen können: Viele der von bekannten Gesichtern verkörperten Einheimischen (u.a. Sawatzki, Feifel, Birge Schade) sind im ersten Teil nur kurz zu sehen, tauchen im zweiten aber wieder auf, als sie von Bodenstein und Sander vernommen; bis auf einen, und der muss beim vernebelten Finale auf einem Friedhof derart keifen und kreischen, dass es eher unfreiwillig komisch als verzweifelt wirkt.
Foto: ZDF / Sophie Schüler
Einige gerade der prominenten Episodendarsteller sind ohnehin nicht durchwegs überzeugend. Es ist zwar völlig gerechtfertigt, das einzige weibliche Mitglied der Kinderbande als Erwachsene mit Veronica Ferres zu besetzen, und Rosenmüller tut auch alles, um die Figur als Rätsel zu inszenieren, aber die Schauspielerin wird den Bemühungen nicht gerecht. Dass die erwachsene Inka zwanghaft an der Narbe kratzen muss, die vor 35 Jahren der Biss von Olivers zahmem Fuchs hinterlassen hat, setzt der Regisseur viel zu demonstrativ ins Bild; und ein darstellerisches Versatzstück wie den stressbedingten Griff an die Nasenwurzel hätte er seinem Stargast nicht durchgehen lassen dürfen. Wenig glaubwürdig ist auch Mira Bartuschek als zu Rate gezogene forensische Psychiaterin, die ihre Erkenntnisse vorträgt, als zitiere sie aus einem Lehrbuch. Seltsam auch, dass die gut drei Jahrzehnte fast spurlos an Patrizia vorübergegangen sind; ihre Schwester Rosie ist zwar 15 Jahre älter, wirkt aber wie eine uralte Frau, zumal die beiden in den Rückblenden gleichaltrig aussehen. Die Diskrepanz fällt auch deshalb auf, weil Leonard sehr überzeugend gealtert ist. Sehenswert ist allerdings die Kamera (Marcus Kanter) mit den immer wieder nur für winzige Momente eingestreuten optischen Bruchstücken (Schnitt: Claudia Klook), und der elektronische Score (Florian Tessloff) tut alles, um „Im Wald“ mit der nötigen Thriller-Atmosphäre zu versehen. Die Umsetzung ist verglichen mit dem stellenweise sehr grausigen Zweiteiler „Böser Wolf“ vergleichsweise moderat ausgefallen, selbst wenn an einer Stelle das Blut Richtung Kamera spritzt und in einer Friedhofsszene zum Ende von Teil 1 die Nebel wie in einem zweitklassigen Horrorfilm wallen.
Den Abschluss des Films bildet ein Dialog zwischen den beiden Hauptfiguren, in dem es um die gemeinsame Zukunft geht. Bodenstein will sich eine Auszeit nehmen, Sander wäre seine naheliegende Nachfolgerin. Ihre Frage, ob’s das war mit ihrer Zusammenarbeit, beantwortet er mit einem entschiedenen „Sicher nicht“. Neuhaus schreibt derzeit den nächsten Krimi, der 2018 herauskommen soll, aber selbst Produzentin Annette Reeker weiß noch nicht, ob, wie und vor allem wann es mit dem Duo aus dem Taunus weitergeht. (Text-Stand: 20.12.2017)