Juliane Schubert wird eines Nachts von einem Sondereinsatzkommando aus dem Schlaf gerissen. Wie Schwerverbrecher werden sie und ihr Freund Philipp aufs Polizeipräsidium gebracht. Sie unter dem Verdacht, eine terroristische Vereinigung zu unterstützen, er als Zeuge. Die vielen Reisen der Unternehmensberaterin in den Nahen Osten und ihr muslimischer Ex-Freund sind nur verdächtig, die Anmietung einer Wohnung, in der die Polizei Waffen und Materialien zum Bombenbau findet, ist dagegen ein Straftatbestand. Außerdem tauchen ihr Name und ihre Kontobewegungen in einer Reihe dubioser Transaktionen auf.
Foto: WDR / Alexander Fischerkoesen
Ist Juliane mit Hilfe des Internets Opfer eines Identitätsdiebstahls geworden? Hat sich vielleicht jemand Zugang zu ihren digitalen Daten verschafft, ihre virtuelle Identität gestohlen und für kriminelle Zwecke missbraucht? Nach 48 Stunden ist sie zwar wieder auf freiem Fuß, aber sie ist nicht mehr dieselbe. Und wie soll sie ohne Handy, Internet und ohne die Reiseerlaubnis ihren Beruf ausüben? Dieses Problem hat sich bald erübrigt. Jetzt hat Juliane noch mehr Zeit, paranoid zu werden: Wer hat ihr ihr altes Leben geklaut? Wem kann sie noch trauen? Weshalb hat ihr Freund ihr verschwiegen, dass er seinen Job verloren hat? Was macht der Nachbar an ihrem Briefkasten? Hat ein Kollege noch eine Rechnung mit ihr offen? Warum kommen wichtige Briefe der Bank nicht an? Und dann überall diese Kameras…
Eine Frau, die mitten im Leben steht, sieht sich am Rande eines völligen Identitätsverlusts, sie verliert die Kontrolle über ihre Existenz und wird zum Spielball unbekannter Mächte. „Im Netz“ entwirft ein nicht ganz unrealistisches Szenario von „Identitätsdiebstahl“, für die Autorin Ulli Stephan „ein Problem, das an Brisanz rapide zunimmt und viel zu gerne verdrängt wird“. Der Film von Isabell Kleefeld sensibilisiert für das bisher fiktional hierzulande nur in dem wenig überzeugenden Sat-1-Movie „Online – Meine Tochter in Gefahr“ behandelte Thema, ist in erster Linie aber ein Psychopolitthriller, der zeigt, wie sich alle Gewissheiten einer gefestigten Existenz auflösen. Das Ergebnis ist ein Verfolgungswahn, der einen nicht zur Ruhe kommen lässt und der ein friedvolles Zusammenleben so gut wie unmöglich macht.
Isabel Kleefeld über die kriminellen Möglichkeiten des World Wide Web:
„Wir surfen durch weltweit verbundene Server-Parks und hinterlassen digitale Spuren. Dabei sind wir natürlich nicht anonym und nicht dagegen geschützt, dass jemand unsere virtuelle Identität stiehlt, unsere IP-Adresse übernimmt und in unserem Namen illegal agiert. Wie will man in diesem Fall nun nachweisen, dass man nicht selbst an der Tastatur gesessen hat? Und warum sollte einem die Polizei und der Verfassungsschutz glauben – gerade wenn es sich bei den Vorwürfen um einen so empfindlichen Bereich wie Terrorismus handelt?“
Foto: WDR / Alexander Fischerkoesen
Anstatt sich tiefer und tiefer in die Politwirklichkeit zu versteigen, wie es gelegentlich staatskritische Krimis tun, hat sich die Autorin einen guten Dreh für die subjektive Story von „Im Netz“ ausgedacht: Weshalb den Verlust Kontrolle über das eigene Leben und Handeln nicht als persönliche Chance begreifen: als Neuanfang? Jene von Caroline Peters sehr überzeugend gespielte Heldin schien ohnehin ein bisschen festzustecken im engen Korsett aus Erfolg und Streben nach materiellem Luxus. „Der Verlust ihrer offiziellen Identität führt zu einem ungeheuren Zugewinn an innerer Freiheit“, interpretiert die Schauspielerin ihre Rolle. Sie sieht ihre Juliane Schubert als eine Frau, die sich durch den extremen äußeren Druck wandelt und so „einem echten Lebensgefühl und großen Emotionen näher kommt“.
Der straff und linear an typischen Genresituationen entlang erzählte Film nimmt den Zuschauer mit auf Reise ins Ungewisse. Der Informationsvorsprung gegenüber der Hauptfigur ist gering, die emotionale Nähe zu ihr umso größer. „Im Netz“ deutet die Allmacht des Überwachungsstaates nur an und löst sich am Ende – geradezu spielerisch – aus dem Verschwörungsszenario. Da muss dann selbst der Herr vom Verfassungsschutz schmunzeln. Und so bleibt dieser Film in erster Linie ein spannender Film, dessen Kameramann Alexander Fischerkoesen wohl nicht umsonst eine sehr surreale Farbgebung und gelegentlich äußerst bizarre Optiken gewählt hat. Ein Alptraum – etwas Wahrheit, viel Erfindung.