Man kann ihm den Seitensprung nicht verübeln. Ehefrau Charlotte ist eine Nervensäge und überdies dem Alkohol allzu sehr zugetan; kein Wunder, dass Lehrer Evermann sich zur hübschen und deutlich jüngeren Julie hingezogen fühlt. Die neue Kollegin verkörpert für ihn allerdings die Liebe seines Lebens, was die Gattin naturgemäß als Affront betrachtet. Darum greift sie, mit Evermanns Wunsch nach Scheidung konfrontiert, schon am frühen Morgen zur Flasche, macht ihm eine Szene, verwüstet sein Arbeitszimmer und stürzt tödlich die Treppe herunter. Nun ist nicht nur der Weg frei; dank des Vermögens der Toten ist Evermann ein reicher Witwer und somit eine echt gute Partie. Kein Wunder, dass die zuständige Kommissarin misstrauisch wird, aber außer ihrem Sozialneid hat sie nichts in der Hand.
Eine reizvolle Geschichte, die sich die einstigen „Lindenstraße“-Autorinnen Martina Borger und Maria Elisabeth Straub für ihren dritten Kriminalroman „Im Gehege“ ausgedacht haben; zumal das erst der Anfang ist. Denn jedes Mal, wenn Evermann überzeugt ist, endlich freie Bahn zu haben, stößt er auf ein neues Hindernis, das buchstäblich beseitigt werden muss. Sein bester Freund Robert (Axel Milberg) zum Beispiel hat Charlotte geliebt. Prompt stellt er lästige Fragen, als er Evermann mit der Kollegin ertappt, und wird auch noch handgreiflich. Zwar ereignet sich auch dieser Todesfall fast beiläufig, doch das würde ohnehin niemand glauben.
Mit makabrem Geschick lassen Borger (sie schrieb das Drehbuch ohne Straub) und Regisseur Kai Wessel das Drama sanft zum Krimi mutieren, um schließlich pünktlich zur Demontage der immer obsessiveren Hauptfigur wieder zum Drama zurückzukehren. Natürlich trägt auch die Besetzung zur Ironie bei: Ausgerechnet Robert Atzorn, als hingebungsvoller Dr. Specht (1992 -1999) zu Ruhm gekommen, verkörpert diesen Lateinlehrer, der so überzeugt ist, alle Fäden in der Hand zu halten, und doch selbst bloß ein Getriebener ist; und letztlich sogar ein Opfer.
Atzorn spielt das großartig: die Gefühlskälte, mit der Evermann seine Frau abserviert; die verzweifelte Hingabe zur jungen Julie (Judith Rosmair), die ihn auf kleiner Flamme köchelt; die rasende Eifersucht, weil er in jedem Kollegen einen Nebenbuhler sieht; den Größenwahn, als er glaubt, mit seinen Verbrechen durchzukommen. Deshalb sieht man auch darüber hinweg, dass Atzorn (63) deutlich zu alt für den Lehrer ist, der zu Beginn der Handlung fünfzig wird. Da die viel zu selten in TV-Rollen besetzte Judith Rosmair (41), Theaterschauspielerin des Jahres 2007, zudem deutlich jünger wirkt, vergrößert dies noch die Alterskluft; und damit naturgemäß auch die Tragödie dieses Mannes, dem man bei all seiner Amoralität trotzdem insgeheim wünscht, mit seinen Untaten durchzukommen – auch das ohne Frage eine Qualität von Buch, Regie und Schauspiel. (Text-Stand: 1.12.2008)
Foto: ZDF