Ich werde nicht schweigen

Nadja Uhl, Philipp, Wuttke, Kowalski, Fautz, Esther Gronenborn. Witwe Courage

Foto: ZDF / Václav Sadilek
Foto Thomas Gehringer

Eine Witwe bemüht sich wenige Jahre nach dem Ende des Krieges hartnäckig um ihre Rente – und wird nach einem harmlosen Zwischenfall in eine Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen. Esther Gronenborn erinnert mit dem Zeitgeschichts-Drama „Ich werde nicht schweigen“ an die „Hunger-Euthanasie“ in den Psychiatrien der Nazizeit. Eine beklemmende Film-Erzählung über die Ohnmacht und den Widerstand einer einzelnen Frau (überzeugend gespielt von Nadja Uhl) in der Nachkriegszeit, ohne Trümmerfrau-Klischee & erbauliche Liebesgeschichte. Dafür wird hier die Enge jener Zeit und das nachwirkende Nazi-Gift wirkungsvoll geschildert, auch dank prägnanter, gut besetzter Nebenrollen. Nur dramaturgisch ist nicht alles Gold.

Oldenburg, 1948: Margarethe Oelkers (Nadja Uhl) bringt sich und ihre beiden kleinen Söhne mit Schneider-Arbeiten über die Runden. Ihr im Krieg gefallener Mann arbeitete im Gesundheitsamt, das wie schon in der Nazi-Zeit von Paul Ahrens (Rudolf Kowalski) geleitet wird. Margarethe, die für Ahrens‘ Frau (Katja Flint) die schicken Kleider näht, bittet ihn um Mithilfe, denn ihr Antrag auf Witwenrente wird aus unerfindlichen Gründen nicht bearbeitet. Doch Ahrens tut das Gegenteil: Als die aufgebrachte Margarethe im Amt versehentlich eine Glasscheibe einschlägt, wird sie von Ahrens in die Heil- und Pflegeanstalt Wehnen eingewiesen. Ein Krankenwagen fährt vor, und Pfleger verfrachten die zweifache Mutter gewaltsam ins Auto. Der ZDF-Fernsehfilm, der eher unaufgeregt an einem sonnigen, frühlingshaften Nachkriegstag beginnt, wird unwillkürlich zu einem Drama um himmelschreiendes Unrecht. Eine Montage aus alptraumhaften Bildern erzählt, wie die Frauen der Heilanstalt fixiert, unter Drogen gesetzt, mit Elektroschocks und Tauchbädern gequält werden: Wir Zuschauer „erleben“ diese Behandlungsmethoden wie aus den Augen einer ruhig gestellten Patientin, in Erinnerungsfetzen und verschwommenen Bildern.

Ich werde nicht schweigenFoto: ZDF / Václav Sadilek
Die Witwe Margarethe Oelkers (Nadja Uhl) schlägt sich als Näherin durch die schweren Nachkriegsjahre. Auch für Paul Ahrens‘ Frau (Katja Flint) ist sie tätig.

Viele verloren in Wehnen durch Gewalt und Vernachlässigung ihr Leben
„Ich werde nicht schweigen“ fußt auf wahren Begebenheiten, wie es zu Beginn auf einer eingeblendeten Tafel heißt. Dies bezieht sich zum einen auf die Hauptfigur, denn Autorin und Regisseurin Esther Gronenborn erzählt die Geschichte ihrer eigenen Großmutter. Wie konkret Original und fiktionales Ebenbild miteinander übereinstimmen, bleibt natürlich offen. Und zum anderen erinnert Gronenborn an die realen Zustände in der Heil- und Pflegeanstalt Wehnen vor und nach dem Krieg. Dort sei während der Nazizeit „Hunger-Euthanasie“ betrieben worden, wird im Abspann erläutert. Mehr als 1500 Patientinnen und Patienten seien durch mangelnde Pflege, körperliche Gewalt oder Nahrungsentzug umgebracht worden. Jahrzehntelang waren die Vorgänge vertuscht und tabuisiert worden, denn Wehnen war nicht Teil des offiziellen Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten. Dennoch wurde auch hier „unwertes Leben“ ganz im Sinne der Ideologie ausgelöscht. Erst seit Mitte der 1990er Jahre bringen Historiker und Familien-Angehörige der Opfer die Wahrheit nach und nach ans Licht.

Wer nicht der Norm entspricht, riskiert die Einweisung
Gronenborns Film spielt jedoch nicht wie Kai Wessels Euthanasie-Kinodrama „Nebel im August“ (2016) in der Nazizeit. Damit rückt neben der düsteren Psychiatrie-Historie noch eine Reihe anderer Motive in den Vordergrund: das Verdrängen und Vertuschen in den Nachkriegsjahren, die ideologische Kontinuität dank der in ihren Ämtern verbliebenen Tätern, sowie die Probleme von alleinstehenden Müttern in einer Zeit, in der Frauen keine eigenständige Existenz zugebilligt wird. Und natürlich die anhaltende Ausgrenzung von Menschen, die nicht der Norm entsprechen. Die aufmüpfig sind und sich nicht einfach abspeisen lassen wie Margarethe Oelkers. Da sich eine Verwandte einst das Leben nahm, lässt sie sich als „erblich vorbelastet“ einordnen. Die zerbrochene Scheibe bietet nun den Vorwand, einen „schweren schizophrenen Schub“ zu diagnostizieren. Es wirkt ungeheuerlich, aber keineswegs unwahrscheinlich. Man muss unwillkürlich an den nur wenige Jahre zurück liegenden Fall Gustl Mollath denken – wie leicht muss es dagegen 1948 gewesen sein, eine alleinstehende Frau in der Psychiatrie verschwinden zu lassen?

Ich werde nicht schweigenFoto: ZDF / Václav Sadilek
Nach dem Psychiatrie-Aufenthalt wird der undurchsichtige Nachbar, passend ambivalent von Martin Wuttke gespielt, zum Vormund der Oelkers (Nadja Uhl) bestimmt.

Widersprüchliche Prämisse und ein bisschen viel Zufall
Eine Fiktionalisierung von Zeitgeschichte erscheint nicht immer geboten, hier aber macht sie durchaus Sinn: Denn die Autorin bringt ein Millionenpublikum mit einem wenig bekannten und lange verdrängten historischen Thema in Berührung – und kann zugleich eine bewegende Geschichte mit einer starken Einzelfigur im Mittelpunkt erzählen. Auch wenn es nicht allzu sehr ins Gewicht fällt, sei allerdings erwähnt, dass die Prämisse des Films ein wenig widersprüchlich erscheint: Ahrens steht wegen einer Untersuchung der Militärregierung unter Druck, da macht die Verzögerung der Rentenzahlung an Margarethe eigentlich keinen Sinn, wenn man nicht gerade riskieren möchte, dass sie Staub aufwirbelt. Und mit der Einweisung nach Wehnen bringt Ahrens die Witwe erst recht auf die Spur der Verbrechen. In der Anstalt erhält sie Hinweise von anderen Patientinnen (Eleonore Weisgerber in einer überdrehten Nebenrolle als „blödsinnige Erna“) und findet namenlose, aber ziemlich offensichtlich angelegte Gräber. „Da liegen die Pollacken und die Schwachsinnigen von drüben“, erteilt der Gärtner bereitwillig Auskunft. Mit diesem Satz wird immerhin daran erinnert, dass auch zahlreiche Zwangsarbeiter zu den Opfern in Wehnen und anderen Heilanstalten zählten. Margarethe reimt sich nun dank der Aufzeichnungen ihres Mannes einiges zusammen. Und als sie später zur Nachuntersuchung nach Wehnen zurückkehrt, stolpert sie, überwältigt von den bösen Erinnerungen, übers Gelände und landet prompt im Archivraum, wo sie flugs die Mappe mit den Todeslisten findet – ein bisschen viel Zufall auf einmal.

Ich werde nicht schweigenFoto: ZDF / Václav Sadilek
Schicksalsgenossinnen. Eine Verbündete findet die kämpferische Margarethe (Nadja Uhl) in der jungen Antje (Janina Fautz), deren Mutter in Wehnen ums Leben kam. Dieses Bild ist typisch für die Erzählhaltung des Films: Mit Uhls Figur besitzt er zwar eine absolute Identifikationsfigur, die Kamera aber springt ihr nicht huckepack auf die Schulter, sondern es gibt in den Bildern eine angenehme Distanz zum Geschehen.

Das Gerede der Leute offenbart heimliche Mitwisserschaft
Auch wenn also nicht jedes Drehbuch-Detail stimmig erscheint, manche Dialoge doch sehr plakativ geraten sind und die synchronisierten Passagen der tschechischen Darsteller – der Film wurde in Prag gedreht – gelegentlich auffallen, gelingt Gronenborn eine packende und beklemmende Film-Erzählung über die Ohnmacht und den Widerstand einer einzelnen Frau in der Nachkriegszeit. Weder bemüht sie dabei das Trümmerfrau-Klischee, noch weicht sie mit einer erbaulichen Liebesgeschichte dem Sujet aus. Dafür wird die Enge jener Zeit und das nachwirkende Nazi-Gift wirkungsvoll beschworen, auch dank einiger prägnanter Nebenrollen. Barbara Philipp und Martin Wuttke spielen die scheinbar hilfsbereiten Nachbarn. Sie ist die ehemalige Blockwartin, die in alles ihre Nase steckt, er der schweigsame Heimkehrer, der im Krieg einen Arm verlor. Der großartige Wuttke spielt diesen ehemaligen SS-Mann Windhorst undurchsichtig, bedrohlich, aber nie als Nazi-Klischee. Dass ein Nachbar wie Windhorst die Vormundschaft über Margarethe erhält, nachdem diese nach einem Jahr aus Wehnen entlassen wird, erscheint allerdings ebenfalls etwas unglaubwürdig. Die Kinder sind derweil bei Margarethes Schwester Erna (Petra Zieser) und deren Mann auf dem Lande untergekommen. Margarethe muss sich nun gegen Windhorsts Übergriffe und das bösartige Gerede der Leute wehren, das freilich auch eine heimliche Mitwisserschaft offenbart: „Sie sind Auswurf. Unter Hitler hätten Sie die Irrenanstalt nicht mehr verlassen.“ Sie scheint traumatisiert, wird von Erinnerungen an Wehnen gequält und von einem vorbeifahrenden Krankenwagen in Angst versetzt. Aber gebrochen wurde sie nicht. Margarethe kämpft gegen ihre Stigmatisierung als Verrückte und vor allem für die Chance, ihre Kinder wieder zu sich zurück zu holen. Eine Verbündete findet sie in der jungen Antje (Janina Fautz), deren Mutter in Wehnen ums Leben kam. Nicht zuletzt geht es in diesem Film um ein allgemeingültiges Motiv: um die Courage, für unbequeme Wahrheiten offen einzutreten.

Der Wissenschaftler entlarvt sich in einem übel anschwellenden Monolog selbst
Ist das Ende der Geschichte, bedenkt man das jahrzehntelange Vertuschen im wirklichen Leben, nicht zu versöhnlich geraten? Nicht unbedingt, denn eine Art Happy End für das fiktionale Einzelschicksal zu finden, ist legitim. Und dass sich Margarethe wie eine Art Erin Brokovich für alle um die Wahrheit verdient gemacht hätte, behauptet der Film nicht. Auch Ahrens wird nicht öffentlich als ein Mittäter entlarvt und verliert nicht sein Amt, doch in einem Wortwechsel mit Margarethe entlarvt er sich selbst. Da bricht seine Gesinnung, die er in der neuen Zeit eigentlich nicht mehr öffentlich kundtun darf, in einem übel anschwellenden Monolog regelrecht aus ihm heraus. Diese menschenverachtende Hybris des Wissenschaftlers, der Gott spielt, weil er von dem rassenbiologischen Unsinn der Nazi-Ideologie überzeugt ist. Das klingt zwar für heutige Ohren wie ein fernes braunes Rauschen, allerdings richtet Ahrens an Margarethe auch die rhetorisch gemeinte Frage: „Wollen Sie in einer Welt leben, in denen Ihre Kinder mit Krüppeln und Cretins die Schule besuchen?“ Ein heikler Drehbuch-Satz, weil Gronenborn und ihr Co-Autor Sönke Lars Neuwöhner damit auf die aktuelle Debatte um Inklusion verweisen und stillen Beifall von der falschen Seite provozieren. Aber womöglich wollen sie damit auch andeuten, dass das Denken der Nazizeit nicht sicher und für alle Zeiten in den Giftschränken der Geschichtswissenschaften gelagert ist, ohne Schaden in der Gegenwart anrichten zu können. (Text-Stand: 12.8.2017)

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Fernsehfilm

Arte, ZDF

Mit Nadja Uhl, Barbara Philipp, Martin Wuttke, Janina Fautz, Rudolf Kowalski, Katja Flint, Eleonore Weisgerber, Petra Zieser, Marek Harloff, Matthias Lier

Kamera: Birgit Gudjonsdottir

Szenenbild: Martin Maly

Schnitt: Sabine Brose

Musik: Gert Wilden Jr.

Produktionsfirma: Nordfilm, Mia Film

Drehbuch: Esther Gronenborn, Sönke Lars Neuwöhner

Regie: Esther Gronenborn

Quote: 3,91 Mio. Zuschauer (14,4% MA)

EA: 08.09.2017 20:15 Uhr | Arte

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