Tagträume sind sein Schutz gegen den grauen Alltag. Florian ist 15, steckt knietief in der Pubertät. Die ersten zaghaften Versuche, dem Vater zu verstehen zu geben, dass er andere Wünsche, andere Vorlieben habe als er, scheitern kläglich. Der alte Simson-Motorroller bedeutet Flori nichts, er will Klavier spielen. Der Sprung vom Zehn-Meter-Brett ist für den Vater, der junge Turmspringer trainiert, eine Selbstverständlichkeit, für seinen Sohn ist es ein Trauma. So langsam zweifelt Flori daran, dass er ist wie die Anderen. Wer verkleidet sich schon mit seiner Mutter als Schlager-Idol Christian Steiffen, malt sich Koteletten an, zwängt sich in einen Glitzeranzug, tanzt durch die Wohnung und besingt den ersehnten „Sexualverkehr“?! Als seine geliebte Mutter ins Koma fällt, stürzt die Welt für ihn zusammen. Wie soll er das Leben mit diesem Vater überstehen? Wie soll er ihm beibringen, dass er sich offensichtlich mehr für Jungen als für Mädchen interessiert? Die Freundschaft mit dem rumänischen Turmspringer Radu ist der erste Testlauf. Der Vater beginnt langsam seinen Jungen zu verstehen, will helfen und macht wieder nur alles falsch. Florian aber spürt endlich, dass er sich auf seinen Alten verlassen kann – und wichtiger noch: dass er ihn liebt.
„Vielleicht ist das die größte Kunst des Films: Menschliche Tragödien mit trashigen Szenen zu einer wirren, traurigen und komischen Geschichte zu verarbeiten, deren ironische Brechungen nichts daran ändern, dass sich die Figuren ehrlich lieben.“ (DIE ZEIT)
„Eine Liebeserklärung an meine Jugend, an meine Heimat Lichtenberg und an meinen Papa“ (Axel Ranisch)
„Am Ende dieses kleinen, überaus großherzigen und grandios lakonischen Films wurden eine Menge Ratlosigkeitsbiere getrunken, scheue Küsse getauscht und geleugnet, Fische gefangen und dann nicht gegessen, wurde ein Schlagerfuzzi zum Weltweisen und eine Vater-Sohn-Beziehung neu ausprobiert. Was an keiner Stelle gewollt, gestellt oder dramagewichtig ausgesehen hat. Sondern selbstverständlich, alltäglich und sehr zärtlich.“ (taz)
Es ist schon eine ungewöhnliche Mischung, die einem da das Allroundtalent Axel Ranisch, Schauspieler, Regisseur, Produzent, in seinem zweiten Langfilm „Ich fühl mich Disco“ präsentiert. Ein tragischer Stoff im Gewand einer unperfekten Sozialkomödie, inszenatorisch gebrochen mit musicalhaften Pop-Trash-Szenen, mal nur geträumt, mal wild ausgetanzt. „Frühlingserwachen mit Schlagerstar“ titelte DIE ZEIT zum Kinostart. Dramaturgisch dagegen ist das alles klein, auf wenige Charaktere konzentriert, der Hormonspiegel ist das Maß der Dinge: Coming of age meets Coming out. Die Geschichte ist autobiographisch gefärbt. „Ich war das dicke, schwule Kind zweier Leistungssportler“, hat Ranisch einmal in einem Interview gesagt. Eine so große Nähe zur Geschichte und den Figuren kann auch kontraproduktiv (für den Zuschauer) sein. „Ich fühl mich Disco“ aber ist viel mehr als Selbsttherapie. Man hat nie das Gefühl, von der Sentimentalität in einigen Szenen mitgerissen zu werden, dafür sorgt schon die Montage: und so folgt der pubertären Tristesse das bunt-grelle „Contra“ oder zumindest eine kleine Pointe, ein heimliches Lächeln.
Ranischs Charaktere sind nicht stilisiert, Vater und Sohn, zwei rundliche Typen, werden meist sehr pur in ihrer physischen Präsenz gezeigt, aber nicht ausgestellt, geschweige denn vorgeführt. Köstlich die Szene, in der die Mutter dem Vater, der nackt, massiv und missmutig auf einem Stuhl sitzt, die Haare schneidet und sie nach getaner Arbeit mit dem Staubsauger unwirsch vom Leibe saugt – da muss nicht viel gesagt werden, um zu erkennen, was Sache ist und wer in dieser Familie das Sagen hat. Der Film lebt von solchen Details, auch von Alltagsbeobachtungen, von Abstrusem und Herzerwärmendem – und die Charaktere machen die Musik. Und so ist Ranischs Tragikomödie ein bisschen so wie die jugendliche Hauptfigur: seltsam, etwas peinlich, aber „echt“ & immer liebenswert. (Text-Stand: 24.4.2015)