Hüftkreisen mit Nancy

Felix Knopp, Rebecca Rudolph, Helen Woigk, Zeuschner. Körperliche Selbstfindung

Foto: ZDF / Ivan Maly
Foto Rainer Tittelbach

Ein Mann steckt in einer Midlife-Krise: Job weg, die Ehe nur noch Gewohnheit, die Lebensträume verschüttet, der Energiehaushalt im Keller. Und dann kommt SIE: 24 Jahre jung, Tänzerin, Fitnesstrainerin, eine Magierin, die offensichtlich weiß, was dieser verkopfte Journalist braucht. Ob es aber der ersehnte Schlüssel zu seiner Wiedergeburt und der Rettung seines Familienlebens wird? Auch wenn 99 Prozent aller Ehe- & Selbstfindungskomödien mit einem familienfreundlichen Happy End aufwarten – so hat man doch bei „Hüftkreisen mit Nancy“ (ZDF / Zieglerfilm Baden-Baden) nicht den Eindruck, als würde hier nur wieder die immergleiche Dramaturgie des Zueinander-Zurückfindens abgespult. Das liegt sicherlich auch daran, dass hier ausnahmsweise mal ein Mann in einer Identitätskrise steckt. Der Film besticht durch einen klugen Umgang mit einer Männerphantasie, steckt voller kleiner Wahrheiten, ist temporeich inszeniert und wartet immer wieder mit ironisch-verspielten Wendungen auf, und die vortreffliche Besetzung, allen voran Felix Knopp, ermöglicht tiefere Erkenntnisse.

Max (Felix Knopp) steckt in einer Midlife-Krise. Dass er an seinem 45. Geburtstag entlassen wird, das will er erst einmal nicht als Chance sehen. Könnte er aber. Immerhin war er Absolvent der Journalistenschule Henri Nannen, startete also voller Erwartungen ins Berufsleben, richtete sich dann allerdings beim Steglitzer Stadtanzeiger ein. Doch die Unterforderung hat ihren Preis. „Wo ist der Max geblieben, den ich vor 17 Jahren eingestellt habe?“, fragt denn auch sein künftiger Ex-Chef. Über die Jahre ist Max zynisch geworden. Aber auch der wilde Mann, der Tina (Rebecca Rudolph) einst im Sturm eroberte, ist längst Vergangenheit. Sex gibt es nur noch an hohen Feiertagen. Tinas Geburtstagsgeschenk, ein Tanzkurs Argentina unter dem Motto „Entdecke das Feuer in dir“, ist ein Wink mit dem Zaunpfahl. Doch Max hat erst mal andere Probleme. Seiner Frau verschweigt er die Kündigung, die Tage sitzt er auf einer Parkbank ab – bis ihm Nancy (Helen Woigk) begegnet: 24 Jahre jung, Tänzerin, Fitnesstrainerin, eine Magierin, die offensichtlich weiß, was Max braucht. In ihrem Hinterhofstudio wird erst mal sein verspanntes Becken entkrampft. Nancys Hüftkreisen ist legendär. Ob es der ersehnte Schlüssel zu seiner Wiedergeburt und der Rettung seines Familienlebens wird? Nancy ist zwar sehr jung, aber sie ist auch eine Frau. Max scheint diesen Schwebezustand erst einmal zu genießen. Doch dann kriegt er bei seinem drittklassigen Blatt noch eine Chance – und diese ist verbunden mit einem Family-Wellness-Wochenende in einem Spreewald Resort. Tina interessiert sich dort besonders für den Kurs „Energie aus dem Becken“, geleitet wird er von einer jungen, attraktiven Frau namens Nancy…

Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit NancyFoto: ZDF / Ivan Maly
Max (Felix Knopp) behält seine Entlassung für sich, hängt im Park ab und hat eine „Erscheinung“ … Die „Erscheinung“: Ist die engelsgleiche Nancy (Helen Woigk) Maxens Rettung? Die Midlifekrisen-Komödie tappt erfreulicherweise nicht in die Männerphantasie-Falle!

„Ich bin die Lösung für deine Probleme“, sagt die Titelfigur – und setzt dabei einen Blick auf, der diesen Max noch ganz andere Verträge als nur ein Jahresabo im Fitnessclub hätte unterschreiben lassen. Nach den ersten 35 Minuten der (körperlichen) Selbstfindung ist dann allerdings Nancy das größte Problem für die männliche Hauptfigur. Wenig später trifft sich das Ehepaar erwartungsgemäß bei einem Beziehungstherapeuten wieder, welcher sodann zu einem mehrwöchigen LAT-Programm rät: „Living apart together“ – und so leben Max und Tina künftig mehr getrennt als zusammen. Jetzt ist es wiederum an Nancy, eine neue Phase im Leben des Midlife-Krisen-geschüttelten einzuläuten. Nach dem Energie-Transfer aus diesem sexy-Jungbrunnen kommt jetzt sogar noch eine Art Erleuchtung hinzu: Nancys Hüftkreisen ist die Metapher für ihren Lebenstraum, als Tänzerin zu arbeiten. Und Max, der nun durch Nancys magische Hände die Hüften kreisen lassen kann wie weiland John Travolta, möchte wieder dort neu ansetzen, wo er vor zwanzig Jahren offenbar falsch abgebogen ist. Er will als Musikjournalist arbeiten, und er hat bald auch schon einen Auftrag: ein Porträt einer lebenden Legende, John Ash (ein fiktiver Rockmusiker!), gleichzeitig das Idol seiner jungen Jahre. Max ist plötzlich wieder im Aufwind, er spürt sich wieder, weiß, was er will. Ob sein Weg aber nicht vielleicht doch ein bisschen zu regressiv ist? Und was wird aus seiner Ehe? Tina hat auch Bedürfnisse und checkt auf Anraten ihrer geschiedenen Mutter (Ruth Reinecke) erst einmal ihren Marktwert. Ein langer Weg zu einem möglichen Familien-Happy-End. Und was will eigentlich Nancy? Sein Schwiegervater und zugleich bester Kumpel (Rudolf Kowalski) warnt Max vor dieser Frau: „Hast du gesehen, wie Nancy dich anschaut?“

Auch wenn 99 Prozent aller Ehe- & Selbstfindungskomödien mit einem familienfreundlichen Happy End aufwarten – so hat man doch bei „Hüftkreisen mit Nancy“ nicht den Eindruck, als würde hier nur die immergleiche Dramaturgie des Zueinander-Zurückfindens abgespult. Das liegt sicherlich auch daran, dass in der ZDF-Komödie von Miko Zeuschner nach einem Roman von Stefan Schwarz ausnahmsweise mal an erster Stelle ein Mann in einer handfesten Identitätskrise steckt. Und das wiederum macht es möglich, ein traditionsreiches Hollywood-Komödienmuster auch mal von einem deutschen Fernsehfilm wachküssen zu lassen: das Spiel mit einer Männerphantasie. Das ist weder sexistisch noch peinlich (allenfalls für den Mann) – und im Übrigen macht sich ja auch Tina, angespornt von ihrer Mutter, zwischenzeitlich ran an einen sogenannten „Knackpopo-König“. Erfreulich ist im Übrigen auch der für öffentlich-rechtliche Verhältnisse relativ unverkrampfte Umgang mit Sex. Köstlich ist die Einführung der beiden: Man hört sie im Off alle möglichen Familienangelegenheiten besprechen, während die Kamera sich durchs Fenster ins Schlafzimmer schleicht, wo die zwei Maxens Geburtstag im Bett schon mal vorfeiern. Dass dieser Kuschelsex-Nummer der Gang zum Orthopäden folgt, das passt ins traurige Bild dieser ganz normalen Bilderbuchehe aus Schweigen und Hüftsteife, aus ironischem Schutzpanzer und vorgetäuschten Orgasmen. Vor allem Max ist der Zauderer, der Sprücheklopfer, der nichts ernst nimmt. Das ist Selbstschutz und Überlebensstrategie. Selbst das, was ihm mit Nancy passiert – dem will er gar nicht auf den Grund gehen. Womöglich würde sonst etwas zutage treten, was er lieber verdrängen möchte. Man kann es auch positiv formulieren: Dieser Mann verweigert sich einer altmodischen Männerphantasie.

Hüftkreisen mit NancyFoto: ZDF / Ivan Maly
Den Marktwert testen. Während der Ehemann die Hüften kreisen lässt wie John Travolta, macht sich Noch-Ehefrau Tina (Rebecca Rudolph), angestachelt von ihrer geschiedenen Mutter (Ruth Reinecke), hübsch für einen anderen „Knackarsch“.

Die Grundidee, die Sprachlosigkeit und Einsamkeit, die sich über eine Beziehung gelegt hat, nicht mit dem Kopf, etwa durch eine Langzeit-Paartherapie, sondern die Blockaden mit Hilfe des Körpers zu lösen, liegt nicht nur im realen Leben zu recht im Trend, sondern macht sich auch im Rahmen einer Komödie – weil es ja neben der möglichen Heilung auch neue Begehrlichkeiten weckt – dramaturgisch ziemlich gut. Max bezeichnet sich zu Beginn als „Denksportler“ und er scheint sich darauf sogar noch etwas einzubilden, wenn er sich da im Studio die anderen Fleisch- und Muskelberge um sich herum (kein Zentimeter nicht tätowiert) so anschaut. Ob er sich von deren Männlichkeit etwas abguckt, erzählt der Film nicht explizit, anzunehmen wäre es. Jedenfalls scheint er sich mit der Zeit gar nicht mal so unwohl zu fühlen in dieser seltsamen Männerwelt. Vergessen sollte man natürlich nicht, dass „Hüftkreisen mit Nancy“ bei aller Realitätsnähe der Geschichte ja in erster Linie eine Komödie ist: Da besitzen solche Kontraste immer einen gewissen Reiz. So ein bisschen kommt sich der Journalist in Nancys Muckibude anfangs vor wie im Zoo. „Fing so die Evolution an?“, macht sich Max lustig. Und nicht umsonst gibt es einen fließenden Übergang vom Training ins Wohnzimmer von Maxens Familie mit den Worten „Orang-Utans sind eine Primatengattung aus der Familie der Menschenaffen…“ Der Ton kommt aus dem Fernseher; die Kids schauen sich eine Tier-Dokumenation an. Auch in anderen Szenen macht der Film seinem Genre alle Ehre. Besonders gelungen ist eine trickreiche Fantasy-Sequenz, in der Max dem Moment tiefster Erkenntnis erlebt – und sich den Song seines Idols zum Vorbild macht. Dass das weniger gut klappt als angenommen, liegt bei einer Banalität wie „Follow Your Heart“ natürlich auf der Hand. Der Film ist schließlich kein „Herzkino“, sondern steckt voller kleiner Wahrheiten, ist temporeich inszeniert und wartet immer wieder mit ironisch-verspielten Wendungen auf.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Felix Knopp, Rebecca Rudolph, Helen Woigk, Rudolf Kowalski, Ruth Reinecke, Alessandro Schuster, Ziva-Marie Faske, Paul T. Grasshoff, Imad Mardnli, Tim Ricke

Kamera: Konstantin Kröning, Maximilian Lips

Szenenbild: Karin Bierbaum

Kostüm: Bettina Weiß

Schnitt: Annemarie Bremer, Janina Gerkens

Musik: First Take Studios, Biber Gullatz, Moritz Freise

Redaktion: Thorsten Ritsch

Produktionsfirma: Zieglerfilm Baden-Baden

Produktion: Marc Müller-Kaldenberg

Drehbuch: Johann A. Bunners, Martin Dolejs – nach dem gleichnamigen Roman von Stefan Schwarz

Regie: Miko Zeuschner

Quote: 3,10 Mio. Zuschauer (10,8% MA)

EA: 23.05.2019 20:15 Uhr | ZDF

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