Kindeswohl auf dem Prüfstand, Ehestreit und gestörter Hotelfrieden
Eltern sein haben sie sich einfacher vorgestellt. Annette Kramer (Annette Frier) ist zwar schon Mutter, aber als Chefin eines Traditionshotels erweist sich die neue alte Rolle mit Anfang 40 als eine ziemliche Herausforderung. Ihr Ehemann Ingolf Muthesius (Christoph Maria Herbst), die treibende Kraft in Sachen Kinderwunsch, gibt sich mit dem 14-jährigen Ole (Nico Ramon Kleemann) zwar alle erdenkliche Mühe, aber auch er muss zwischen hektischem Hotelleben und seiner psychotherapeutischen Praxis erst einmal in die Vaterrolle reinwachsen. Viel Zeit bleibt allerdings nicht – denn das Sorgerecht besteht erst mal nur auf Probe. Das Jugendamt ist sich nicht sicher, ob das berufstätige Ehepaar in der Lage ist, einem pubertierenden Teenager, der gerade erst seine Eltern bei einem Autounfall verloren hat, den nötigen Halt zu geben. Annette ist guter Dinge, als sie erfährt, dass ausgerechnet der nerdige Klaus Wengler (Arndt Schwering-Sohnrey), ein ehemaliger Mitschüler, über die Adoption entscheidet. Als der aber ebenso gnadenlos, wie er einst in Annette verliebt war, nun Protokoll führt über die Versäumnisse der Pflegeeltern, rastet sie aus. Die Nerven liegen schon länger blank. Der Junge gerät zunehmend zum Zankapfel des Paares: Es hagelt Vorwürfe, es gibt lautstarken Streit und dann ist Ole plötzlich verschwunden. Doch damit nicht genug. Seit Tagen stört eine Gruppe sanges- und trinkfreudiger nationalkonservativer Anwälte den Frieden im Hotel. Besonders ihren ideologischen Kopf Kai Kressin (Florian Panzner) hat Annette gefressen.
Ein kitschfreies Plädoyer für mehr Courage der schweigenden Mehrheit
Seine Hotelgäste kann man sich nicht aussuchen. Familie auch nicht. Eine Fernsehfamilie allerdings schon: Im Hause Kramer ist man gern zu Gast, denn „Hotel Heidelberg“ bringt alles mit, was gute serielle Fernsehunterhaltung auszeichnet. Das Sujet Hotel, wie es Autor Martin Rauhaus in der ARD-Freitagsreihe verwendet, ist bestens geeignet für eine kitschfreie, alltagsaffine und ein Stück weit aufgeklärte Familien-Dramödie. Das Motiv Menschen im Hotel, das Event-Mehrteiler wie „Das Adlon“ oder „Das Sacher“ auszeichnet, steht nicht im Mittelpunkt dieser Degeto-Reihe. Die Gäste sind vielmehr vor allem interessant durch das, was sie mit den Hauptfiguren „anstellen“. So provozieren die Anwaltsburschenschaftler in „…Vater sein dagegen sehr“ eine Reaktion: Die Kramers müssen Haltung zeigen. Diese Spiegelung einer gesellschaftspolitischen Frage in die einigermaßen heile Welt dieser Fernsehfamilie ist ebenso ungewöhnlich wie gelungen. Die Bewältigung des juristisch nicht lösbaren Problems, diese lästigen, reaktionären Gäste loszuwerden, zeugt von Lebensklugheit und gesundem Pragmatismus und ist in diesem kleinen, familiären Rahmen die passende Antwort auf die ideologische Störung: Sie wird zu einem Plädoyer für die Demokratie, die Freiheit des Andersdenkenden und für mehr Courage der schweigenden Mehrheit. Aus dem Stehgreif ringt die Heldin nach den richtigen Worten, nicht ohne dabei immer wieder die eigene Ratlosigkeit zum Ausdruck zu bringen. „Es kommt nicht auf die an, sondern auf uns, was wir denken, wofür wir stehen. Ich glaube, wenn jeder von uns ein bisschen lauter und klarer sagt, was er meint, dann hören die uns doch.“ Annette Frier bekommt hier – mit besten Grüßen von Danni Lowinski – ihren kurzen, ganz großen Auftritt, mit dem sie an die vielen Leisen appelliert, die sich von den wenigen Lauten viel zu sehr verunsichern lassen.
Auch Hannelore Hogers Hermine, die legendäre Gründerin des Hotels, gerät mit Kressin aneinander. Und wer hat das letzte Wort?
Er: „Wer sind Sie überhaupt, dass Sie sich hier quasi Amtsgewalt anmaßen.“
Sie: „Ich bin die höchste Instanz, der Sie innerhalb dieser Mauern begegnen werden und als solche kann ich Ihnen versichern, dass hier keinerlei Propaganda-Feldzüge stattfinden werden.“
Er: „Das ist in Ihren Augen Propaganda, dass wir offen unsere Vaterlandsliebe bekunden.“
Sie: „Das können Sie gerne, aber nicht in meinem Hotel.“ (Sie packt sich den schwarz-rot-goldenen Wimpel, der auf dem Tisch der Anwälte steht, und schreitet in Richtung Mülleimer)
Er: „Das würde ich mir an Ihrer Stelle noch mal sehr gut überlegen.“
Sie: „Ich habe mir die letzten 73 Jahre nur sehr wenige Dinge sehr gut überlegt und ich bin ausgezeichnet damit gefahren.“
Er: „Sie wollen tatsächlich die Deutschlandfahne in den Müll werfen.“
Sie: „Ich will das gar nicht. Heinrich Heine, Boris Becker, Plunderstrietzel, alles große Klasse. Ich mach’s aber. Upps!“
Der Entwurf von Alltag ist strukturell & narrativ das „Thema“ der Reihe
Die Konzentration auf nur zwei miteinander korrespondierende Konflikte, aus denen sich ein noch größeres Dilemma ergibt (Kressin verunsichert Ole, und Muthesius’ Handgreiflichkeit gegenüber dem „Deutschlandfreund“ gefährdet die Adoption), ist eine gute dramaturgische Entscheidung. Die Handlung mit ihrer Fülle an Personal verzettelt sich dadurch nicht. Die beiden Konflikte werden auf dem „Hintergrund“ einer 90minütigen Darstellung von Alltag entwickelt. Dieser Entwurf von Alltag ist quasi das Über-Thema der Reihe: Das tagtägliche Treiben zwischen Küche, Lobby und Privatbereich, das Mit- und gelegentliche Gegeneinander, auch das Aneinander-Vorbeileben, das Lachen, das Weinen, das Streiten, der Stress mit den Gästen, all das bestimmt die bislang fünf Neunzigminüter. Nicht nur in den Geschichten geht es um Alltag, auch die Dramaturgie evoziert Alltag. Viele Nebensachen, zwei Hauptsachen – daraus ergibt sich ein ganz eigener Erzählfluss, der den Episoden-Themen Adoption und penetranter teutscher Geist die Schwere nimmt und den Problemen eine angenehme Leichtigkeit, etwas Flüchtiges verleiht. Für einen Film, der unterhalten will, ist das genau die richtige Tonart. Apropos Tonart: „…Vater sein dagegen sehr“ (tendenziell aber auch die anderen bisherigen vier Episoden der Reihe) mit seiner aufgelockerten Fünf-Akt-Dramaturgie hat etwas Episodisches, fast Musikalisches, was den Erzählrhythmus angeht, aber auch die beschwingte Wirkung… Und so gibt es viele gute Argumente für weniger Gebirgswiesen, weniger Mauritius, weniger Eifel-Praxis und für mehr (Hotel) Heidelberg.