Annette Kramer (Annette Frier) scheint ihre Aufgabe als Chefin des familieneigenen Hotels über den Kopf zu wachsen. Wo ist das gemeinsame Leben hin?, fragt sich ihr Mann Ingolf (Christoph Maria Herbst), der sich im Hotel Heidelberg vorkommt wie das fünfte Rad am Wagen. Als er mit seiner Unzufriedenheit herausrückt, hat Annette gleich die nächste Überraschung parat: Aus Kostengründen will sie nun auch noch die Küche übernehmen. Noch komplizierter wird die Situation durch die Mütter der beiden. Die von Ingolf (Maren Kroymann), wie er Psychotherapeutin, mosert ständig an dessen Beziehung herum: „Sie hat dich eingewickelt – mein Sohn, der Wackelpudding!“ Gut, dass sie ihm nur selten über den Weg läuft. Ganz anders Annettes Mutter Hermine (Hannelore Hoger): Sie wohnt auch nach dem Tod ihres Mannes wie die meisten Kramers im Hotel. Und noch immer kommentiert sie die Arbeit ihrer Nachfolgerin mit spitzer Zunge. Daran hat sich die Tochter mit der Zeit gewöhnt. Richtig stressig wird es allerdings, als sich Hermine in den egomanischen Theaterstar Richard Karrenberg (André Jung) verliebt. „Der Mann ist eine wandelnde Zeitbombe“, ist sich die Familie sicher. Annette legt sich mit dem Gast ihrer Mutter an, der es offenbar ernst ist mit diesem Mann! Ist es also vielleicht doch gar keine schlechte Idee, Ingolfs Praxisräume zu Wohnräumen umzugestalten und aus dem Hotel auszuziehen?
Foto: Degeto / Bernd Spauke
In „Tag für Tag“ wendet sich die Hotelierfamilie Kramer noch deutlicher als bisher dem fast ganz normalen Alltag zu. War in der vorangegangenen, zweiten Episode der ARD-Reihe „Hotel Heidelberg“ der Titel „Kommen und Gehen“ nicht nur auf das Treiben im Hotel bezogen (so starb der von Rüdiger Vogler gespielte Vater und Ehemann), werden die schwergewichtigen Dinge diesmal stärker am Rande der Geschichte platziert: Der Kotzbrocken, in den sich die Ex-Hotelchefin verliebt, ist nicht ohne Grund ein so unerträglicher Menschenfeind geworden. In seiner Biographie spielt der Tod eine große Rolle, im Film allerdings weniger. Dadurch bekommt die Dramödie von Sabine Boss („Seitensprung“), für die abermals Martin Rauhaus („Nichts für Feiglinge“) das Drehbuch schrieb, eine etwas leichtere Note als die beiden ersten Episoden der Reihe. Der Zuschauer ist Gast bei den Kramers, so wie er einst Gast bei „Diesen Drombuschs“ oder den „Wicherts von nebenan“ war. Im Jahr 2016 aber und bei einem Drehbuchautor wie Rauhaus wird Alltag anders definiert als in den 1980er Jahren. Beziehungen werden tiefer ausgelotet, die sogenannte Work-Life-Balance kommt ins Spiel, und die Mütter – der Frauenbewegung sei dank – sind schon lange nicht mehr die allerbesten, derweil die erwachsenen „Kinder“ noch in ihren Emanzipationsbestrebungen feststecken.
Foto: Degeto / Bernd Spauke
Diese Störungen in der Familienkommunikation ist der Kern der Geschichte. Hinzu kommt die Liebe im Alter, auf die die Alt-68er selbstredend bestehen. Alles andere, die allgemeine Alarmbereitschaft wegen Mutters exzentrischem Liebhaber und ein lebensgefährliches Bakterium, das dem Traditionshaus zwischenzeitlich den Garaus macht und die Existenz der Kramers bedroht, gehört zur äußeren Handlung. Während sich Serien oder Reihen wie „Schwarzwaldhof“ häufig mit solcherlei Konflikten begnügen, sind sie im „Hotel Heidelberg“ allenfalls Vorwand für psychologisch Relevanteres und Mittel zum Zweck, auch schlichteren Zuschauergemütern kurzzeitig die nötige Dosis an Dramatik zu verabreichen. Und am Ende – und damit verrät man nicht zu viel – steht weder eine große Versöhnungsarie noch allseitiges Wohlfühlen. Stattdessen ist ein kleiner Aufbruch zu spüren und ein Augenzwinkern sichtbar. Denn diese Kramers sind Menschen, keine wohlfeilen Funktionsgehilfen der Dramaturgie.
Noch mehr als in den ersten Episoden konzentriert sich Rauhaus auf das durchgängige Personal. Nur der Theaterstar kommt von außen, ist Gast im Hotel und wenig später in Mutter Hermines Bett. Die Konzentration auf vier bzw. sechs Figuren ist die besondere Qualität dieses flüssig, flott und wunderbar unaufgeregt erzählten Unterhaltungsfilms, der besonders von den munteren Dialogwechseln und bissigen verbalen Pointen lebt. Wenn man außerdem so spielfreudige Schauspieler wie Hannelore Hoger, Christoph Maria Herbst oder André Jung zur Verfügung hat, ist Vergnügen die (psycho)logische Folge. „Spielfreudig“, das Prädikat gilt im Übrigen auch für Annette Frier, der in „Tag für Tag“ eine Sonderstellung zukommt: Sie musste Ulrike C. Tscharre als Hauptdarstellerin ersetzen – und so gut diese in „Kramer gegen Kramer“ und „Kommen und Gehen“ auch war, gibt es doch keinerlei Bruch zwischen den Darstellungen der beiden Schauspielerinnen. Die leichtere Tonart dürfte sogar noch etwas mehr für Frier sprechen – und auch als Köchin überzeugte die Schauspielerin bereits in einem ARD-Freitagsfilm: „Sophie kocht“. Allerdings bekommt die Film-Annette als Küchenchefin nicht mal ein weichgekochtes Ei richtig hin. (Text-Stand: 15.11.2016)