Kramer gegen Kramer – das war gestern. Die Frauen haben sich zusammengerauft; jeder hat seinen Platz gefunden. Hermine (Hannelore Hoger) entdeckt ihre Liebe zur Kunst und zum Rock & Roll – genauer gesagt: zu einem seiner Urgesteine (Reiner Schöne), ein Ex-Star und Ex-Lover, den sie nach Heidelberg eingeladen hat. Ihr Mann Günter (Rüdiger Vogler) versteckt sich derweil immer öfter hinter seiner Lektüre. Annette (Ulrike C. Tscharre) geht in ihrer Arbeit als alleinige Geschäftsführerin sichtlich auf und hat bald noch mehr Grund zum Strahlen. Ihr Herzblatt, Psychotherapeut Ingolf (Christoph Maria Herbst), macht ihr einen Antrag. Ein Desaster dagegen wird ein Abendessen der Jungverliebten mit ihren Eltern. Ingolfs Mutter (Maren Kroymann) entpuppt sich als Schnapsdrossel, die zynisch über das Glück der beiden herzieht. Dass Ingolf ihr nicht Contra gibt, nimmt Annette ihm übel. Für weitere Aufregung sorgt ein anderer guter alter Bekannter aus den wilden Jahren von Hermine und Günter: Frank Jonas (Walter Kreye), seines Zeichens Wunderheiler, dessen Anhänger einige Unruhe ins Hotel bringen. Annette befürchtet, dass ihr Haus zum Sektenzentrum verkommt, und muss dann auch noch irritiert feststellen, dass ihr Vater, der ja unlängst einen Mikroinfarkt erlitt, sich von Frank die Hand auflegen lässt. Als sie auch noch von ihrem 17jährigen Sohn Jeremy, der sich in eine ukrainische Stargeigerin verliebt hat, vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ist sie ganz schön durch den Wind und zweifelt plötzlich an allem.
Foto: Degeto / Martin Menke
Was Themen und Subtext angeht, sollte noch nicht zu viel verraten werden. Die geschickte Verwebung der Geschichten um die alten Freunde und die neuen Sorgen und das sehr einfühlsam und anrührend in ihnen Verhandelte, sind das besonders Gelungene an „Kommen und Gehen“, der zweiten Episode aus der neuen ARD-Reihe „Hotel Heidelberg“. Fanden die zahlreichen narrativen Informationen zum Start in „Kramer gegen Kramer“ nur schwer in einen sich selbst antreibenden Erzählfluss, so kann es nun, da das Reihen-Setting etabliert ist, so richtig losgehen mit dem Erzählen – von Alltäglichem & Universalem, von Bewegendem & Banalem. Dass die Drehbücher von Martin Rauhaus trotz ähnlicher Themen nie unter Soap-Verdacht geraten, liegt vor allem an der Souveränität der Charaktere. Die Figuren stehen mitten im Leben und können 1 + 1 zusammenzählen. Dass ein Psychotherapeut das Personal bereichert, trägt mit zum Eindruck bei, dass man es hier mit aufgeklärten Figuren zu tun hat, die sich ihr „Leben“ nicht von Genre-Klischees vorschreiben lassen. Durch Herbsts Figur, die ihr Stottern abgelegt und mit dem Bekenntnis zu seiner Liebe einen Schritt zu größerer Klarheit getan hat, ergibt sich die Möglichkeit, Wünsche und Sehnsüchte, Schwachpunkte und Ängste aller Charaktere explizit zu thematisieren. Mit solchen Figuren kann es somit viel besser gelingen, dem Anspruch der Reihe gerecht zu werden, von den Dingen des Lebens in einer möglichst unaufgeregten, alltagsnahen, sensibilisierenden Art und Weise zu erzählen. So ein bisschen erinnert das Konzept an den Familienserien-Klassiker der 1990er Jahre: „Diese Drombuschs“, getaucht in den Zeitgeist und die Dramaturgie der Gegenwart. Dazu gehört auch eine von Rauhaus mehrfach verwendete Erzähltechnik: eine Szene wird nur kurz „angespielt“, während ihr dramatischer Höhepunkt in der nächsten Szene nacherzählt und gleichzeitig kommentiert wird. So kommt Tempo und Dichte in die Narration und man behält den leichten Grundton.
Foto: Degeto / Martin Menke
Was sich nach zwei Episoden außerdem feststellen lässt: Gesetzt wird hier nicht auf das Prinzip „Menschen im Hotel“, sondern die Handlung geht eher von der Prämisse aus „Das Hotel ist mein/unser Leben“. Die Gäste, die bei den Kramers absteigen, sind an den Fingern einer Hand abzuzählen, und sie stehen nicht für sich, sondern sie interessieren vor allem in der Funktion, die sie für die Hotelierfamilie besitzen. Da ist das Wunderkind mit Geige, in das sich der Sohn des Hauses sogleich verliebt, da ist jener Dave Rivers, der nicht nur den Blues nach Heidelberg bringt, und da ist der Wunderheiler, der nicht nur sein Hotelzimmer zum Behandlungsraum umfunktioniert. Gehörige Unruhe in die Liebesbeziehung der von Ulrike C. Tscharre gespielten Figur bringt die Mutter ihres Liebsten: Diese ist gar nicht lieb, nur ständig blau. Maren Kroymann gibt ihr in zwei, drei Szenen so viel Kontur und hat einen so wunderbaren Hass-Monolog auf das Spießerparadies Heidelberg auf der Zunge, dass es eine Freude ist und man sie sich in weiteren Episoden wünscht und dabei nur hoffen kann, dass die Moralpredigt ihres Sohns, der sie bis in eine Gruppensitzung der Anonymen Alkoholiker verfolgt (irre Idee!), wenig Wirkung zeigt. Hermine Kramer schaltet dagegen einen Gang zurück in punkto Bärbeißigkeit und Dauerironie. Das hat seinen guten Grund – und Hannelore Hoger steht diese gesteigerte Ernsthaftigkeit nicht weniger gut zu Gesicht als ihre bis zur Unverschämtheit ausgelebte arrogante Selbstsucht in der Auftaktepisode. Dreh- und Angelpunkt aber bleibt Annette Kramer/Tscharre. Sie geht mit einem selbstbewussten Strahlen durch Hotel und Film. Nur ein Mal kullern bei ihr riesengroße Tränen. Allerdings so heftig, dass auch viele Zuschauer ihre Taschentücher zücken werden. (Text-Stand: 28.1.2016)