Zum ersten Mal kann sich Annette Kramer (Annette Frier) als „richtige“ Chefin vom Hotel Heidelberg fühlen. Ihre Mutter Hermine (Hannelore Hoger), die legendäre Hotelgründerin, hat endlich ihr Lebenswerk losgelassen und reist jetzt lieber mit ihrem neuen Lover (André Jung) durch alle Herren Länder. Als sich allerdings eine angebliche Mitbesitzerin des Hotels, die biestige Tante Ingrid (Kathrin Ackermann), im Hause Kramer einquartiert, bricht Hermine ihre Weltreise ab. Annette weiß bald nicht mehr, wo ihr der Kopf steht: da diese vermeintliche Erbschleicherin, deren Ansprüche gar nicht so abwegig sind, dort die besserwisserische Mutter. Doch damit nicht genug: Ihr Bruder Stefan (Stephan Grossmann) stellt weiblichen Hotelgästen nach, ihr Sohn Jeremy (David Nolden) träumt offenbar schon mit 20 von der Rente, und dann wünscht sich auch noch ihr Mann Ingolf (Christoph Maria Herbst) ein Kind von ihr. „Aber das kriegen Sie doch geregelt, Sie sind der Typ, der alles geregelt kriegt“, weiß Dr. Tilda Brenninger (Annika Kuhl). Die attraktive Frau ist für eine Nostalgie-Tour im Hotel abgestiegen. Was Annette noch nicht weiß: Ihr Mann Ingolf ist das Objekt des offenbar krankhaften Begehrens dieser Frau. Und mit ihr droht auch dem Hotel weiteres Ungemach.
„Hotel Heidelberg“ geht in die vierte Runde. Die Feelgood-Familien-Dramedy aus der Tourismushochburg am Neckar ist und bleibt – trotz Mauritius- und Gebirgskonkurrenz – die sehenswerteste der inflationär vermehrten ARD-Reihen am Freitag. Der bislang dominierende Mutter-Tochter-Clinch wurde erfreulicherweise heruntergefahren. Annette Kramer ist nun die Domina im Haus und mit ihr rückt Annette Frier ins Zentrum der Reihe. Vergleicht man „Kinder, Kinder!“ mit den Auftakt-Episoden „Kramer gegen Kramer“ und „Kommen und Gehen“, in denen die Rolle noch von Ulrike C. Tscharre gespielt wurde, wirkt es so, als habe erst Frier die Figur befreit vom Trauma der Übermutter, sie dadurch zum Leben erweckt und zu einer sehr viel vitaleren, lebenstüchtigeren Persönlichkeit gemacht – und sie zugleich geöffnet für eine filmische Tonlage, die sich mit ernsthafter Leichtigkeit oder beschwingte Problembewältigung umschreiben lässt. Das Ganze ohne Zeigefinger und ohne falschen Schmus. Trotz eines Psychologen in der Familie werden da nicht die ganz schweren Fässer aufgemacht. Der vermeintlich banale Alltag vielmehr schreibt die Geschichten und bestimmt den Rhythmus der Erzählung. So bleiben die turbulenten Ereignisse, die nie übermäßig hochgespielt oder gar künstlich dramatisiert werden, stets ein Stück weit anschlussfähig für den Zuschauer. Darin erinnert „Hotel Heidelberg“ ein wenig an eine der besten deutschen Familienserien, „Diese Drombuschs“ (1983-94), die allerdings, sozialkritisch & pädagogisch orientiert, alle relevanten Themen im Laufe ihrer 39 Folgen etwas zwanghaft abklapperte.
Statt Ehekrisen, Tod und Krankheit müssen sich die Kramers mit vergleichsweise harmlosen Problemen auseinandersetzen: eine Stalkerin, die das Hotel zu ruinieren droht, eine entfernte Verwandte, die sich als vereinsamt statt als kampfeslustig entpuppt, der Sohn der Heldin, der nicht weiß, was er (studieren) will. Auch der Kinderwunsch des Psychologen wird nach ein paar peinlich komischen Zwischenspielen (seine Eltern tauchen im Hotel mit einer Babywiege auf) fürs erste beiseite geschoben. Doch dann liegt plötzlich dieser 14jährige Waisenjunge Ole bei Ingolf Muthesius (was für ein Name!) auf der Psycho-Couch. Und man ahnt sofort, wie sich eine Win-Win-Situation herstellen ließe. Natürlich hofft man auch ein wenig. Denn das, was der traumatisierte Junge über den Tod seiner Eltern erzählt, ist das Traurigste, das der Film zu bieten hat. Ein bisschen Heilung wäre „Endlich Freitag“-gemäß also nicht verkehrt. Drehbuchautor Martin Rauhaus gönnt dem Zuschauer nicht nur dieses gute Gefühl (der Wunscherfüllung); auch die befriedigte Vorahnung dieser Lösung, die zwei Probleme mit einem Streich beseitigt, sorgt für einen Wohlfühlhochgenuss auf der Zielgeraden. Ähnlich funktioniert dieses Prinzip der zwei Probleme, die sich gegenseitig aufheben, auch bei der Störenfriedtante und dem Rumhängersohn, der im Umgang mit ihr seine Berufung findet.
Im Detail ist es der alltagsnahe Umgangston, der die Musik macht. Da bedarf es keiner Pointen oder spitzfindiger Redewendungen. Es ist der Fluss der Gespräche, welcher Rauhaus hier besonders gut gelingt. Wenn dazu noch – wie in der Exposition – die Montage Tempo macht und die Figuren unprätentiös zu verstehen geben dürfen, dass sie mindestens Abitur haben (einige sogar den Doktortitel), dann findet der Film seinen ganz eigenen Dramödien-Ton, der selten so gut gelingt im Rahmen eines solchen vermeintlichen Heile-Welt-Scenarios. Die Charaktere sind aber nicht nur aus der Sprache oder der Psychologie (pathologisches Intrigieren, Einsamkeit) geboren. Vor allem die zwei im Zentrum sind Menschen aus Fleisch und Blut. Sie haben natürliche Bedürfnisse und bringen diese unverstellt zum Ausdruck. Das stimmige Miteinander der verschiedenen Tonlagen ist die größte Qualität dieser „Hotel-Heidelberg“-Episode, und die vielfältige, unangestrengt ernsthafte Kommunikation dieses nicht mehr ganz jungen und trotzdem ziemlich verliebten Paares ist das kitschfreie Herzstück des Films. Da gibt es die leicht Loriot-gefärbte Romantik in der Exposition („heute auf den Tag genau…“), dieses tragikomische „du zuerst“-Ritual („Ich will kein Kind“), aber auch völlig unschmalzige, sehr sensible Momente, in denen das Paar seinem Leben mit Dankbarkeit und Demut begegnet. Dass der Zuschauer Annette Frier und Christoph Maria Herbst aus Comedy-Produktionen kennt, ist ein schöner, möglicherweise semantischer Nebeneffekt, weil man eine Spur Ironie in Situationen zu erkennen glaubt, die vielleicht gar nicht so gemeint sind.