Zwei DDR-Girlies schnuppern 1986 am ungarischen Plattensee West-Feeling
Es ist der Sommer 1986. Voller Vorfreude machen sich die beiden ungleichen Schwestern aus Erfurt, Catrin (Cornelia Gröschel) und Maja (Sonja Gerhardt), auf zum Balaton nach Ungarn, ein bisschen die große weite Welt schnuppern. Am Plattensee, wie man den größten Binnensee Mitteleuropas in der Bundesrepublik nennt, trifft der Westen den Osten, feiern getrennte deutsche Familien ein paar Wochen im Jahr Wiedervereinigung, planen immer wieder verzweifelte DDR-Bürger die Flucht nach Österreich. Kein Wunder also, dass hier auch Stasi-Spitzel in Badehose unterwegs sind. Der Kontakt zum Klassenfeind wird nicht gern gesehen. Vater Karl Streesemann (Götz Schubert) rät seinen Mädels deshalb schwer davon ab, sich mit Westjungen zu treffen. Das werden sie auch nicht tun: Stattdessen haben die beiden Grazien ein Auge geworfen auf den treuherzigen Thüringer Rudi (Franz Dinda) und den Ungarn Tamás (Stipe Erceg), den Chef des nobelsten Hotels am See. Mutter Kirsten (Anja Kling) hat ein anderes Problem: Ausgerechnet jetzt will ihre Jugendliebe Erik (Dominic Raacke), der in den Tagen des Mauerbaus in den Westen ging und der Catrins Vater ist, seine Tochter kennenlernen und macht sich ebenfalls auf zum Plattensee. Keiner in der Familie kennt das Geheimnis. Karl mag es geahnt haben. Dass er nicht Kerstins große Liebe ist, weiß er, nicht aber, dass sie über die Jahre telefonisch Kontakt zu Erik hatte. Ist es nach einem Vierteljahrhundert nun an der Zeit, sich zur Wahrheit zu bekennen? Erik meint ja, Kirsten nein – und so reisen die Streesemanns ihren Töchtern hinterher, weitere Lügen im Gepäck.
Foto: ZDF / Stefan Erhard
Soundtrack: Wham („Club Tropicana“), Dean Reed („Our Summer Romance“), Madonna („Material Girl“), Human League („Don’t You Want Me“), Cyndi Lauper („Girls Just Wanna Have Fun“), Vanessa Paradis („Joe le taxi“), Frank Sinatra („Fly Me To The Moon“), Sigue Sigue Sputnik („Love Missile F1-11“), Fad Gadget („Collapsing New People“), Billy Idol („Dancing With Myself“), Art of Noise („Moment of Love“), Level 42 („Lessons In Love“), Nessi („Time After Time“), Manfred Krug („Wunderbar ist die Welt“ / „The More I See You“), Joe Cocker („You Can Leave Your Hat On“), Talking Heads („Once In A Lifetime“), Johnny Mathis („Wonderful! Wonderful!“), Eurythmics („Sweet Dreams“ / „Who’s That Girl“), James Last („Close To You“), Matt Bianco („Half A Minute“), Sonny & Cher („I Got You Babe“), Astrud Gilberto („Trains And Boats And Planes“), Paul Anka („Jump“), Mel Tormé („Happy Together“), Phil Collins („Another Day in Paradise“)
Lügen, Bespitzelungen, Sehnsüchte und Träume hinterm Eisernen Vorgang
Ein gängiger Begriff war das sicher nicht in den 70er und 80er Jahren, aber als Titel für einen ZDF-Dreiteiler über die Sehnsüchte zweier Mädchen aus Thüringen, ist „Honigfrauen“ nahezu perfekt. Und die Hauptdarstellerinnen Cornelia Gröschel und Sonja Gerhardt haben es drauf, dieses Strahlen, diese Frische, dieses Unverstellte und ein bisschen Naive, das ihre beiden jungen Frauen auszeichnet. Woher dieses Süße bei der vernünftigeren Catrin und dem romantischen Wildfang Maja herrührt, das thematisiert der Film nicht. Weniger Konkurrenzdruck als im Westen, ein weniger zwanghaftes sich Vergleichen mit anderen, weniger (Konsum-)Optionen, ein weniger kompliziertes Leben? So weit geht diese am Alltagserleben orientierte Geschichte dann doch nicht. Das allerdings, auf was sich die Produzentin & Autorin Natalie Scharf („Frühling“-Reihe) und ihr Ko-Autor Christoph Silber („Die Dasslers – Pioniere, Brüder, Rivalen“) einlassen wollen, die Geschichte von einem Familiengeheimnis, von Lügen, Bespitzelung, unterdrückten und ausgelebten Sehnsüchten und Träumen hinter dem Eisernen Vorgang, das erzählen sie auf eine ganz selbstverständliche Art und Weise, völlig unprätentiös. Das hat viel mit den zwei „Honigfrauen“ zu tun, die den Zuschauer besonders in Teil 1 an die Hand nehmen. Dass der Film bereits im zweiten Teil packende Momente hat und im dritten Teil spannender wird als jeder Krimi nur sein kann (weil über die lange Strecke so richtig viel Mitgefühl aufgebaut werden konnte), lässt sich in der ersten halben Stunde nicht erahnen, in der sich der Dreiteiler mit seinem authentischen Eighties-Look und Camping-Feeling auf Coming-of-age-Spuren zu begeben scheint.
Foto: ZDF / Stefan Erhard
„Honigfrauen, so nannten die Jungs aus meiner damaligen Clique die DDR-Mädchen, die sie in Ungarn trafen. Weil die Mädels aus dem Osten einfach witziger und süßer waren.“
„Ich wollte diese Geschichten auch mal in bunten, sommerlichen Farben erzählen, um zu zeigen, dass sich das Böse und Bedrohliche nicht nur in finsteren Räumen versteckt, an deren Wänden Honecker-Bilder hängen“. (Natalie Scharf, Produzentin und Autorin)
Der hohe Unterhaltungswert von Zeitgeschichte als gelebte Alltagsgeschichte
Kann man so ohne Weiteres einen über weite Strecken launigen Unterhaltungsfilm über die angespannten deutsch-deutschen Verhältnisse in den 1980er Jahren machen? Darf man die Krake Stasi, Grenz- und Flüchtlingsdramen auf den Horizont zweier blauäugiger Backfische herunter brechen? Darf man das Komödien-Motiv Lüge dramaturgisch kurzschließen mit moralisch-politischen Verfehlungen? Sollte man überhaupt Populärkultur und Politik paaren? Solcherlei Fragen schießen dem Kritiker während des Sehens immer mal wieder durch den Kopf. Die Antwort aber ist eindeutig: Man sollte, man darf, ja, man muss solche Wege gehen, wenn man einen Spielfilm machen (und viele Menschen ansprechen) möchte. Und dann ist es ja immer auch eine Frage der konkreten Qualität. „Honigfrauen“ übertrifft die Erwartungen bei Weitem. Der an der Lebenserfahrung des Einzelnen orientierte Ansatz, Zeitgeschichte also auch als gelebte Alltagsgeschichte zu begreifen und so im Film zu präsentieren, ist spätestens seit „Unsere Mütter, unsere Väter“ sogar für den Nationalsozialismus weitgehend akzeptiert. In „Honigfrauen“ ist es weniger die Erzählperspektive als vielmehr die leichte Tonlage, die manch einen irritieren könnte. Vergleicht man aber diesen Dreiteiler, der für drei Sonntage das ZDF-„Herzkino“ ersetzt, mit der anderen unlängst vom ZDF ausgestrahlten Mini-Serie, „Der gleiche Himmel“, der Aspekte der DDR-Geschichte aus dem Jahr 1974 als ernsthaftes Drama mit „Romeo“- und Doping-Exkursen erzählt, schneidet der vermeintlich ostalgiehaltigere neue Film um einiges besser ab. Scharf & Silber halten sich an die klassische Helden-Dramaturgie, erzählen konventionell und linear, verweben dabei aber die existenziellen Konflikte so geschickt miteinander, dass bald alles mit allem zusammenhängt. Diese vielschichtige Interdependenz bedeutet: Alle befinden sich auf einem Pulverfass. Jede Aktion kann zum beabsichtigten Ziel führen, aber gleichzeitig auch unerwartete Folgen haben. Dadurch kommen sogar die Heldinnen in große Gefahr. Und am Ende zieht sich das Netz, in dem alle Figuren gefangen sind, immer fester zusammen. Es ist aber nicht nur die Spannung, die einen als Zuschauer fesselt, bis zum Ende bleibt auch die Frage offen: Wer kriegt wen? Wird tatsächlich am Balaton geheiratet? Fahren am Ende alle Streesemanns wieder zurück nach Erfurt? Und ist Maja tatsächlich eine Frau, die sich hoch schläft? Auch wenn Realismus und Psychologie sich in der Geschichte erfreulicherweise durchsetzen, gelingt es den Machern doch, alternative Phantasien bis kurz vor dem Filmende beim Zuschauer wach zu halten.
Foto: ZDF / Stefan Erhard
„Immer wieder hört man von Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind, dass nicht alles schlecht war. Vielleicht spiegeln ‚Honigfrauen’ genau das wider. Auch in der DDR konnte man den Sommer genießen, in den Urlaub fahren und die große Liebe finden. Dass es die dunkle Seite der DDR gab, das weiß jeder und sie gehört zu unserem Film von Anfang an dazu. Vielleicht will der Film sagen: ‚Schaut her, so ähnlich hätte es damals sein können: Liebe und Verrat gingen sehr oft Hand in Hand’.“ (Cornelia Gröschel)
Leichtigkeit, Sommerfrische, gut inszenierte Balaton-Atmo & der passende Cast
Nicht unmaßgeblich zum vorzüglichen Gesamteindruck trägt auch das Setting bei: Die Herberge der DDR-Urlauber, der Campingplatz am See, der extra für den Film „erbaut“ wurde, aber äußerst lebensecht wirkt, und die Balaton-Residenz, das Luxushotel für die „besseren“ westdeutschen Gäste, das zu Majas zweiter Heimat wird, sind nicht nur die beiden Hauptschauplätze des Films, sie sind auch dramaturgisch Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. „Die Leichtigkeit, Sommerfrische und der Esprit dieses ungewöhnlichen Ortes sollten miterzählt werden“, so Scharf über das Balaton-Feeling. Dies ist vortrefflich gelungen. Zu dem beabsichtigten Lebensgefühl bei trägt auch der Soundtrack der 80er Jahre und sein besonderer Einsatz: So werden die Titel nicht nur als Stimmungsmetaphern oder Lückenfüller eingesetzt, sondern sie „bespielen“ häufig den Raum. Besonders im Bereich um das Hotel oder am Pool hört man ständig Songfragmente, mal ganz leise, plötzlich wieder lauter (weil die Musikquelle näher an das Geschen im Bild herangekommen ist). Das verstärkt die Urlaubsillusion, ist aber auch wahrnehmungspsychologisch clever – die Musik unterstützt den Raumeindruck – und lädt zum Musiktitelraten ein. Aber kein Balaton-Feeling ohne die richtigen Gesichter: neben der hinreißenden Strahlefrau Gröschel als die rücksichtsvolle Pragmatikerin und Gerhardt als unberechenbares Glamour-Girlie, das einfach nur spielen will, sind auch Franz Dinda, Stipe Erceg, Sebastian Urzendowsky, Alice Dwyer und Isolda Dychauk eine vorzügliche junge Besetzung. Die Eltern, Anja Kling, Götz Schubert und Dominic Raacke, bilden ebenso ein absolut stimmiges Trio. Kling und Gröschel könnten vom Gesichtsausdruck und Zungenschlag her tatsächlich Mutter und Tochter sein. Gröschel und Dychauk spielen Halbschwestern, würden aber auch als Schwestern durchgehen.
Foto: ZDF / Stefan Erhard
Authentisch sein, aber nicht desavouieren.
„Es ist immer ein Abwägen zwischen dokumentieren und der Frage, wie weit kann ich gehen, ohne dass es für uns heute lächerlich wirkt. Deshalb habe ich das Ensemble in Kostüme gekleidet, die ihre Rolle unterstützen, sodass der Zuschauer für die Charaktere Empathie empfindet und sich in die Story fallen lassen kann.“ (Maria Schicker, Kostümbildnerin)
Gelungene Balance zwischen Stimmung und Spannung, Psychologie und Plot
„Honigfrauen“, den Dramödien-Experte Ben Verbong mit gewohnt leichter Hand inszeniert hat, gelingt die Balance zwischen Situation und Finalisierung, zwischen Stimmung und Spannung und vor allem zwischen Psychologie und Plot. Die Heldinnen dürfen sich treu bleiben. Die Frauen sind stark, weil sie wissen, was sie wollen, und wenn sie es einmal nicht wissen wie Sonja Gerhardts unstete Maja, so zeugt ihr Verhalten dennoch von Mut, Kraft und Eigenständigkeit. Und sie hat ein loses Mundwerk („Sag mal, ist das Portemonnaie in deiner Hose so dick oder hast du einen Ständer?“). Die Männer indes kreisen um die Frauen, sind schwach wie Franz Dindas „Schmalfilmer“ Rudi oder werden emotional eher indifferent gezeigt wie Stipe Ercegs Tamás Szabo, der Hotelbesitzer, der sich als Fluchthelfer noch ein kleines Zubrot verdient, für den beide Schwestern schwärmen und der auch dramaturgisch als Türöffner zum Westen fungiert. Er ist die einzige Figur, die dramaturgisch etwas zu viel aufgeladen bekommt und zu wenig Eigenleben besitzt. Einen nachhaltigen Eindruck als Mann der zweiten Wahl an Übermuttis Seite erspielt sich Götz Schubert. Dass ausgerechnet, wenn die Streesemann-Mädels zum Balaton reisen, auch Dominik Raackes Erzeuger sich an seine Vaterrolle erinnert – auch dieser Umstand bekommt im dritten Teil seine Erklärung: Erik lebt in Scheidung – und da erinnert man sich nun mal gern an die verpassten Chancen im Leben. Zur gelungenen Ausbalancierung darf auch Komisches nicht fehlen. Die Honecker-Witze sind schön albern, die Situation, in der sie erzählt werden (am Tisch ein Spitzel) ist es nicht. Und ganz am Ende kommen sogar noch die drei Jahre später historisch werdenden Bananen augenzwinkernd und „Honigfrauen“-frech ins Spiel. Maja: „Also ich finde ja Bananen irgendwie überschätzt.“ Catrin: „Haben aber eine Menge Magnesium und Kalzium und Calium und Phosphor.“ Maja: „Ja, und wenn man sie isst, sieht das ziemlich unanständig aus.“