Schluss mit online! Mutti setzt sich und ihre Liebsten auf digitale Nulldiät
Mutter Heike (Nina Kunzendorf) kann das nicht mehr länger mit ansehen. Wo ist das Familienleben hin? Keiner hört einem mehr zu, alle glotzen nur noch auf ihre Smartphones. Ihre 16jährige Tochter Marie (Tara Fischer) hat nur noch ihre (un)sozialen Netzwerke im Kopf und der gerade 15 gewordene Benny (Ludwig Skuras) verdaddelt seine Freizeit mit Internetspielen. Als auch noch das Familienkonto von Poker-Gesellschaften und Flirt-Hotlines geplündert wird, zieht die „Chefin“ den Stecker: Schluss mit online! Ein paar Wochen will sie sich und ihre Liebsten auf digitale Nulldiät setzen – Ausgang des Familienexperiments offen. Selbst für sie wird der Alltag anstrengend. Echte Schwierigkeiten in seinem Beruf bekommt allerdings ihr Mann Klaus (Christoph M. Ohrt): ein Systemadministrator kann nicht mal eben wie die Besitzerin eines Antiquariats tagelang offline sein. Dass er dennoch das Spiel ohne Widerrede mitmacht, hat mit seinem schlechten Gewissen zu tun. Ein Grund fürs Familien-Update war seine Aktivität in einem Single-Portal. Auch die Kinder müssen einige Krisen, die durch das Handy-Verbot verursacht werden, durchstehen. Benny verliert den Kontakt zu seinen Kumpels, und Maries Freund macht Schluss mit ihr, weil sie nie erreichbar ist. Für solche Probleme gibt es in dieser Familie zwar keine App mehr, aber es gibt andere Lösungen.
Foto: ZDF / Britta Krehl
Vergessene Nähe. Kann es eine aufgeklärte, sinnliche digitale Welt geben?
Als ob es nicht schon reichen würde, dass nach 19 Ehejahren das Feuer in einer Beziehung nicht mehr lodert, jetzt buhlen auch noch diese kleinen Alleskönner um die Gunst des Partners. Und die sind oft einfach unterhaltsamer – und notfalls kann man die sogar lautlos stellen. Dem Vorwurf der Ehefrau, „Du merkst gar nicht, dass wir keine Familie mehr sind“, folgt der kollektive Aufschrei: „Hilfe, wir sind offline!“. Die gleichnamige ZDF-Komödie folgt der analogen Radikalkur in kalendarischer Chronologie, vom „Kalten Entzug“ am ersten Tag über „Liebe analog“ am zwölften bis hin zu „Embrace Technology“. Ganz am Ende heißt es „Neustart“ – und vielleicht geht es dann ja in eine aufgeklärtere, lustvollere digitale Zukunft. Autor Martin Rauhaus hat die gängigen Positionen der Internet-Freaks und die der Online-Skeptiker gleichermaßen in eine launige Handlung verpackt; die gleicht eher einer narrativen Versuchsanordnung als einer klassischen Geschichte. Nach der emotionalen Verlust-Erfahrung der weiblichen Hauptfigur stellen sich bald auch erste Verluste auf der Seite der „Abhängigen“ ein, während bei der anfangs gefrusteten Mutter deutlich die Lust-Erfahrung überwiegt. Und auch die Jugend weiß es irgendwann zu schätzen, dass ihr Alltag nicht nur durchge-appt ist, sondern dass auch die analoge Welt, in der ihre Eltern ihr Glück gefunden haben, besondere Reize besitzt: So kann es beispielsweise keine E-Mail mit dem Zauber eines handschriftlich verfassten Liebesbriefs aufnehmen. Und was kann schon gegen einen Angelausflug mit Vater und Sohn oder einen Frauenplausch zwischen Mutter und Tochter sprechen?
Den Spiegel vorhalten. Ein zugespitzter Selbstversuch in einer TV-Komödie
Die Botschaft, die „Hilfe, wir sind offline!“ am Ende nur haben kann, ist jedem vernünftigen Zuschauer von Anfang an klar. Ein gesundes Gleichgewicht zu finden im Umgang mit sich, seinen analogen, teilweise vergessenen Bedürfnissen, diesen Wunderwerken der Technik und seinen sozialen Netzwerken, kann in diesem Film – wie im Leben – nur die finale Erkenntnis sein. Der zugespitzte Selbstversuch hat im Rahmen einer TV-Komödie aber dennoch seine Berechtigung, weil er dem Zuschauer mit Hilfe eines Perspektivwechsels einerseits amüsant den Spiegel vorhält und ihm Denkanstöße gibt, indem er zeigt, wie das Gewohnheitstier Mensch funktioniert und wie schnell dabei Liebgewonnenes verschütt’ gehen kann. Die Attraktionswerte von Mensch und Maschine vergleichend miteinander kurzzuschließen, das Medienthema also auf das Beziehungsthema zu projizieren – auch das konnte selbstredend Rauhaus nicht auslassen. Dabei schwingt der Autor erfreulicherweise nicht die moralische Keule, redet aber auch nicht den dumpfen Online-Pragmatikern das Wort. Plot-mäßig sind diese 90 Filmminuten ein ziemliches Vabanque-Spiel. Zunächst muss Rauhaus nachhelfen, damit der Ehemann so lange still hält und das Ganze einigermaßen glaubwürdig wirkt: Ist die Sache mit der Flirt-Hotline noch ein dramaturgischer Trick, der einigermaßen aufgeht, so hakt es in punkto Psychologie und Plausibilität an einer anderen Stelle: Jeder Erwachsene kennt den entscheidenden Unterschied zwischen privater und beruflicher Internetnutzung; einer lebensklugen Frau eines Systemadministrators ist nur schwer abzunehmen, dass sie nicht in der Lage ist, dies zu erkennen und nicht die nötige Weitsicht besitzt, um zu sehen, dass ihn das seinen Job kosten könnte. (In realitätsfernen Genrefilmen darf man „Glaubwürdigkeit“ getrost den Erbsenzählern überlassen, in einem Film, der ein alltagsnahes Problem verhandelt, selbst einer Komödie, sollte man solche grundsätzlichen Widersprüche besser vermeiden.)
Foto: ZDF / Britta Krehl
Praktische Intelligenz. Die Frau als lebenskluge Wächterin der Familie
Umso mehr nimmt man dieser Frau, die das Spiel in Gang setzt und bis zum Ende die Fäden in der Hand hält, das was sie tut, voll und ganz ab, und man nimmt sie – wie ihre Familie nach anfänglichem Verzweifeln („Spinnst du?“) auch – durchaus ernst: Ihr geht es tatsächlich um ein besseres Familienleben, und sie vertraut bei der von ihr verordneten digitalen Nulldiät auf die regenerativen Kräfte ihrer Familie. Man kann fast den Eindruck haben, als nehme sie den Satz ihrer Bankberaterin, „Haben Sie Ihre Familie nicht im Griff?“, als Weckruf von Frau zu Frau, als Erinnerung, dass man sich doch im Jahrhundert der Frau und im dritten Jahrzehnt einer Fernsehfilmunterhaltung befindet, in der die Frau das Sagen hat, und wenn es nach 19 Jahren der Ehemann nötig hat online zu flirten, dann muss sie sich einfach darauf besinnen, dass sie die Vernünftige in der Familie ist und dass sie die besseren Argumente hat. So spielt den auch Nina Kunzendorf – wunderbar ernsthaft, konzentriert und ohne komödiantische Mätzchen. Sie verkörpert ihre Heike Grothoff zunehmend relaxt, von sich und ihrer Sache durch und durch überzeugt. Die Mutter, eine Art Wächterin der Familie, strahlt Autorität, Kompetenz und Verantwortungsbewusstsein aus. Sie ist eine moderne Frau, die mitten im Leben steht, keine Fundamentalkritikerin der schönen neuen Medienwelt. Kunzendorfs Präsenz nimmt der Handlung jedes noch so kleine Problem mit der Stimmigkeit. Die Schauspielerin ist ein Glücksfall für diesen Film. Auch Christoph M. Ohrt überzeugt in seiner Rolle als Ehemann in der Defensive; mit den Kolleginnen, mit denen er sonst gelegentlich ins Lustspiel-Bett gestiegen ist, hätte diese Themen-Komödie allerdings nicht funktioniert. So spiegelt sich letztendlich in der Besetzung und den dezent nuancierten Tonlagen von Drama-Queen Kunzendorf und dem geborenen Komödianten Ohrt gleichsam das Konzept von „Hilfe, wir sind offline!“ als einer TV-Komödie mit gesellschaftlich relevantem Thema.
Foto: ZDF / Britta Krehl
„Kunzendorf war die beste Besetzung, die ich mir hätte wünschen können. Durch ihr trockenes und authentisches Spiel hat sie dafür gesorgt, dass der Film bei aller komödiantischer Zuspitzung seine Bodenhaftung nicht verliert.“ (Ingo Rasper)
Schmunzeln erwünscht. Eine Haltung schließt Selbstironie nicht aus
Dieses realitätsnahe Thema wird entsprechend alltagsnah umgesetzt. Der Film des Komödien-Experten Ingo Rasper, der episodisch erzählt und doch sehr klar strukturiert ist, besitzt ein flottes Tempo und findet einen passenden Rhythmus für seine Figuren und Fakten. So hat man nie den Eindruck, es mit einer Thesen-Komödie zu tun zu haben. Ein bisschen pädagogisch bzw. medienpädagogisch wertvoll und erkenntnisstiftend ist das Ganze natürlich schon – aber ohne Haltung kommt man bei diesem Thema nicht raus aus der Geschichte. Und auch wenn man bei dieser Diskurs-Dramedy nicht erwarten sollte, dass sie einem emotional nahegeht, so ist „Hilfe, wir sind offline!“ doch ein gelungener Versuch, ohne streng gereckten Zeigefinger für ein virulentes Thema zu sensibilisieren. Und Spaß hat man auch noch dabei! Die witzigsten Momente des Films sind die, in denen sich die Anstalt ZDF – wie schon in der Grimme-nominierten Sitcom „Lerchenberg“ – selbstironisch geben darf. Beim Einrichten des alten Röhren-Fernsehers gibt es öffentlich-rechtliche Nachhilfe für den unwissenden Sohnemann. „Früher gab’s nur die beiden da oben.“ ARD und ZDF. „Warum heißen die so blöd?“ Mutter hat die Ruhe weg. „ZDF – Zweites Deutsches Fernsehen. Kennst du doch sicher von den Plakaten: Mit dem Zweiten sieht man besser.“ Unverständnis. „Mit dem zweiten was denn?“ – „Mit dem zweiten Fernsehen.“ – „Man soll sich zwei Fernseher kaufen?“ Jetzt schaltet sich die Tochter ein: „So blöd können die Leute doch auch wieder nicht sein… Und warum eigentlich ‚öffentlich’, wenn das eh bloß die Alten gucken?!“