Der todkranke Ulrich Kainer will seine letzten Tage in aller Ruhe verbringen. Und dann den Zeitpunkt des Todes selbst bestimmen. Dafür hat er sich einen Revolver besorgt – mit einer einzigen Patrone. Kainer will aufs Land fahren, weil er auf dem Land aufgewachsen ist. Aber wohin? Seine alte Heimat ist in einem Stausee versunken. Erst mal zum Bahnhof, mit einem Koffer ohne Klamotten, dafür gefüllt mit Waffen-Zeitschriften, die ihm der Revolver-Verkäufer im Billardsalon wortlos hineingeschüttet hat. Auf dem Weg zum Bahnhof klappt Kainer zusammen, ein Obdachloser findet ihn, weist Kainers 100-Euro-Dankesschein zurück („hab gerade Mittagspause, da nehme ich nichts an“) und schenkt ihm stattdessen ein Ticket für eine einfache Fahrt aufs Land. Dort habe er eigentlich Urlaub machen wollen, sagt der Obdachlose, aber: „Hatte zu viele Geschäftstermine“. Also fährt Kainer nach Oberöhde, ein Kaff in der hessischen Provinz, in dem gerade der Besitzer des einzigen Supermarkts und der einzige Gastwirt im Ort um ein leer stehendes Ladenlokal streiten. Und weil der Gastwirt aus Italien stammt und seinem Kontrahenten gedroht hat, halten die Dorfbewohner den schweigsamen Fremden schon bald für einen Mafia-Killer – ein Gerücht mit Folgen.
Hauptdarsteller Martin Wuttke zieht das Publikum in den großartigen Eingangsszenen in den Film hinein. Wuttkes furchenreiches, ausdrucksstarkes Gesicht ist eine faszinierende Landschaft für sich, und auch seine tief knarzende Stimme, die in dem einführenden Monolog aus dem Off zu hören ist, ebnet den Weg, macht uns Zuschauer vertraut mit diesem rätselhaften Ulrich Kainer. Denn es gibt nur Andeutungen, keine Gewissheiten über den „Frührentner“, der allein in der Stadt lebt und sich als „Profi für den Tod“ bezeichnet. Killer könnte schon sein, was auch bestens zu den zahlreichen, komisch gebrochenen Figuren passen würde. Ex-Killer Kainer kommt also ins Dorf, wird fälschlicherweise für einen gedungenen Mafia-Killer gehalten, ist aber eigentlich der am wenigsten schießwütige Typ in Oberöhde. Wie man sieht, schrecken Maria-Anna Westholzer (Drehbuch und Regie) und Michael Proehl (Drehbuch) auch nicht vor Namens-Wortspielen zurück. Öde wird es jedenfalls nicht, und dass in dem Kaff keiner sterben würde, lässt sich auch nicht behaupten.
Das erste Opfer: ein Huhn. Erschossen von Emil (David Grüttner), dem kleinen, aber taffen Sohn der alleinerziehenden Bäuerin Marie (Britta Hammelstein), die dem mal wieder in Ohnmacht gefallenen Kainer aufgesammelt und im Gästezimmer untergebracht hat. Nun hat der freche Emil leider Kainers Revolver aufgespürt, damit herumgespielt und prompt die einzige Patrone verpulvert. Kainer gibt sich abweisend, wird aber schon bald hineingezogen ins pralle Dorfleben. Die vor einem halben Jahr von ihrem Mann verlassene Marie scheint interessiert an dem geheimnisvollen Fremden. Gastwirt Cesare (Michele Cuciuffo) macht dem vermeintlichen Mafia-Killer ein Job-Angebot, das Kainer nicht annehmen will. Und der verzweifelte, stets betrunkene Heinz (Martin Feifel) bittet aus versicherungstechnischen Gründen darum, erschossen zu werden. Heinz‘ Tod, an dem Kainer letztlich nicht ganz unbeteiligt ist, ruft wiederum den Kommissar auf den Plan, den Justus von Dohnányi mit einiger Hingabe als wahres Ekelpaket spielt, der für Landleben nur Verachtung übrig hat.
Das beachtliche Langfilm-Debüt von Maria-Anna Westholzer ist eine deftige Provinz-Posse im Western-Style, tempo- und wendungsreich, mit skurrilen Dialogen und ohne Scheu vor blutigen Scherzen. Verzweiflung, Hingabe, Gewalt und Tod vor stimmungsvoll fotografierter Landschaft, dazu die zahlreichen prägnanten Nebenfiguren wie die drei aufmerksamen Rentner, die alles kommentieren und sich im Zweifel zu wehren wissen. Christian Redl als überaufmerksamer Jäger und Jule Böwe als ausgesprochen sympathische Gastwirtin gehören ebenfalls zu dem umfangreichen Ensemble. Und einen schwarzen Darsteller gibt es auch: Bless Amada spielt Tayo, der sich Kainer als „diagnostizierter Masochist“ vorstellt und ziemlich enttäuscht ist, weil ihm der vermeintliche Killer nicht das Messer in den Oberschenkel rammt. Tayo stellt sich seinen fiesen, weißen Kumpels auch gerne als Punching-Ball zur Verfügung und wird schon bei Kainers Hinfahrt im Zug hin und her geschubst.
Ein Schwarzer, der sich gerne von Weißen vermöbeln lässt und „Sadist“ ruft, wenn ihm der Schmerz versagt bleibt? Immerhin spielt Bless Amada nicht das Stereotyp eines unterwürfigen Opfers, sondern nur einen Typen mit eigenartiger Vorliebe – in einer durchgehend eigenartigen Dorfgemeinschaft. Im Kontext eines Films, der alles, nur nicht „realistisches“ Fernsehen sein will, muss man das wirklich nicht als rassistisch verurteilen. Am Ende läuft die Sache dann vollends aus dem Ruder. Der neunminütige Showdown ist pures Genre-Vergnügen um seiner selbst willen. Wer da warum auf wen schießt, ist eigentlich nicht mehr wichtig.