Deutschland Ost im Jahre 1992. Es schneit Gänsefedern in einer Betriebsküche – und Eva-Maria Hagen singt volkstümliche Weisen. Danach verliert die Köchin Johanna ihren Job, tags darauf ihren Mann. Sie ist – wie die anderen im Dorf Herzsprung – nicht zu beneiden. Doch sie ist jung, will sich mit der brandenburgischen Einöde ebenso wenig abfinden wie mit der Nachwende-Tristesse…
Ein blutiges Märchen erzählt die renommierte Dokumentaristin Helke Misselwitz in ihrem bemerkenswerten Spielfilm-Debüt. Die Geschichte eines wundersamen Aufbruchs in einem wundersamen Land, in dem nicht nur Rowdies Hatz auf einen Schwarzen machen, sondern auch getanzt, gesungen und ein gesundes Heimatgefühl gepflegt wird. Und wo Liebe Berge versetzen kann. Johannas Herz macht Sprünge, als ihr der Farbige Manuel begegnet. Und selbst ihr Vater verliebt sich noch einmal.
Rot ist die Liebe, rot ist das Blut – und zugleich Signalfarbe in „Hersprung“. Johanna watet durchs Blut, färbt sich die Haare rot, schlüpft in rote Schuhe und steigt in einen roten Wagen. Bei Misselwitz sind das keine symbolischen Ausrufezeichen, eher sinnliche Reize. Der Film erzählt sich selbst, so wie sich das Leben oft wie selbst erzählt. Der Film braucht keine Stichwortgeber, die wie bei mäßigen TV-Spielen zur nächsten Szene überleiten. Ein kleines poetisches Meisterwerk mit Bildern zum Verlieben und Darstellern der Extraklasse ist hier als Kino-Koproduktion dem ZDF gelungen. Unvergesslich wie Claudia Geisler durch die fahle Winterlandschaft tänzelt oder ihr Körper bis zur Besinnungslosigkeit mit den Rockmusik-Rhythmen verschmilzt. Im Gegensatz dazu: Günter Lamprecht, stoisch, in sich ruhend und mit sich eins. Beeindruckend auch die jungen Männer: Ben Becker oder Nino Sandow – Gesichter!
Helke Misselwitz war die gefühlsmäßige Doppelwertigkeit von Titel und Geschichte wichtig: „dass einem das Herz aus Freude und vor Kummer springen kann“. Bewusst vereint habe sie auch „das Märchenhafte und das Wirkliche“ in ihrem Film. Es ging ihr nicht um die rechte Szene, eher um den latenten Rassismus. „Und den“, so betont sie, „hat es ja auch schon vorher gegeben, auch in der ehemaligen DDR. Nur wurde er unterdrückt, war nur unterschwellig vorhanden“. (Text-Stand: 13.6.1994)