Helen Dorn – Schatten der Vergangenheit

Anna Loos, Stötzner, Weisse, Kinski, Dierbach. Genügend Stoff für mehrere Krimis

Foto: ZDF / Guido Engels
Foto Harald Keller

Es beginnt mit einer per Telefon mitgehörten Abfolge von Schussgeräuschen und nimmt immer neue, aberwitzige Wendungen. Die Düsseldorfer LKA-Kommissarin Helen Dorn wird herangezogen, weil der mutmaßliche Anschlag in Zusammenhang mit einem Vergewaltigungs-Prozess steht, auf den sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit richtet. „Schatten der Vergangenheit“ ist ein inhaltsreicher, sehr kompakter Beitrag zur ZDF-Reihe „Helen Dorn“ (Network Movie), zwar wohlorganisiert und gut gespielt, aber von der Machart her kein Ausweg, um den wiederkehrenden Schwächen dieses Krimiformats zu begegnen.

Das Rührei mit Chili und Schinken verkauft sie ihrem Vater schelmisch als „Sojaersatzstoff“. „Wir ernähren uns ab heute vegan“, sagt Helen Dorn (Anna Loos), meint mit diesem „wir“ aber vor allem ihren Vater (Ernst Stötzner). Er hat Geburtstag und bekommt von ihr ‒ eine Urne geschenkt. „Da ziehst du mal ein“, sagt sie mit entwaffnendem Lächeln. „Aber erst, wenn wir sie leergegessen haben.“ Das Behältnis ist randvoll mit Pfefferminzbruch. Den der säuerlich dreinblickende Richard Dorn gar nicht mag. Es wird also hoffentlich noch dauern, bis die überdimensionierte Zuckerdose seine Asche aufnehmen wird. Inzwischen gingen bereits Dinge vonstatten, die schon im nächsten Moment einen Einsatz der LKA-Kommissarin mit dem eigenwilligen Humor nach sich ziehen. Eine Kanzleiangestellte hat während eines Telefonats mit ihrem Chef, Strafverteidiger Johannes Trautwein, im Hintergrund Schüsse gehört. Das Gespräch brach ab. Der Anwalt wollte einen Zeugen treffen, der eine entlastende Aussage im Verfahren gegen den einer Vergewaltigung beschuldigten Robert Lorenz (Thomas Loibl) versprochen hatte. Über eine Handy-Ortung kann Trautweins letzter Aufenthaltsort ermittelt werden. Eine einsam gelegene, menschenleere Gegend unter einer Hochstraße. Es finden sich Reifenspuren und Hinweise auf eine Schießerei.

Von Lorenz erfährt Dorn, dass der Anwalt von einem anonymen Anrufer an diesen Treffpunkt bestellt wurde. In der Vergewaltigungssache beteuert Lorenz seine Unschuld. Seine Frau Britta Lorenz (Ina Weisse) ist eine ehemalige Schulfreundin von Helen Dorn. Britta gibt an, bei dem Vergewaltigungsvorwurf handele es sich um eine Racheaktion des früheren Kindermädchens der Familie, das in Robert verliebt gewesen, aber zurückgewiesen worden sei. Ein neues Rätsel: Beim Anwalt wurde erkennbar eingebrochen. Die Prozessakte fehlt, der Computer wurde gelöscht. Noch deutlicher konnten die Täter kaum herauskehren, dass die Vorwürfe gegen Robert Lorenz auf Manipulationen beruhen. Helen Dorn hegt schon früh den Verdacht, dass das Opfer Eva Czerny (Barbara Prakopenka), Kindermädchen, Studentin und Teilzeit-Prostituierte, nicht die Wahrheit sagt. Und doch lässt sie sich über eine lange Zeit hinweg täuschen, missdeutet die Indizien, verkennt die Zusammenhänge.

Autor Clemens Murath hat einen außergewöhnlich verwickelten Kriminalfall entworfen. Es beginnt mit Schüssen aus dem Hinterhalt auf den Verteidiger, geht über zu einer fragwürdigen Vergewaltigungsanklage, dann wird der Anwalt ermordet aufgefunden. Alsdann nimmt die Geschichte eine Wendung zu dubiosen Grundstücksgeschäften, es ereignen sich ein weiterer Mord und auch noch eine Entführung. Respektabel ist schon, wie der Autor ihr verzweigtes Material in eine nachvollziehbare Ordnung bringen, das Regisseur Alexander Dierbach sachlich, dem Naturalismus nahekommend, in Szene setzt. Ganz ohne Erklärdialoge geht es dabei nicht ab. Aber das gemeinsame Räsonieren zweier Polizisten ist ja so abwegig nicht.

Helen Dorn – Schatten der VergangenheitFoto: ZDF / Guido Engels
Ruth Lorenz (Angela Winkler) hat ihr Erbe nicht Alex (Nikolai Kinski) überschrieben. Top-Cast macht noch keinen guten Krimi.

Dennoch gebiert die Komplexität der Geschichte eine Fülle an dramaturgischen Problemen. Aus Warte der konspirierenden Verbrecher birgt der durchtriebene Plan bei weitem zu viele Unwägbarkeiten, um zu überzeugen. Beteiligt sind sehr kluge Menschen, die das angestrebte Ziel auch einfacher hätten erreichen können. Wenig wahrscheinlich, dass sie sich auf diesen Aberwitz eingelassen hätten. Schon dass der Verteidiger Trautwein sich von einer unbekannten Person in eine gottverlassene Einöde locken lässt, verlangt vom Publikum einiges an Nachsicht im Hinblick auf die Plausibilität. Wer sich auf solch mutwillige Gespinste nicht einlassen mag, wird an diesem Film keinen Gefallen finden. Der Plot ist erkennbar eine Kopfgeburt. Passend vielleicht für eine Reihe, in der Übermut und augenzwinkerndes Überdrehen zum Konzept gehören. Nicht aber für „Helen Dorn“. Das zeigt sich, wenn die mit einer außerordentlichen Intuition gesegnete, normalerweise mit schlafwandlerischer Sicherheit agierende Kommissarin plötzlich zur Unaufmerksamkeit neigt. Eine Erklärung hätte die Sorge um den Vater sein können, der in der Episode „Gnadenlos“ einen Kollaps erlitten hatte. Dieses Motiv klingt an, erschließt sich aber allenfalls, wenn man den damaligen Film gesehen hat. Und selbst wenn: Dessen Ausstrahlung liegt über ein Jahr zurück. Eine Anmaßung, zu erwarten, dass die Zuschauerschaft nach so langer Zeit noch Handlungsdetails parat hat.

Die enorme Handlungsverdichtung mit entsprechendem Aktionismus der Figuren vermag die bereits früher an dieser Stelle angesprochenen Probleme der Reihe nicht zu lösen. Helen Dorn ist eine wache Ermittlerin, entschieden und zielstrebig, zugleich eine herbe Figur, schroff und unnahbar, herzlich allein im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Anna Loos verleiht dieser Ermittlerin gänzlich uneitel und vollends überzeugend eine optische Strenge und Verhärmtheit – dies passt zu jemandem, der über die Maßen von seinem Beruf beansprucht wird. Aber Dorns Wesensart ist nur mit Überarbeitung nicht zu erklären. Zur Schwäche gerät gerade in dieser Folge, dass Dorns Verhalten nicht konsequent ihrem Charakter, sondern den Erfordernissen des Drehbuchs folgt. Gegenüber dem Kriminaltechniker Weyer (Tristan Seith), der offen an ihr Interesse zeigt, bleibt sie anhaltend frostig, weicht aber erstaunlicherweise augenblicklich auf, als sie mit Britta Lorenz eine lange aus den Augen verlorene Schulkameradin wiedersieht. Und zwar gleich so sehr, dass sie sich gewaltig – und mit tödlichen Folgen für andere Beteiligte – in die Irre führen lässt. Zu den wiederkehrenden Schwachstellen der Reihe gehört ferner, dass Dorns Vater, vor seiner Pensionierung selbst Kriminalbeamter, bald jedes Mal auf irgendeine Weise in den aktuellen Fall verstrickt ist. Und mit dem Kriminaltechniker Weyer muss man inzwischen regelrecht Mitleid haben. Nicht allein, weil er von Dorn regelmäßig kalt abgefertigt wird, sondern weil er, obwohl immer mal im Hintergrund ein paar namenlose Komparsen im Schutzanzug erkennungsdienstliche Aktivitäten simulieren, in der KTU offenbar alles alleine machen muss – Daktyloskopie, Ballistik, Computertechnik, das Fönen durchnässter Dokumente. Vermutlich ist er der nächste, der einem Kollaps erliegt und dann von Dorn „Sojaersatzstoffe“ serviert bekommt.

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Reihe

ZDF

Mit Anna Loos, Ernst Stötzner, Daniel Friedrich, Tristan Seith, Ina Weisse, Barbara Prakopenka, Harald Schrott, Nikolai Kinski, Angela Winkler

Kamera: Ian Blumers

Szenenbild: Jérome Latour

Schnitt: Simon Blasi

Musik: Wolfram de Marco

Redaktion: Daniel Blum

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Jutta Lieck-Klenke, Dietrich Kluge

Drehbuch: Clemens Murath

Regie: Alexander Dierbach

Quote: 7,38 Mio. Zuschauer (23,1% MA); Wh. (2021): 3,05 Mio. (13,7% MA)

EA: 17.03.2018 20:15 Uhr | ZDF

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