Helden – Wenn dein Land dich braucht

Christiane Paul, Hannes Jaenicke, Emilia Schüle. Wie gemacht fürs Schwarze Loch

Foto: RTL / Wolfgang Ennenbach
Foto Rainer Tittelbach

„Deutschland gibt es nicht mehr“, sagt der Kanzler – und die Nation krempelt die Ärmel hoch. Allen voran eine Expertin für Schwarze Löcher & ihr Ex-Lover. Das verunglückte TV-Event mit 140 sehr langen Minuten ist ein einziges dramaturgisches Missverständnis. Pathos und Patriotismus erschlagen die Geschichte, Ideologie und Rhetorik ersetzen präzises Handwerk. Die Idee der Geschichte findet zu keiner Zeit eine sinnliche Entsprechung. Hier wird alles nur behauptet. RTL verhebt sich an einem Sujet, das zu groß ist für den Bildschirm und für das relativ schmale TV-Budget und das zu komplex ist für die Kreativität der Macher.

Nur noch kurz die Welt retten
Ein Nachrichtensatellit knallt in den Berliner Reichstag, Flugzeuge fallen vom Himmel, das Kommunikationsnetz bricht zusammen. Das Land, bald ganz Europa stehen vor der größten Katastrophe aller Zeiten. Was tun? „Deutschland gibt es nicht mehr“, sagt der Kanzler und appelliert an den Einzelnen. „Wir müssen zusammenhalten, um zu überleben.“ Deutschland hat verstanden und jeder krempelt die Ärmel hoch, packt zu, gibt sich erfindungsreich, menschen- und fremdenfreundlich. Allen voran die Expertin für Schwarze Löcher und ihr Ex-Lover. Sie müssen in die Schweiz, die Welt retten. Denn im Kernforschungszentrum in Genf liegt die Ursache des Desasters. Hier wurde der Urknall simuliert – und ein riesiges Schwarzes Loch geschaffen, das nun droht, einen Teil der Menschheit zu verschlingen. Doch das Duo naht voller Tatendrang, so gut es eben geht – ohne Flugverkehr und in einem Land, dessen Erdoberfläche von schweren Beben und Verwerfungen des Gesteins gezeichnet ist. Die Zeit könnte knapp werden. Denn in Genf, 16 Stockwerke unter der Erde, geht den Überlebenden langsam die Luft aus, und bald sind auch die Flieger, die auf EU-Beschluss hin eine Atombombe auf das Kernforschungszentrum abwerfen sollen, im Anflug.

Helden – Wenn dein Land dich brauchtFoto: RTL / Wolfgang Ennenbach
Schmieren-Dramatik. Damit haben Christine Neubauer und Armin Rohde keine Probleme. Sie sind Profis, geben dem Regisseur, was er haben will. Man müsste sich schon sehr anstrengen, um dieser planen Story einen politischen Subtext anzudichten.

Wer spielt hier Gott?!
RTL wollte mit „Helden – Wenn Deutschland dich braucht“ mal wieder etwas Großes schaffen. Im Film wird großspurig eine Wissenschaft angeprangert, die Gott spielt. RTL und Dreamtool ist dabei offenbar entgangen, dass sie selbst nichts anderes machen: Sender und Produktionsfirma, berauscht von ihrem digitalen Spielzeugkasten, verheben sich an einem Sujet, das viel zu groß ist für den Bildschirm und für das relativ schmale TV-Budget, das aber auch zu komplex scheint für die Kreativität der Macher. Die Klarheit der Inhaltsangabe besitzt dieser Katastrophenfilm zum Tag der deutschen Einheit in keiner seiner 140 Minuten. Dafür ist er einfach zu lang und zu banal strukturiert. Da müssen zahlreiche Nebenschauplätze mit nationalen Helden ausgestattet werden; das gehört zur Geschichte, die man erzählen will, für die Dramaturgie aber ist das tödlich. Und so wirkt das vermeintliche RTL-Event bald ebenso zerrissen wie die mittels dürftiger Tricktechnik zerstörte deutsche Landschaft. Das ist sicher auch ein Wahrnehmungsproblem. Irgendwann möchte man als Zuschauer nicht mehr.

Pathos, Pathos über alles…
„Wir Menschen gelten als die intelligenteste Spezies. 7 Milliarden sind wir. Unser Erfindergeist und Fortschritt scheint keine Grenzen zu kennen. Aber überholt nicht längst die Technologie unsere Menschlichkeit? In welche Welt wollen wir unsere Kinder entlassen? Die Wissenschaft kann jetzt im größten Forschungsprojekt aller Zeiten den Urknall simulieren. Wir spielen Gott.“ Mit pathosgeschwängerter Stimme spricht der „Planetenretter“ Hannes Jaenicke den Prolog zum Film. In diesem Stil geht es weiter. Immer zwei Nummern zu groß, in jeder Szene zu dick aufgetragen. Nachdem es die letzten Jahre nicht gelungen ist, in deutschen TV-Events die handwerkliche Machart der Amis zu erreichen, versucht RTL nun, Hollywood in Sachen Nationalstolz und Patriotismus rechts zu überholen. Da schwillt immer wieder mächtig die Musik orchestral an und fängt die „Helden“ in großen Posen ein. Und gelegentlich gibt Gott ihnen offenbar ein Zeichen, indem er die Landschaft in goldgelbem Licht erstrahlen lässt, so wie es Hollywood für seine Lichtgestalten und Retter der nationalen Sache vorgemacht hat.

Helden – Wenn dein Land dich brauchtFoto: RTL / Wolfgang Ennenbach
Engelchen flieg! Böses, böses Schwarzes Loch! Yvonne Catterfeld hebt mächtig ab in „Helden – Wenn dein Land dich liebt“

Träger Koloss trifft Schmierendramatik
Das Hauptproblem: Die Idee der Geschichte findet keine sinnliche Entsprechung. Jede Sequenz wirkt wie die statische Bebilderung einer Drehbuchpassage – hölzern, umständlich, isoliert von einer Handlung, die nie als Fluss spürbar wird, sondern die sich auf (verbale) Behauptungen verlassen muss. Dramaturgisch ist dieses „Helden“-Epos ein träger Koloss. Auch emotional kommt da nichts an. Selbst „Seelchen“ Catterfelds Verschwinden im Schwarzen Loch nimmt man als Zuschauer allenfalls ein wenig überrascht zur Kenntnis. Jetzt darf Emilia Schüles Muffel-Teenager Verantwortung übernehmen… Und so gibt sich dieser Film letztlich selbst zum Abschuss frei – sprich: der Lächerlichkeit preis. Dieser Effekt wird durch die „große“ Besetzung bis in die kleinsten Rollen noch forciert. Denn die bekannten Gesichter erhöhen noch die Distanz, die man diesem Mumpitz ohnehin schon entgegenbringt. Erst recht, wenn jede Klischee-Figur auch noch nach Schema Klischee gecastet ist: ob Armin Rohde, ob Ingo Naujoks, ob Christine Neubauer oder besagte Yvonne Catterfeld – jeder muss seinen Typ stehen. Und weil so viel Konkurrenz herrscht, drückt jeder im Angesicht des Weltuntergangs so richtig auf die Tube und verteilt die Power, die man für eine Hauptrolle benötigt, auf die wenigen Auftritte, die man hat. Gibt es das Wort Schmierendramatik?

Und rein ins Schwarze Loch!
Die Vermittlung von Groß und Klein, das Wechselspiel zwischen Weltzusammenhang und persönlichem Schicksal, das A&O jedes großen Event-Movies (je besser das klappte, umso besser waren die Filme) funktioniert in „Helden – Wenn dein Land dich braucht“ überhaupt nicht. Historische Katastrophen haben es dramaturgisch allerdings auch leichter. Der noch so unwissende Zuschauer hat ein gewisses Vorwissen, eine (Vor-)Ahnung, ein Bild im Kopf von der „großen“ Situation, die im Film auf private Geschichten heruntergebrochen wird. In dem neuen RTL-Spektakel muss dieses „Bild“ erst rein in den Kopf, es muss per Handlung etabliert werden. Und da das nicht nachhaltig gelingt, klappt das Herunterbrechen auf die kleine Spielebene erst recht nicht. In die andere Richtung, vom Kleinen zum Großen und Ganzen, kann auch kein Vitalisierungsschub stattfinden. Man muss sich nur die Dialoge oder die Gesichtsausdrücke von Christiane Paul, Hannes Jaenicke, Heikko Deutschmann, Heiner Lauterbach & Co zu Gemüte führen. Auch das ist logisch: Schon für das Unfassbare gibt es schwerlich einen adäquaten Gesichtsausdruck. Wie soll nun ein Schauspieler in einem „realistischen“ Medium wie dem Film, darüber hinaus einem Action-Movie, den drohenden Weltuntergang mimetisch ausdrücken? Im abstrakteren Theater oder in einem artifiziellen Arthausfilm-Kontext wäre das leichter. In „Helden“ bleiben die Reaktionen nur äußerlich. Es gibt keinen einzigen emotional wahrhaftigen Moment, in dem man als Zuschauer das Gefühl haben könnte, das Geschehen berühre die „Seele“ einer der Helden. Vielleicht liegt’s im Wesen des Genres. Weltuntergang, da muss gehandelt, nicht lange gefühlt werden. Dann aber muss man alles einfach besser machen. Im Angesicht dieses Dilettanten-Movies erscheinen Event-Filme wie „Dresden“, „Vulkan“ oder „Sturmflut“ im Nachhinein wie wahre Meisterwerke. „Helden – Wenn dein Land dich braucht“ ist allenfalls ein Meisterwerk der Selbstüberschätzung. Wie gemacht fürs Schwarze Loch… (Text-Stand: 3.10.2013)

Helden – Wenn dein Land dich brauchtFoto: RTL / Wolfgang Ennenbach
Hören wir da ein Plädoyer für mehr Eigenverantwortung und weniger Staat, der sich im Film aus der Verantwortung stiehlt? Kanzler Lauterbach jedenfalls appelliert an jeden Einzelnen… Der Epilog ist ein Fall fürs schwarz-rot-goldene Poesiealbum: „Der Tag, an dem wir alle wieder gemeinsam aufstehen, das ist unser Tag. Das ist jetzt der Tag der Deutschen Einheit.“

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fernsehfilm

RTL

Mit Christiane Paul, Hannes Jaenicke, Emilia Schüle, Jannis Niewöhner, Armin Rohde, Christine Neubauer, Heiner Lauterbach, Yvonne Catterfeld, Heikko Deutschmann, Sebastian Ströbel, Ingo Naujoks, Jürgen Schornagel, Dominic Boeer, Adnan Maral

Kamera: Peter Joachim Krause Visual Effects Supervisor: Thorsten Binte

Schnitt: Moune Barius

Produktionsfirma: Dreamtool Entertainment

Produktion: Stefan Raiser, Felix Zackor

Drehbuch: Derek Meister, Simon X. Rost

Regie: Hansjörg Thurn

Quote: 3,83 Mio. Zuschauer (13,1% MA)

EA: 03.10.2013 20:15 Uhr | RTL

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach