Nur noch kurz die Welt retten
Ein Nachrichtensatellit knallt in den Berliner Reichstag, Flugzeuge fallen vom Himmel, das Kommunikationsnetz bricht zusammen. Das Land, bald ganz Europa stehen vor der größten Katastrophe aller Zeiten. Was tun? „Deutschland gibt es nicht mehr“, sagt der Kanzler und appelliert an den Einzelnen. „Wir müssen zusammenhalten, um zu überleben.“ Deutschland hat verstanden und jeder krempelt die Ärmel hoch, packt zu, gibt sich erfindungsreich, menschen- und fremdenfreundlich. Allen voran die Expertin für Schwarze Löcher und ihr Ex-Lover. Sie müssen in die Schweiz, die Welt retten. Denn im Kernforschungszentrum in Genf liegt die Ursache des Desasters. Hier wurde der Urknall simuliert – und ein riesiges Schwarzes Loch geschaffen, das nun droht, einen Teil der Menschheit zu verschlingen. Doch das Duo naht voller Tatendrang, so gut es eben geht – ohne Flugverkehr und in einem Land, dessen Erdoberfläche von schweren Beben und Verwerfungen des Gesteins gezeichnet ist. Die Zeit könnte knapp werden. Denn in Genf, 16 Stockwerke unter der Erde, geht den Überlebenden langsam die Luft aus, und bald sind auch die Flieger, die auf EU-Beschluss hin eine Atombombe auf das Kernforschungszentrum abwerfen sollen, im Anflug.
Wer spielt hier Gott?!
RTL wollte mit „Helden – Wenn Deutschland dich braucht“ mal wieder etwas Großes schaffen. Im Film wird großspurig eine Wissenschaft angeprangert, die Gott spielt. RTL und Dreamtool ist dabei offenbar entgangen, dass sie selbst nichts anderes machen: Sender und Produktionsfirma, berauscht von ihrem digitalen Spielzeugkasten, verheben sich an einem Sujet, das viel zu groß ist für den Bildschirm und für das relativ schmale TV-Budget, das aber auch zu komplex scheint für die Kreativität der Macher. Die Klarheit der Inhaltsangabe besitzt dieser Katastrophenfilm zum Tag der deutschen Einheit in keiner seiner 140 Minuten. Dafür ist er einfach zu lang und zu banal strukturiert. Da müssen zahlreiche Nebenschauplätze mit nationalen Helden ausgestattet werden; das gehört zur Geschichte, die man erzählen will, für die Dramaturgie aber ist das tödlich. Und so wirkt das vermeintliche RTL-Event bald ebenso zerrissen wie die mittels dürftiger Tricktechnik zerstörte deutsche Landschaft. Das ist sicher auch ein Wahrnehmungsproblem. Irgendwann möchte man als Zuschauer nicht mehr.
Pathos, Pathos über alles…
„Wir Menschen gelten als die intelligenteste Spezies. 7 Milliarden sind wir. Unser Erfindergeist und Fortschritt scheint keine Grenzen zu kennen. Aber überholt nicht längst die Technologie unsere Menschlichkeit? In welche Welt wollen wir unsere Kinder entlassen? Die Wissenschaft kann jetzt im größten Forschungsprojekt aller Zeiten den Urknall simulieren. Wir spielen Gott.“ Mit pathosgeschwängerter Stimme spricht der „Planetenretter“ Hannes Jaenicke den Prolog zum Film. In diesem Stil geht es weiter. Immer zwei Nummern zu groß, in jeder Szene zu dick aufgetragen. Nachdem es die letzten Jahre nicht gelungen ist, in deutschen TV-Events die handwerkliche Machart der Amis zu erreichen, versucht RTL nun, Hollywood in Sachen Nationalstolz und Patriotismus rechts zu überholen. Da schwillt immer wieder mächtig die Musik orchestral an und fängt die „Helden“ in großen Posen ein. Und gelegentlich gibt Gott ihnen offenbar ein Zeichen, indem er die Landschaft in goldgelbem Licht erstrahlen lässt, so wie es Hollywood für seine Lichtgestalten und Retter der nationalen Sache vorgemacht hat.
Träger Koloss trifft Schmierendramatik
Das Hauptproblem: Die Idee der Geschichte findet keine sinnliche Entsprechung. Jede Sequenz wirkt wie die statische Bebilderung einer Drehbuchpassage – hölzern, umständlich, isoliert von einer Handlung, die nie als Fluss spürbar wird, sondern die sich auf (verbale) Behauptungen verlassen muss. Dramaturgisch ist dieses „Helden“-Epos ein träger Koloss. Auch emotional kommt da nichts an. Selbst „Seelchen“ Catterfelds Verschwinden im Schwarzen Loch nimmt man als Zuschauer allenfalls ein wenig überrascht zur Kenntnis. Jetzt darf Emilia Schüles Muffel-Teenager Verantwortung übernehmen… Und so gibt sich dieser Film letztlich selbst zum Abschuss frei – sprich: der Lächerlichkeit preis. Dieser Effekt wird durch die „große“ Besetzung bis in die kleinsten Rollen noch forciert. Denn die bekannten Gesichter erhöhen noch die Distanz, die man diesem Mumpitz ohnehin schon entgegenbringt. Erst recht, wenn jede Klischee-Figur auch noch nach Schema Klischee gecastet ist: ob Armin Rohde, ob Ingo Naujoks, ob Christine Neubauer oder besagte Yvonne Catterfeld – jeder muss seinen Typ stehen. Und weil so viel Konkurrenz herrscht, drückt jeder im Angesicht des Weltuntergangs so richtig auf die Tube und verteilt die Power, die man für eine Hauptrolle benötigt, auf die wenigen Auftritte, die man hat. Gibt es das Wort Schmierendramatik?
Und rein ins Schwarze Loch!
Die Vermittlung von Groß und Klein, das Wechselspiel zwischen Weltzusammenhang und persönlichem Schicksal, das A&O jedes großen Event-Movies (je besser das klappte, umso besser waren die Filme) funktioniert in „Helden – Wenn dein Land dich braucht“ überhaupt nicht. Historische Katastrophen haben es dramaturgisch allerdings auch leichter. Der noch so unwissende Zuschauer hat ein gewisses Vorwissen, eine (Vor-)Ahnung, ein Bild im Kopf von der „großen“ Situation, die im Film auf private Geschichten heruntergebrochen wird. In dem neuen RTL-Spektakel muss dieses „Bild“ erst rein in den Kopf, es muss per Handlung etabliert werden. Und da das nicht nachhaltig gelingt, klappt das Herunterbrechen auf die kleine Spielebene erst recht nicht. In die andere Richtung, vom Kleinen zum Großen und Ganzen, kann auch kein Vitalisierungsschub stattfinden. Man muss sich nur die Dialoge oder die Gesichtsausdrücke von Christiane Paul, Hannes Jaenicke, Heikko Deutschmann, Heiner Lauterbach & Co zu Gemüte führen. Auch das ist logisch: Schon für das Unfassbare gibt es schwerlich einen adäquaten Gesichtsausdruck. Wie soll nun ein Schauspieler in einem „realistischen“ Medium wie dem Film, darüber hinaus einem Action-Movie, den drohenden Weltuntergang mimetisch ausdrücken? Im abstrakteren Theater oder in einem artifiziellen Arthausfilm-Kontext wäre das leichter. In „Helden“ bleiben die Reaktionen nur äußerlich. Es gibt keinen einzigen emotional wahrhaftigen Moment, in dem man als Zuschauer das Gefühl haben könnte, das Geschehen berühre die „Seele“ einer der Helden. Vielleicht liegt’s im Wesen des Genres. Weltuntergang, da muss gehandelt, nicht lange gefühlt werden. Dann aber muss man alles einfach besser machen. Im Angesicht dieses Dilettanten-Movies erscheinen Event-Filme wie „Dresden“, „Vulkan“ oder „Sturmflut“ im Nachhinein wie wahre Meisterwerke. „Helden – Wenn dein Land dich braucht“ ist allenfalls ein Meisterwerk der Selbstüberschätzung. Wie gemacht fürs Schwarze Loch… (Text-Stand: 3.10.2013)