Das bürgerliche Glück scheint perfekt. Zwar fielen die Flitterwochen eher bescheiden aus, dafür ist das Haus, das Hedda (Susanne Wolf) und Jorgen (Godehard Giese) jetzt beziehen, diese am Waldrand, oberhalb der Stadt gelegene Villa, ein repräsentatives, fast etwas zu luxuriöses Anwesen für einen Krankenhaus-Neurologen. Offensichtlich hat sich Jorgen auch finanziell ein bisschen übernommen, doch erstens greift sein Tantchen (Traute Hoess) ihm gern unter die Arme und zweitens ist seine Beförderung nur noch eine Frage der Zeit. Aus diesem Grund wird denn auch der Chefarzt Prof. Dr. Brack (Bruno Cathomas) für den Abend im Haus der Frischvermählten erwartet. Der erweist sich als kapitaler Kotzbrocken, der der Dame des Hauses, offenbar mit dem Wissen Jorgens, ein erotisches Dreiecksarrangement in Aussicht stellt. Hedda weiß nicht recht, was sie davon halten soll. Als dann auch noch zwei Überraschungsgäste, Jorgens Ex-Geliebte Thea (Katharina Marie Schubert) und Heddas große Liebe, Eilert (Wanja Mues), der jetzt mit Thea zusammen ist, auftauchen, wächst die Irritation. Die einen scheinen verunsichert, die anderen genießen das Wiedersehen – und den Herrn Professor („Brack wie Brackwasser“) amüsieren die Konkurrenzkämpfe, die nicht nur amouröser sondern auch beruflicher Natur sind: denn Eilert forscht zum gleichen Thema wie Jorgen; und dabei scheint der USA-Heimkehrer der weitaus klügere Kopf zu sein.
Die Fassade bröckelt schneller als gedacht. Ein ungeladener Gast bedroht die bürgerliche Existenz der männlichen Hauptfigur. Aber auch die Titelfigur von „Hedda“, einer in die Gegenwart verlegten Fernsehverfilmung von Ibsens Bühnenstück „Hedda Gabler“ (1890), hat emotional zu kämpfen mit den wiederauflebenden Leidenschaften der Vergangenheit. Passt dieser unkonventionelle Wissenschaftler und Weltenbummler, der immer wieder von seinen Dämonen heimgesucht wird, nicht weitaus besser zu ihr, der lebenslustig erotischen, zügellosen Frau, als dieser penible Langweiler und pragmatische Karrieremensch, den sie geheiratet hat? Und was soll dieses „Dreieck“ mit dem widerlichen Chef ihres Mannes?! Ist das der unausgesprochene Beitrag Heddas zum beruflichen Aufstieg ihres Mannes? Andererseits, das Leben in Luxus hat auch seine Vorzüge. Solange man als Frau nicht eingesperrt ist wie in einen monströsen Ehekäfig, ausgestellt als schöner Besitz des Mannes. Doch in dieser Ehe ist die Rolle der Frau allzu offensichtlich. „Hast du dir doch noch die Hedda geschnappt“, stellt die Tante zufrieden fest. „Ja, alle beneiden mich“, antwortet Jorgen, der sich die Gunst seiner Frau ständig mit kleinen Aufmerksamkeiten glaubt erkaufen zu müssen, nicht ohne Stolz. „Und ist was in Aussicht?“ bleibt nicht die einzige Anspielung auf die Funktion, auf die Hedda als Ehefrau in Zukunft reduziert zu werden scheint.
Mit „Hedda“ ist Andreas Kleinert nach „Die Frau von früher“ (auch Schimmelpfennigs Theaterstück erzählt von der Rückkehr einer alten Liebe) eine ästhetisch makellose, zeitlose TV-Adaption gelungen, die mit ihrer gekonnten Balance zwischen filmischer Anmutung, kammerspielhafter Umsetzung und theatralischem Inszenierungsstil besticht. Metaphorik bei größtmöglicher Sinnlichkeit. Klare Figurenkonstellationen, böse Beziehungsspiele, Ehe als perfider Tauschhandel, Liebe als Luxus, den sich kein Lebender leisten kann – das ist das dramaturgische Spielmaterial für 100 schwere und doch kurzweilige Minuten. „Wir behalten die sieben Figuren von Ibsen und seine Grundstruktur. Modernität ohne Modernismen. Die Empfindsamen sterben, die Mittelmäßigen überleben“, bringt es Kleinert auf den Punkt. Ohne bühnenhaft künstlich zu wirken, dominiert große Schauspielkunst. Überragend: die energetische Susanne Wolff. Ihre Hedda ist die Bild gewordene Spontaneität, die fatale Frau, die sich nicht gern ihrer Natur berauben lässt. Allein in der Natur, im Wald, scheint sie bei sich zu sein. Hierhin flüchtet sie, wenn sie das Haus mit teutscher Vergangenheit nicht schlafen lässt oder um sich dort voller Ekstase mit Eilert zu lieben. Wolffs Spiel neigt zur Abstraktion – und ist doch höchst sinnlich. Sie tanzt sexy, schreitet kraftvoll, rennt selbstvergessen, lässt ihre Reibeisenstimme klingen, die Hand erzittern, stößt stumme Schreie aus, ihr Blick (auch schon mal ins Leere) füllt das Bild. Es wird bis zur Bewusstlosigkeit getanzt in „Hedda“. Mit steigendem Alkoholpegel versagt die Sprache, wird über die entfesselten Körper interagiert. Und im Tanz spiegeln sich die Beziehungen: Hedda wird von allen begehrt, Jorgen versucht linkisch, das zu unterbinden, Thea zerrt an jedem herum, und Rumpelstilzchen Brack lässt die Sau raus. Ein Tanz der bürgerlichen Dekadenz. Eine Party, in der das Unterbewusste das Sagen hat. Eine Nacht, die nur in einer Katastrophe enden kann.