Hausbau mit Hindernissen

Schüttler, Löw, Franke, Sarah Esser, Till Franzen. Eigen-Sinn & sinnliche Erkenntnis

30.10.2024 13:55 One
02.11.2024 14:10 One
10.05.2025 13:00 WDR
Foto: Degeto / Boris Laewen
Foto Rainer Tittelbach

Der Traum vom eigenen Häuschen im Grünen wird für eine Familie mit zwei Kindern durch Zufall wahr. Die Eltern ersteigern „ein leicht renovierungsbedürftiges Haus“, haben sich aber offensichtlich in mehrfacher Hinsicht übernommen. Ausgerechnet der vermeintliche Haken an diesem dennoch günstig erstandenen Haus, zwei alte seltsame Nachbarn, erweisen sich bald als Segen für die Familie… Der Fernsehfilm „Hausbau mit Hindernissen“ (ARD Degeto / sabotage films) beendet den TV-Herbst & ist das Freitagsfilm-Highlight im November. Der Titel führt auf eine falsche Fährte. Das Schönste an dieser lebensklugen Sommer-Dramödie mit ihren liebenswerten Figuren ist ihre emotionale Wirkung. Jede der drei Generation wird ernst genommen, Moral und menschliche Werte werden beiläufig vermittelt, der Cast ist 1-A, das Drehbuch feinsinnig, die Inszenierung nicht minder sensibel und aus einem Guss.

Ein „leicht renovierungsbedürftiges“ Haus und ziemlich seltsame Nachbarn
Vielleicht haben sich die Seewalds ja doch übernommen? Dabei wollten Karla (Katharina Schüttler) und Martin (Hans Löw) doch nur das Beste für sich und ihre Kinder Finja (Lilli Ray) und Mats (Arne Wichert). Das beengte Wohnen in der Stadt und die unbezahlbaren Mieten – jedenfalls für einen Fliesenleger und eine Krankenschwester – haben sie das Wagnis eingehen lassen, „ein leicht renovierungsbedürftiges Haus“ weit vor den Toren Berlins zu ersteigern. Bis auf die Nachbarn, die völlig zurückgezogen lebende Lisbeth (Angela Winkler) und den unwirschen Zausel Rufus (Peter Franke), dessen freilaufende Ziegen Martin zur Weißglut treiben, ist erst mal alles prima, dazu ein Bilderbuchsommer – doch dann zeigt das „Traumhaus“ erste Macken: In den Wasserleitungen lagert Schutt, „völlig verbaut“, sagen die Handwerker und hämmern drauflos. Und als im Keller die Kacke so richtig am Dampfen ist, fällt Martin auch noch vom Dach und Karla, die kaum noch geregelten Schlaf findet, bekommt zu allem Überfluss auch noch Druck bei der Arbeit. „Wir hätten das Haus nicht kaufen sollen“, resümiert der Mann im Hause. Und auch Karlas überschäumender Optimismus ist irgendwann verschwunden. „Ich bin einfach zu gar nichts zu gebrauchen“, jammert sie. Nur gut, dass ihre Kids ihnen in einigen Dingen etwas voraus haben – und sich mit den „seltsamen“ Nachbarn angefreundet haben. Und diese entpuppen sich als zwei friedvolle, hilfsbereite alte Menschen, von denen die vier Seewalds einiges lernen können.

Hausbau mit HindernissenFoto: Degeto / Boris Laewen
Familie kann so schön sein. Ansonsten gilt: Männlicher Zweckpessimismus trifft auf weibliche Luftschlösser. Was also das Geschlechtsspezifische und Mentalitäts-Geschichtliche angeht, liegt der Film goldrichtig. Schüttler, Ray, Wichert & Löw

Jede Generation wird ernst genommen mit ihren Erfahrungen & Bedürfnissen
Die liebenswerte Sommer-Dramödie „Hausbau mit Hindernissen“ beendet den Fernsehherbst und ist gleichzeitig das ARD-Freitagsfilm-Highlight im November. Dem Titel zum Trotz verschont die Autorin Sarah Esser den Zuschauer mit einer Haus(um)bau-Slapstick-Revue wie zuletzt in „Handwerker und andere Katastrophen“ (ZDF) oder der Heimwerker-Klamotte „Schlimmer geht immer“ (Sat 1) und auch das Thema „neue Nachbarschaft“ wird im Gegensatz zu vordergründigen Komödien wie „Bloß kein Stress“ (ZDF) oder „Neues aus dem Reihenhaus“ (ZDF) lebensklug und generationsphilosophisch angegangen. Dabei ist der Ausgangspunkt der Geschichte durchaus alltagsnah: Der Traum vom eigenen Häuschen ist noch älter als die Gentrifizierung der Großstädte und er hat schon so manchen in den Ruin getrieben. Dass der Film von Till Franzen dem Zuschauer diese wohlfeile Prämisse nicht beweisen will, sondern ganz andere Lehren aus der Geschichte der Seewalds zieht, passt dann wieder gut ins Bild eines Films, der sich weder komödiantisch an dramaturgischen Klischees abarbeitet, noch sich moralinsauer aufs nur Gesellschaftskritische versteigt, sondern in erster Linie eine in sich stimmige, kurzweilige und in vieler Hinsicht anregende Geschichte erzählen möchte. Und es ist ein Familienfilm im wahrsten Sinne des Wortes: Jede der Generationen wird ernst genommen und nimmt einen wichtigen Platz in der Handlung ein. Keine Figur verkommt zur narrativen Manövriermasse; ob Eltern, Kinder und Großelterngeneration – alle werden ernst genommen mit ihren Erfahrungen und Bedürfnissen. „Toleranz“ ist ein großes Wort; wenn es ganz ohne Ausrufezeichen, so beiläufig wie in diesem Film ins Spiel einfließt, dann ist das ein großes, leider auch viel zu seltenes Vergnügen im deutschen Fernsehen.

Hausbau mit HindernissenFoto: Degeto / Boris Laewen
Nicht nur Mats (Arne Wichert) kann was lernen vom „Ziegenmann“ (Peter Franke). Auch als Zuschauer lässt man sich Moral und Wertevermittlung, wenn sie auf so beiläufige Art geschieht, gern gefallen. Und „lernen“, wie man leicht & lebensklug erzählt, das können „Herzkino“-Macher sich sehr gut abgucken von diesem Film.

Ein persönlicher Einwurf: Sympathiepunkte der besonderen Art
„Hausbau mit Hindernissen“ überzeugt durch seinen poetisch märchenhaften Realismus – jenseits wohlfeiler pragmatischer Alltagsbewältigung. Durch diese Wahrhaftigkeit erübrigt sich die Frage nach der „Glaubwürdigkeit“, die sich Normalzuschauer, aber auch Kritiker gern stellen. Dennoch spricht nichts gegen ein bisschen private Empirie. Weshalb also hat mich ausgerechnet dieser Film so übermäßig bewegt? Auch ich habe (jahrelang) mit einem idyllischen Häuschen im Grünen gekämpft. Auch ich hatte zwei Nachbarn, die meiner kleinen Familie das Leben schwer machten. Das Haus war zwar sehr viel schöner, der See war ein romantischer Bach, und der Nachbarschaftsstreit drohte sogar, vor Gericht zu gehen, aber die Stimmungslagen waren sehr ähnlich. Die geschlechtsspezifische Rollenverteilung, wie ich sie aus meiner Ehe damals kannte, fand ich 1:1 im Film wieder, genau so unseren Querkopfnachbarn in der Darstellung von Peter Franke, sehr dankbar bin ich allerdings für dessen liebenswert lebenskluge Wandlung im Film, vor allem deshalb, weil ich diese in der Realität nicht erfahren durfte. Auch eine Lisbeth gab es nebenan, leider entpuppte sie sich nicht als die sensible, feine Dame, wie die von Angela Winkler verkörperte Figur. Ich wohne nicht mehr in diesem Haus. Aber die Geschichte verfolgt mich bis heute, rund 20 Jahre danach. Damals spielte ich mit dem Gedanken, die Grundsituation für ein Drehbuch zu nutzen. Doch letztlich schienen mir meine Erfahrungen zu wenig dramatisch für einen Film zu sein. Dass es nun einen Film gibt, der eine ganz ähnliche Geschichte erzählt und das sehr undramatisch macht, freut mich sehr. Auch weil es zeigt, dass solche kleinen Geschichten heute im Fernsehen möglich sind. In den 90er Jahren hätte ein solcher vielschichtiger Familienfilm-Stoff keine Chance gehabt.

Hausbau mit HindernissenFoto: Degeto / Boris Laewen
Seltsam, Lisbeth (Angela Winkler) fühlt sich ganz warm an. Also doch kein Vampir! Und auch wenn sie keine Schneekönigin ist, ein kaltes Geheimnis hat sie dennoch.

Ein Fernsehfilm, der dem Zuschauer lebensklug das Herz aufgehen lässt
Das Schönste aber an „Hausbau mit Hindernissen“ ist die emotionale Wirkung, die dieser Film zu erzielen in der Lage ist. Selbstredend gibt es die genretypischen versöhnlichen Momente auch in dieser Dramödie, doch diese sind immer einem moralischen Motiv untergeordnet, so atmen sie eine Wahrhaftigkeit, die nichts hat von den stereotypen Friede-Freude-Eierkuchen-Lösungsmustern, wie sie vor allem im ZDF-„Herzkino“ immer (noch) bemüht werden. Dramaturgische Voraussetzung ist die Konzentration auf das Wesentliche: die zwei Hauptfiguren, die vier tragenden Nebenfiguren, das neue Zuhause und die neuen Nachbarn. Die Stadt taucht nur noch als Nebenschauplatz auf, um die Überforderung der Mutter zu verdeutlichen – und um den hilflosen Vater zu zeigen, der im Schlussdrittel ans Krankenbett gefesselt ist. Dass das Haus weit im Brandenburgischen liegt, weiter weg von der Stadt, als den Eltern manchmal lieb ist, muss von ihnen nicht ständig ausgesprochen werden: Immer wieder blickt man auf die Landstraße aus der Vogelperspektive, Natur, soweit das Auge reicht; zudem sieht man die übermüdete Karla am Steuer. Und dass der Sohn Probleme mit seinen Mitschülern hat, muss man nicht zeigen, wichtig ist das „Gefühl“, das der kleine Mats hat – und dies ist spürbar. Nicht den so beliebten Gegensatz zwischen Stadt und Land, nicht den lebenspraktischen Konflikt, den das Landleben für die Familie bedeuten kann, verfolgt die Geschichte, sondern sie hält sich an das Besondere, auch das Unkonventionelle, das diese Familie sucht und findet. Da kommen dann die Kinder und die beiden Rentner von nebenan entscheidend ins Spiel. Während nämlich der finanzielle Druck der mittleren Generation teilweise den Blick vernebelt, werden die Kinder zum Träger eines Magisch-Märchenhaften, das sie in dieser neuen alten Welt entdecken. Die kleine Finja phantasiert sich die menschen- und tageslichtscheue Nachbarin zu einer Widergängerin der Schneekönigin oder gar zu einem Vampir, während der introvertierte Mats sich Rat und tatkräftige Unterstützung vom sogenannten „Ziegenmann“ holt. Diese Gegenwelt hat System: Die Alten und die Jungen müssen nicht mehr oder noch nicht „funktionieren“. Dass ausgerechnet deren Weisheit letztlich das alltagsrealistische Kuddelmuddel der Seewalds „löst“, dürfte kein Zufall sein.

Geheimnis & Eigen-Sinn, Sinnlichkeit & viele versteckte „Botschaften“
Was das Drehbuch feinsinnig entwickelt, das wird filmsprachlich nicht weniger sensibel und mit großem Gespür für sinnliche Erkenntnis umgesetzt. Gelegentlich mutet die ländliche Umgebung des neuen Zuhauses der Seewalds (nomen est omen!) fast surreal an. Die Bilder spiegeln vornehmlich den Blick der Kinder, die mehr Zeit haben als ihre Eltern, sich auf die Aura der neuen Umgebung einzulassen. Weil diese geradezu märchenhafte Verklärung der Natur also aus dem Innenleben der Figuren kommt, wirkt das Landleben hier nie und nimmer verkitscht. Und dann sind da ja auch noch die beiden Alten mit ihren tragischen Biografien, zwei Menschen, die dem „Milieu“ Geheimnis und Eigen-Sinn verleihen. Peter Frankes Ziegen-Versteher mit wilder Restmähne und anfangs wirrem Blick wandelt sich zunehmend zu einem (aufgeklärten) Traum-Großvater zum Knuddeln und Angela Winkler verleiht ihrer alten Dame etwas ehrwürdig Respektvolles. Ebenso wenig auf Gefälligkeit hin besetzt, sind die Hauptdarsteller: Katharina Schüttler, einmal nicht als Problemperson am Rande des Nervenzusammenbruchs (wie zuletzt in „Ellas Baby“), und Hans Löw („Zwei“), den man viel zu selten im Fernsehen sieht. Auch das Szenenbild ist vorzüglich, und die Innenausstattung, die den Charakter der Figuren spiegelt, extrem liebevoll. Kameramann Timo Moritz, der schon bei Till Franzens letzten Filmen, „Drei Väter sind besser als keiner“, „Nord bei Nordwest – Der Transport“ und der preisgekrönten Serie „Weinberg“, sein Gespür für Landschaften unter Beweis stellen konnte, zaubert einen Sommer 2017 in die Filmbilder, an den man sich gar nicht mehr erinnern kann. Auch wenn es der Titel nicht erahnen lässt: „Hausbau mit Hindernissen“ ist also ein Film, der beim Sehen vieles frei setzt. (Text-Stand: 28.10.2017)

Hausbau mit HindernissenFoto: Degeto / Boris Laewen
Seewald – die Familie sucht sich quasi das für ihren Namen passende Biotop! Aber die Macher haben für die zeitlos schöne Geschichte auch die richtigen Gesichter gefunden. Vor allem Schüttler besitzt etwas aus der Zeit und aus der Normalität Gefallenes – und Winkler sowieso. Franke ist einfach der perfekte Großvater, auch die Kinder sind passend besetzt und meistern ihre recht komplexen Rollen ziemlich überzeugend. Und Hans Löw sieht man viel zu selten im deutschen Fernsehen.

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Katharina Schüttler, Hans Löw, Peter Franke, Angela Winkler, Lilli Ray, Arne Wichert, Kathi Angerer, Marcel Glauche, Olli Schulz

Kamera: Timo Moritz

Szenenbild: Karin Bierbaum

Schnitt: Tatjana Schöps

Musik: Jakob Ilja

Redaktion: Claudia Grässel, Sascha Schwingel (beide ARD Degeto)

Produktionsfirma: sabotage films

Produktion: Annedore von Donop, Karsten Aurich

Drehbuch: Sarah Esser

Regie: Till Franzen

Quote: 3,81 Mio. Zuschauer (12,5% MA)

EA: 24.11.2017 20:15 Uhr | ARD

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