Zwei einsame Wölfe am Chiemsee. Kommissar Hattinger hat gerade eine Scheidung hinter sich. Sein Nachbar Albrecht Ostermeier steht nach 10 Jahren Pflege seiner Frau auch wieder allein da. In seinem Vorgarten blühen die Geranien, in ihm dagegen treibt eine riesige Wut ungeahnte Blüten. Er tötet mit eiskalter Hand und heißem Herzen. Was treibt ihn an? Welche Erfahrung lässt ihn sein ganzes Leben aufs Spiel setzen? Ein Anästhesist liegt tot in einem Segelboot, ein Beatmungsschlauch wurde ihm übergezogen. Einer ehemaligen Ärztin wurden beide Hände abgetrennt. Ist das die Quittung für den Pfusch zweier Ärzte? Kommissar Hattinger und sein Team stochern im Nebel, während über dem Chiemsee die Sonne strahlt.
Foto: ZDF / Marco Nagel
Trotz des sommerlichen Flairs ist „Hattinger und die kalte Hand“, entstanden nach Thomas Bogenbergers Roman „Chiemsee Blues“, keiner jener mehr oder weniger launigen Regional-Krimis der seriellen Leichtbauweise. Der Film, für den Bogenbergers Frau, die renommierte Ariela Bogenberger, das Drehbuch geschrieben hat, übertreibt es aber auch nicht mit Ironie oder krachledernem Witz. Warum auch?! Die ARD macht das vorbildlich mit „Kluftinger“, da tut das ZDF gut daran, im schönen Bayernland einen ernsthafteren Ton anzuschlagen.
Heimat hat (für den aufgeklärten Zeitgenossen) zwei Seiten: die eine zeigt sich in der Hingabe, die andere in der Abgrenzung. Kaum einer vermag das so gut darzustellen wie Hans Steinbichler („Hierankl“). Und Hattinger, wie ihn Michael Fitz verkörpert, lässig und doch bestimmt, verrät schon äußerlich, wo er steht: Seine Ausstrahlung samt schwarzer Kleidung ist großstädtisch. „Hattinger ist auf dem Land geblieben, schaut aber über den Tellerrand“, so Steinbichler, „im Kopf ist er weggegangen, aber er arbeitet trotzdem noch vor Ort.“ Daraus resultiert gelegentlich eine leichte Eitelkeit und Arroganz, die sich mischen mit Hattingers Kompetenz, seiner Klarheit und Willensstärke. Und dieser Kommissar, der nicht gern viel redet, schon gar nicht über sich und seine Gefühle, ist am Ende gar nicht der coole Hund, für den man ihn zunächst halten könnte. Gibt ihm jemand die Möglichkeit, Empathie zu zeigen, ergreift er diese Möglichkeit. Einem mehrfachen Mörder kann er sich notfalls leichter öffnen (wenn er ihn versteht) als zum Beispiel seiner harmoniesüchtigen, überfreundlichen Kollegin.
Foto: ZDF / Marco Nagel
Michael Fitz über seinen Kommissar:
„Hattinger ist nicht übertrieben witzig, ganz im Gegenteil, er kommt nicht krachledern, klischeehaft bayerisch daher und ist auch kein Polizist mit allzu gewollt herausgestellten, privaten Ecken & Kanten. Er ist ein guter und verdienter Ermittler, der viel gesehen, viel Erfahrung hat, und weiß, was er tut. Ein Mann im besten Alter, dessen Privatleben allerdings – zumindest auf den ersten Blick – in Scherben liegt. Was andere von ihm denken, ist ihm vollkommen egal. Er macht sich nicht die Mühe, so sein zu wollen, wie seine Umwelt das gerne hätte.“Edgar Selge über seinen Mörder:
„Ostermeier ist eine Art Michael Kohlhaas im Endstadium. Das Leid, das er in seinem Leben erfahren hat, empfindet er so tief, es hat sich über so viele Jahre angestaut, dass seine Zerstörungswut unendlich ist. Die Anarchie hat den Kleinbürger fest im Griff. Da ihm sein eigenes Leben nichts mehr bedeutet, gibt er sich sturzartig all seinen Stimmungen hin. Ein Mensch in seinem Urzustand.“
Foto: ZDF / Marco Nagel
Der Mörder wird in „Hattinger und die kalte Hand“ offen geführt. Man sieht ihn bei seinem mörderischen Geschäft. Und dabei, wie er einen Zeugen einer seiner Taten im Keller in Fesseln gefangen hält. Bereits die erste Szene deutet an, wo dieser gelegentlich überdreht freundliche Witwer in der Gesellschaft steht. Er verbrennt seinen Ausweis, verbrennt Geburts- und Taufschein. Er will nicht mehr dazugehören, kein soziales Wesen mehr sein, die Gemeinschaft hat verspielt bei ihm. Die ganze Wut des von Edgar Selge leicht hysterisch, wunderbar gespalten gespielten Albrecht Ostermeier wird erst später deutlich – im großen dramatisch leisen Finale. Der Mörder hat zwar die Tochter des Kommissars in seiner Gewalt, dennoch wird der Showdown zwischen den beiden Seelenverwandten, Alfons und Albrecht, nicht als „Last Minute Rescue“ inszeniert, sondern eher als ein „Gericht“ unter freiem Himmel, in dem das Gefühl die Regie übernimmt. Ein tiefes Verständnis für den Mörder, dem man zuvor beim gnadenlosen Töten zugesehen hat, liegt über dieser Szene am Ufer des Chiemsees, die emotional vor allem von Eric Claptons „Tears in Heaven“ getragen wird.
„Hattinger und die kalte Hand“ ist kein klassischer Genrefilm und der Titelheld kein Realo-Ermittler. Man spürt, dass dieser Krimi nach einer Roman-Vorlage entstanden ist. Die Figuren sind komplexer, die existenziellen Bezüge feinsinniger, die Geschichte ist offener für symbolhafte Spiegelungen, für schicksalhafte Parallelen, für Momente sinnlicher Erkenntnis. Die Spannung ist vielschichtiger, hintergründiger. So ist dieser Ermittlungskrimi mit Kommissar und Mördersuche am Ende nur das Gefäß für eine universelle Geschichte über Einsamkeit & Heimatverbundenheit, über Verlust & Verzweiflung. (Text-Stand: 27.10.2013)