Betriebswirtschafts-Absolventin Hanna (Karoline Schuch) verbessert ihre Chancen bei einem Vorstellungsgespräch durch eine spontane Idee: Sie behauptet, dass sie im Sommer in Israel geistig behinderte Menschen betreuen werde. Das stimmt zwar nicht, aber nun muss eben ihre Mutter helfen. Uta (Suzanne von Borsody) arbeitet bei der „Aktion Friedensdienst“, die jungen Leuten den Aufenthalt in Israel vermittelt. Doch Uta fälscht der Tochter nicht wie gewünscht einfach das Zeugnis, sondern besorgt ihr tatsächlich einen Platz in dem Programm. Widerwillig reist Hanna also in das Land, das ihr herzlich egal ist – außer, der Aufenthalt dort dient der eigenen Karriere. „Was mit Juden kommt halt immer gut. Und behinderte Juden zählen doppelt“, erklärt Hanna ihrem Freund Alex (Trystan Pütter). Der zynische Satz passt zum Auftreten der ehrgeizigen Endzwanzigerin, die eine ganz genaue Vorstellung von der Zukunft zu haben scheint. Und kein Interesse an der Vergangenheit.
Zu Beginn scheinen manche Dialoge unbedingt unverkrampft und frech sein zu wollen. Das angestrengt Unverkrampfte verflüchtigt sich allerdings in Israel, wo Hanna von dem etwa gleichaltrigen Kollegen Itay (Doron Amit) und der Holocaust-Überlebenden Gertraud Nussbaum (Lia Koenig) herausgefordert wird. Die Annäherung zwischen dem sympathischen Itay und der schönen Hanna gibt dem Film viel Wärme – und einen Schuss Wehmut, denn erzählt wird hier nur von einer Möglichkeit, bestenfalls von den Anfängen einer Liebesgeschichte. Und zu der klugen Abschluss-Pointe singt Asaf Avidan: „One day, baby, we’ll be old and think about the stories we could have told.“ Nicht immer passen die ausgewählten Hits zum Ausklang eines Films, hier schon, und das nicht nur, weil Avidan Israeli ist. Sonst ist die Musik eine Mischung aus flotter Bläser-Folklore, die sich schon mal kraftvoll in den Vordergrund drängt, und sanften Gitarren-Tönen.
Foto: BR / 2Pilots Filmproduction
„Hannas Reise“ ist jedenfalls mehr als ein romantisches Drama und auch mehr als eine auf das junge Publikum zielende Reise in die deutsche Vergangenheit, sondern vor allem die überzeugend erzählte Entwicklungsreise einer jungen Frau. „Alles hängt irgendwie zusammen“, sagt Hanna in einer Szene nachdenklich. Das klingt nach einer Plattitüde, doch der Inszenierung von Julia von Heinz gelingt dies meist ganz unangestrengt: Verbindungen herzustellen, zwischen den Orten und den Menschen, zwischen Vergangenheit & Gegenwart. Als Ausgangspunkt dient mit Hanna eine Figur, die gewissermaßen keine Verbindungen sieht, sondern nur ein Ziel. Und deshalb die Zeit immer optimal nutzen will. Sie hasst es, zu spät zu kommen, lernt auch noch in der wenigen Freizeit für ihre Prüfung. Nicht von ungefähr entwickelt Hanna in der Behindertengruppe den Ehrgeiz, Mia beizubringen, die Uhrzeit abzulesen. Doch es ist Hanna, die etwas lernt: dass es noch andere Maßstäbe im Leben gibt.
Wenig überraschend ist es natürlich, dass Hanna in Israel mit den Verbindungen zwischen der eigenen Familiengeschichte und dem Holocaust konfrontiert wird. Das verändert vor allem ihren Blick auf die Mutter, die 30 Jahre zuvor selbst in Israel war – und ebenfalls Gertraud Nussbaum kennenlernte. Das Thema wird hier ohne Geschichtsstunden-Sätze behandelt, doch der Anspruch ist schon, die Verbindungen zwischen den Überlebenden in Israel und Deutschland aufzuzeigen. Dies kann ernsthaft und komisch zugleich sein, etwa wenn sich die alt gewordenen deutschen Juden beim Bingo streiten. Oder auch bitter: Wenn Erwin, einer der Überlebenden, auf dem Klavier „Das Lied vom guten Kameraden“ spielt – nachdem er zuvor gemeinsam mit Carsten (Max Mauff) aus der „Friedensdienst“-WG auf Jiddisch „Donna, Donna“ vortrug, das Lied vom Kälbchen, das zur Schlachtbank geführt wird.
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Und Israel selbst? Ist ein Ort der Gegensätze im warmen, mediterranen Licht. Hanna und Itay tauchen ein ins pralle Karneval-Vergnügen am Purim-Fest, orthodoxe Juden tanzen fröhlich auf den Straßen, und auch sonst gibt das weltoffene Tel Aviv eine höchst lebendige Kulisse. Die vielen Soldatinnen auf den Straßen oder im Bus erinnern dagegen noch an eine andere Realität, ebenso wie die Grenzanlagen in der Nähe von Hebron. „Wie ich diese ganze Scheiße hasse“, sagt Itay, dessen Bruder bei einem „Unfall“ nach seiner Militärzeit ums Leben gekommen war. Dank Itays Verbindungen zur Armee kann Hanna ihre WG-Mitbewohnerin Maja (Lore Richter) aus dem Gefängnis abholen. Denn Maja nutzt ihren „Friedensdienst“ dazu, Protestaktionen gegen die israelische Besatzung zu organisieren. So finden auch die Ressentiments der deutschen Linken gegenüber Israel einen Weg in diesen Film. Und eigentlich wollen alle jungen Deutschen aus dem „Friedensdienst“ Kapital für die eigene Karriere schlagen. Für Itay eine ernüchternde Erkenntnis.
Julia von Heinz gelingt es, viele Aspekte in ihrem Film anzusprechen, ohne dass „Hannas Reise“ überladen wirken würde. Hier werden Brücken geschlagen, ohne dass es steif und staatstragend und ohne dass die deutsch-israelische Gegenwart romantisiert würde. Im Vordergrund bleiben die Figuren und ihre konkrete Geschichte. Als der Film im Januar 2014 in die Kinos kam, fiel die Kritik überwiegend positiv aus, bisweilen war sie auch hin und her gerissen: Kirsten Rießelmann etwa bemängelte bei „Spiegel online“ den „braven Aufklärungskitsch“, lobte aber den Witz und die „souveräne Figurenzeichnung“. Ralf Krämer schrieb in der „Welt“: „Das Glück dieses Films besteht darin, dass von Heinz in erster Linie keine Moral erzählt, sondern von Menschen, mit ihren individuellen Geschichten, Launen und Widersprüchen.“ Die „Jerusalem Post“ sah „eine interessante Mischung aus Comedy, sozialem und politischem Kommentar und Liebesfilm“. (Text-Stand: 29.5.2015)