Herbst, 1952. In einem Dorf in Oberbayern führt Hanna Forster die Schreinerei des Mannes weiter. Jener Karl ist seit sieben Jahren in russischer Kriegsgefangenschaft. Langsam legen sich die Vorurteile gegenüber der selbstbewussten Frau. Ein Auftrag der Kirche hilft Hanna, ihren Kindern und der Schwiegermutter zu überleben. Dann kehrt Karl zurück. „Keine Sorge, ich bin mit einem Arm besser als andere mit zweien!“, sagt er und lächelt: „Jetzt, Hanna, brauchst du nicht mehr zu arbeiten.“ Doch Hanna wünscht sich nichts sehnlicher, als den Gesellenbrief zu machen. Karls anfängliche Euphorie schlägt in den Nächten in Panikattacken um – wenn ihn die Alpträume holen: die Erinnerungen an den Schützengraben. Immer öfters steigert er sich wütend in Tobsuchtsanfälle hinein, bei Widerworten rutscht ihm die Hand, er schlägt rabiater zu – und verbietet schließlich seiner Frau das Betreten der Werkstatt. Hanna weiß nicht mehr, wie sie mit diesem Mann weiterleben soll. Und sie weiß nicht, wie sich die Existenz der Familie sichern lässt. Nur eines ist klar: sie muss eine Entscheidung treffen.
Bereits zwei Mal, in „Die Erntehelferin“ und in „Die Frau des Heimkehrers“, gab Christine Neubauer eine mutige Frau, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ihren Mann steht. In „Hannas Entscheidung“ lösen Autor Benedikt Röskau, Regisseur Friedemann Fromm und Kameramann Hanno Lentz das Thema Beziehungs(wieder)findung in den Nachkriegsjahren vom Kitsch(film)-Ambiente und auch die Hauptdarstellerin und zweifache Grimme-Preis-trägerin, die immer gut ist, wenn sie ihre bayerischen Wurzeln ursprünglich hervorkehren darf und wenn sie ohne den Degeto-typischen Heiligenschein auskommt, ist in ihrer seit Jahren besten Rolle zu sehen. Auch jene Hanna Forster kämpft wie alle anderen Neubauer-Figuren. Doch sie kämpft in einem stimmigen historischen Rahmen. Und sie ist eine Frau, die handelt, die macht. Tun statt Reden. Hanna darf klare Worte finden („Der Karl ist so anders“), aber sie erklärt sich nicht laufend – und sie darf schweigen! Das macht diese Figur im Detail „spannender“ und dramaturgisch offener als andere Neubauer-Figuren. Wie wird sie sich wohl entscheiden: Für den Mann? Für die Familie? Für sich? Für die gesellschaftliche Norm?
Edgar Selge (geboren 1948) über die Wut seines (Soldaten-)Vaters:
„Den Druck, den die Kriegsheimkehrer hatten, um Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit in ihrem Alltag zurückzugewinnen, habe ich deutlich mitgekriegt. In der Erinnerung an die Stimme meines Vaters kann ich diesen Druck bis heute spüren. Vor allem in den 70er Jahren zeigte sich dieser Druck als extreme Reizbarkeit und Wut, wenn diese Menschen vor ihren Kindern begründen mussten, warum sie am Krieg teilgenommen hatten. Der Druck konnte in blinden Hass & Depression umschlagen, wenn man aus ihnen Kriegsverbrecher machte.“
Dass dieser Film in einer anderen Klasse spielt als andere Freitagabend-Rührstücke hat sehr viel auch mit der Heimkehrer-Rolle und Edgar Selge zu tun. Der tief sitzende Schmerz dieser Figur wird in jeder Szene spürbar. „Es wird alles wieder so wie früher.“ Zweifel sind angebracht – wenn man sieht: wie jener Karl auf der Bahre ins Haus getragen wird, wie ihn nachts die Gespenster der Vergangenheit heimsuchen, wie er, nachdem er seine Frau geschlagen hat, voller Selbst-Ekel einsam dasteht, wie ihm die Gesichtszüge gefrieren, als er „zum Gespött der Stadt“ zu werden droht. Ein Mann, der sich wertlos fühlt, ein Kriegsheimkehrer, der nur vergessen will – da hat der weibliche Sinn fürs Praktische ein ebenso „aufregendes“ männliches Gegenbild gefunden. Und mehr noch als das: Edgar Selges Tischlermeister besitzt eine emotional deutlich größere Bandbreite als die weibliche Hauptfigur, aus deren Perspektive dieser typische Nachkriegskonflikt erzählt wird.
Filmästhetisch ist „Hannas Entscheidung“ großes Melodram. Die Bilder wachsen sich zu leicht überhöhten Stimmungsbildern aus, die mit Lichtspiel und Farben wesentliche Nuancen der Geschichte miterzählen. Stilgeschichtliche Referenzen an die Ikonografie der 50er Jahre sind immer wieder erkennbar. Da glaubt man mitunter Christine Neubauer als das alter ego von Jane Wyman in ein Licht getaucht, welches man von Douglas Sirks Meisterwerken in Technicolor her kennt. Und wenn sie da mit Kopftuch im warmen Herbstlicht sitzt, dann könnte man sich auch in einen der wenigen guten deutschen Heimatfilme jener Jahre befinden. Doch das ist nur ein kurzer Eindruck. In „Hannas Entscheidung“ dominiert die düstere Nachdenklichkeit, die in einer „realistischen“, aufs Wesentliche konzentrierten Ausstattung und in atmosphärisch starken, schwach ausgeleuchteten Bildern wunderbar ihre visuellen Entsprechungen findet. So muss gutes Melodram im Fernsehen sein! (Text-Stand: 13.2.2012)