Die neue Zeit hält Einzug in einem ehemaligen Fischerdorf an der Ostsee. Touristen statt Fischgestank wünscht sich der übereifrige Bürgermeister für die Zukunft. Nur Paul und Fiete fahren als einzige noch zusammen raus mit ihrem Kutter. Sie sind alte Freunde seit Kindertagen. Dass sie damals schon dieselbe Frau geliebt haben, kommt erst jetzt, nachdem jene Lily nach einem Jahr Koma verblichen ist, durch einen aberwitzigen Zufall ans Tageslicht: Bei der Tauglichkeitsprüfung für die Patentverlängerung erfährt Paul, der angeschickert auch gleich noch einen Zeugungsfähigkeitstest macht, dass er eigentlich keinen Sohn haben kann. Trauern vermag er dennoch, seine Wut soll allein dem gehören, der seiner Frau das „angetan“ hat. Obwohl es das ganze Dorf weiß und auch Paul wissen müsste, wenn er nur mal richtig hingucken würde, auf sein Kuckuckskind Piet und seinen einzigen Freund Fiete, findet er erst kurz vor der Trauerfeier heraus, wer ihn mit seiner Lily betrogen hat. Was allerdings damals Sache war zwischen den beiden erfährt er dann auch eher zufällig sehr viel später. Denn Reden ist beider Männer und des Sohnemanns Stärke nicht, schon gar nicht über Gefühle.
Foto: ZDF / Conny Klein
„Wenn morgen die Welt unterginge, dann würde ich nach Mecklenburg ziehen, dann hätte ich noch 25 Jahre Zeit.“ Mit dieser treffsicheren Redensart im Hinterkopf machte sich Autor-Regisseur Jochen Alexander Freydank („Und weg bist du“) an die Geschichte von der ehernen Freundschaft zweier Sturköppe, die zu zerbrechen droht, und der falschen Vaterschaft, die fatal auch für das Kuckuckskind selbst ist: Jener Piet erfährt als Letzter, dass er Fietes und nicht Pauls Sohn ist. Auch das ergibt sich mehr oder weniger durch einen Zufall: für gewöhnlich bedeuten Zufälle das Gegenteil von guter Dramaturgie. In „Große Fische, kleine Fische“ aber ist Vieles doch etwas anders gelagert als in herkömmlichen Alltagskomödien. Alles dauert hier so seine Zeit. Die Handlung entspringt maßgeblich dem Wesen der Figuren: Dem großmäuligen Kapitän Paul verschlägt es nach der medizinischen Hiobsbotschaft erst einmal die Sprache. Fiete dagegen hat noch nie viel gesprochen. Was die Einsilbigkeit angeht, kommt Piet also ganz nach ihm, dem leiblichen Vater. Die Konflikte zwischen den dreien schwelen auch deshalb so lange, weil es die Männer nicht fertigbringen, miteinander zu reden. Die Konflikte liegen also in der Mentalität der Charaktere begründet. Und so muss der Zufall her. Das ist kein Problem auch deshalb, weil dieser „Zufall“ hier nie in die Verlegenheit kommt, mit dem Zufall der Realität gleichgesetzt zu werden. Dieser Zufall ist dagegen ein ästhetisches Moment, so wie dieser Film eine einzige liebevolle Stilisierung ist.
Foto: ZDF / Conny Klein
Auf jede Frage einer der drei Hauptfiguren kommt erst mal eine lange Pause oder ein zurückfragender Blick. Die Dorfbewohner, ausgenommen Lisa, die Jugendliebe von Piet, und der Bürgermeister, der die Dorfbewohner, allen voran die beiden ungeliebten Fischer des Ortes zutextet, stehen zumeist als komische Sidekicks in der Landschaft mit Meer herum. Auch das hat in dieser ZDF-Komödie System – wie der Chor im griechischen Theater kommentieren sie oft mehr wissend das Geschehen. Aber auch die Inszenierung verfährt ganz nach dem Entschleunigungsprinzip. Statische Einzelbilder werden zu einer ungewöhnlichen Filmerzählung montiert, bei der es sich nur schwer von „Erzählfluss“ reden lässt. Situationskomisch geht es hin und her. Während Freydanks Film insgesamt an die dramaturgisch-filmästhetische Methode des Finnen Aki Kaurismäki erinnert, geraten die aberwitzigen nonverbalen Sabotageversuche im Mittelteil in die Nähe der verzögerten komischen Aktion/Reaktion-Katastrophen von Laurel & Hardy. Auch die Bewegung im Bild hält sich – wenn nicht gerade geprügelt oder jemand ins Wasser geschmissen wird – bewusst in Grenzen. Dafür sind die visuellen Motive wunderbar mit Bedeutung und Witz aufgeladen. Freydank gestaltet das unversöhnliche Treiben seiner einsilbigen, sturen „Fischköppe“ mit dem Stilmittel der Symmetrie. Rücken an Rücken sitzen die beiden nebeneinander – und keiner wagt es, sich dem anderen zuzuwenden. Die skurrile Wohnstätte der beiden besteht aus zwei spiegelbildlich gedoppelten Haushälften. Und auch die entscheidende Szene auf dem Boot, die die Versöhnung einläutet, ist eine Zwei-Kajüten-Sequenz, in der Paul Fiete belauscht und hört, wie der Schweigsame plötzlich munter auf die Überreste der verstorbenen Lili einredet: „Ich hab dich schon immer geliebt; genauso wie Paul dich geliebt hat.“
Foto: ZDF / Conny Klein
In der Theorie ist Freydank mit „Große Fische, kleine Fische“ eine gestalterisch sehr überzeugende TV-Komödie gelungen. In der Praxis allerdings muss man kleine Abstriche machen – besonders in Hinblick auf die mögliche Rezeption des Films. So prägnant und konzeptionell zielführend auch die prinzipielle Stilisierung des Films ist – sie erschwert gleichsam, dass man hinter diesen Döspaddeln „echte Menschen“ erkennen kann. Auch mit einem gebürtigen Mannheimer, der für die Zuschauer gefühlt ein Münchener ist, und einem Dortmunder, den viele Zuschauer noch dazu in Köln verorten, ist es nicht ganz leicht, den Authentizitätsnachweis zu erbringen. Da haben es die Filme Kaurismäkis freilich hierzulande leichter. Vielleicht hätte auch ein weniger bekanntes Gesicht als das von Deutschlands TV-Komödiennase Nummer 1, Uwe Ochsenknecht, dem Film noch besser getan (oder ist das vielleicht nur ein Problem des Kritikers, der alle Ochsenknecht-Komödien der letzten Jahre gesehen hat?). Seine Art, seine Rollen anzulegen, seine Manierismen kennt man – für diesen leisen Typus von Komödie könnte es Bessere geben. Wahrscheinlich wollte man beim ZDF die für den Normalzuschauer gewöhnungsbedürftige Erzählweise mit einem bekannten Komödiengesicht wettmachen. Dies freilich – das sei ausdrücklich betont – ist Kritik auf hohem Niveau. Keine Frage: Tempo und Timing stimmen! Auch gegenüber Dietmar Bär könnte es Popularitätsvorbehalte geben. Aber den hat man lange nicht in einer Komödie gesehen; außerdem sind er und Axel Stein als sein Filmsohn nicht nur physiognomisch eine Idealbesetzung. Theoretische Vorbehalte, ob denn dieses kauzige Personal und dieser Mut zur komischen Langsamkeit über 90 Minuten funktioniert oder nicht doch nur eine Kurzfilmidee (Freydank bekam für „Spielzeugland“ den Kurzfilm-„Oscar“) ist, haben sich indes rasch zerstreut. Vieles ist bei „Große Fische, kleine Fische“ Wahrnehmungssache. Bisschen Zeit sollte man als Zuschauer schon mitbringen – und genau hingucken lohnt sich auch.