Gottlos – Warum Menschen töten

Wegmann, Ronstedt, Koeberlin, Thomas Stiller. Freudlos, streng, beklemmend gut

Foto: RTL 2
Foto Tilmann P. Gangloff

RTL 2 zeigt mit seiner ersten Spielfilmproduktion seit zwanzig Jahren drei Chroniken unausweichlicher Mordfälle. Im Unterschied zum herkömmlichen Krimi erzählen die drei zum Teil namhaft besetzten Kurzfilme, die in ihrer Herangehensweise an die ZDF-Reihe „Verbrechen – nach Ferdinand von Schirach“ erinnern, die Vorgeschichten von Mordfällen. Autor-Regisseur Thomas Stiller hatte völlig freie Hand; die Fälle basieren auf authentischen Taten, die filmische Umsetzung ist für RTL-2-Verhältnisse angenehm zurückhaltend.

Am Anfang ist der Mord; so lautet das ungeschriebene Gesetz des klassischen Krimis. Die Reihe „Gottlos – Warum Menschen töten“ beginnt zwar ebenfalls mit der Tat, aber sie findet außerhalb des Bildes statt, es bleibt also erst mal offen, wer ermordet worden ist; und dann wird die Vorgeschichte erzählt. Damit unterscheidet sich „Gottlos“ natürlich grundlegend vom herkömmlichen Kriminalfilm, in dem die Suche nach Mord und Motiv im Mittelpunkt steht. Hier spielt die Überführung des Täters keinerlei Rolle. Die Filme enden, wie sie begonnen haben, und da man miterlebt hat, wie sich zumindest in den ersten beiden Geschichten ein immer größerer Druck aufgebaut hat, sind die Morde fast schon eine logische Konsequenz. Das Urteil wird in Form einer sachlichen Einblendung nachgereicht.

Ein derartiges Sujet ist mutig für einen Sender, dessen letzte fiktionale Eigenproduktion eine kleine Ewigkeit her ist: Dank des Thrillers „Der Sandmann“ vom heutigen Erfolgsproduzenten Nico Hofmann darf sich RTL 2 seit 1996 sogar mit einem Grimme-Preis schmücken; ansonsten steht der Sender für „Realtainment“-Formate wie „Frauentausch“, „Die Geissens“ und „Berlin – Tag & Nacht“. Mit der Reihe „Gottlos“ verbindet man den Anspruch, „aus dem Schubladendenken auszubrechen und neue Akzente zu setzen.“ Was das eigene Programm angeht, ist das mehr als gelungen. Für den Rest der deutschen Fernsehwelt ist das Konzept von „Gottlos“ allerdings nicht neu; das ZDF hat sich mit „Verbrechen“ (nach Kurzgeschichten des Strafverteidigers Ferdinand von Schirach) auch schon auf die Ereignisse konzentriert, die vor der Tat stattfanden. Das „Countdown“-Prinzip – Einstieg mit einem dramatischen Höhepunkt, dann Rückblende – ist ja ohnehin mittlerweile ein gängiges Thriller-Stilmittel.

Gottlos – Warum Menschen tötenFoto: RTL 2
Episode 1: Wildes Leben? Lisa (Sylta Fee Wegmann) und ihre Freundin Jenny (Isabel Thierauch)

Trotzdem gebührt dem Sender Respekt für die Reihe, selbst wenn (oder gerade weil) die Filme die Sehgewohnheiten des RTL2-Publikums mach Kräften konterkarieren. Thomas Stiller, als Autor für „Unter dem Eis“ (Regie: Aelrun Goette) 2007 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet, als Regisseur vor allem für den Krimi „12 Winter“ (2009) und das TV-Drama „Sie hat es verdient“ (2010) bekannt, hat die drei 45-Minüter zum Teil prominent besetzt, aber die Geschichten sind alles andere als gefällig. Umso erstaunlicher, dass RTL2 die Reihe mit „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“ beginnt; der Film ist auch dank der lauten Metal-Musik sehr aggressiv, wirkt unangenehm authentisch und ist der unbequemste Beitrag der Reihe. Die Geschichte könnte auch „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“ heißen: Die junge Mutter Lisa (Sylta Fee Wegmann) lebt mit ihrem Biker-Freund Frank (Antonio Wannek) eine Art Hassliebe in einer tristen Hartz-IV-Welt. Der Kerl kann zwar auch nett sein, aber meistens tyrannisiert und schlägt er seine Freundin. Irgendwann läuft das Fass über, und sie ersticht ihn mit einem Schraubenzieher. Gespielt ist das beklemmend gut, auch wenn Wannek wie ein Jürgen-Vogel-Double wirkt, aber der Film ist konsequent freudlos, zumal Lisa ihr Leben vor allem der Vernichtung von Alkohol widmet; entsprechend aussichtslos ist ein Intermezzo mit dem sanften Alex (Lasse Myhr), dessen Blümchensex sie ohnehin nicht befriedigt.

Auch „Der Polizist“ (22.2.) folgt der Dramaturgie „Tod dem Tyrannen“: Titelheld Joachim (Matthias Koeberlin) ist ein liebevoller Vater, freundlicher Nachbar und geschätzter Kollege. Irgendwann war der Oberkommissar sicher auch ein liebender Ehemann, aber das ist vorbei, denn Gattin Olivia (Jule Ronstedt) hat sich im Verlauf der zehn Ehejahre zu einer arroganten Ziege entwickelt, die Joachim ständig ihre Verachtung spüren lässt, seinen Beruf nicht ernst nimmt und ihn wie einen Lakaien behandelt, weil sie als erfolgreiche Karrierefrau deutlich mehr Geld nach Hause bringt als er. Sieht man davon ab, dass Olivia, die auch ihre Mitarbeiter wie Dreck behandelt, eine durch und durch unsympathische Person ist, hat Stiller im Grunde bloß die übliche Rollenverteilung getauscht; Jule Ronstedt wird sich gefreut haben, endlich mal eine ganz andere Rolle spielen zu dürfen. Als Olivia mit Hilfe eines Privatdetektivs (Torsten Michaelis) herausfindet, dass Joachim ein Verhältnis mit seiner neuen Kollegin (Nina Gnädig) hat, droht sie ihm an, sie werde sich von ihm trennen und dafür sorgen, dass er den kleinen Sohn nie wiedersieht, indem sie behauptet, er habe das Kind missbraucht.

Gottlos – Warum Menschen tötenFoto: RTL 2
Episode 3 von „Gottlos“: Dicke Luft zwischen Holger (Ralph Herforth) und Sohn Torben (Johannes Franke)

Während die ersten beiden Filme in Taten kulminieren, die Stiller als derart unausweichlich schildert, dass die Täter beim Publikum mit einem moralischen Freispruch rechnen können, sind die Morde in „Auslöschung“ das Ergebnis eines kaltblütig ausgeführten Plans. Auch hier gibt es einen humorlosen Vater (Ralph Herforth), der seine vierköpfige Familie recht patriarchalisch führt, doch eine plausible und nachvollziehbare Erklärung dafür, warum der eigentlich harmlos und sympathisch wirkende erwachsene Sohn (Franke) gemeinsam mit einem Freund die Eltern und den Bruder tötet, bleibt das Drehbuch schuldig. Da die Beiträge auf wahren Begebenheiten beruhen, wird es sich wohl so zugetragen haben. Die Reihe orientiert sich zwar an einem niederländischen Vorbild, aber die Bücher basieren auf deutschen Fällen. Bei der Zeichnung der Charaktere ließ sich Stiller, der bei der Entwicklung und Umsetzung ausdrücklich völlig freie Hand hatte, durch eine Rechtspsychologin unterstützen.

Der jeweilige Einstieg mit der Tat, auf die es nur einen blutigen Hinweis gibt, ist den holländischen Vorbildern nachempfunden. Stiller hat seine Filme um ein abschließendes Element bereichert: Am Ende gibt es noch mal einen Schnelldurchlauf, unterlegt von einem mit Kalkül ausgewählten Song (im dritten Film zum Beispiel Leonard Cohens „Hallelujah“ in der Version von Rufus Wainwright); zur Ermordung der mit einem Spaten erschlagenen Polizistengattin singt Elvis Presley „Love Me Tender“. Die Bildgestaltung (Marc Liesendahl) ist dagegen deutlich zurückhaltender. Die Kamera ist stets starr, es gibt gerade bei den vielen Innenaufnahmen praktisch keine Zooms oder Schwenks. Dieser Stil steht nicht nur im Gegensatz zu anderen Fernsehfilmen, in denen derzeit alles fließen muss, er lässt die drei Produktionen auch klassisch streng bis nüchtern wirken; der optische Kontrast zum spekulativen blutgetränkten Vorspann könnte kaum größer sein. (Text-Stand: 12.2.2016)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

RTL 2

Mit (1): Sylta Fee Wegmann, Antonio Wannek, Lasse Myhr; (2): Jule Ronstedt, Matthias Koeberlin, Nina Gnädig; (3): Sabine Vitua, Ralph Herforth, Francois Goeske

Kamera: Marc Liesendahl

Szenenbild: Ludwig Schlepegrell

Kostümbild: Jürgen Knoll

Schnitt: William James

Produktionsfirma: Conradfilm, Bavaria Fernsehproduktion

Produktion: Marc Conrad, Maren Knieling

Drehbuch: Thomas Stiller

Regie: Thomas Stiller

Quote: 0,93 Mio. Zuschauer

EA: 15.02.2016 20:15 Uhr | RTL 2

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach