Goster

Bruno Cathomas, Julia Riedler, Didi Danquart, Busch. Rätselhaft & urkomisch

Foto: HR / Katrin Denkewitz
Foto Thomas Gehringer

So fantasievoll und unberechenbar wie in „Goster“ geht es selten zu im deutschen Fernsehen: Der verschrobene Frankfurter Kommissar Goster & seine zeichnerisch begabte Kollegin Klost werden mit einer verrückten Verbrechensserie konfrontiert. Schießwütige Waffen machen sich selbständig, Menschen treffen sich zum „Break-in-Sex“ in fremden Wohnungen. Didi Danquart inszeniert mit vielen Animationen eine Film-Realität, die nicht realistisch sein will. Gewalt und Sex als Comic, garniert mit philosophischen Dialogen, ein existenzialistischer Schabernack, lässig & ironisch statt intellektuell belehrend. Cathomas & Riedler sind ein wunderbares Duo. Es mangelt ja nicht an Krimis, aber für „Goster“ gilt: bitte mehr!

Viele Leichen, zwei unorthodoxe Ermittler & ein leeres Zimmer
Goster ist Hauptkommissar, und, ja, ein „Thriller“, wie der HR behauptet, ist dieser Film auch irgendwie. Jedenfalls gibt es zahlreiche Leichen und zumindest einen richtigen Fall, in dem Goster (Bruno Cathomas) und die junge Polizistin Hannelore Klost (Julia Riedler) ermitteln. Ein toter, fast nackter Mann liegt im Garten, hinter seinem Ohr steckt eine Blume. Er könnte herabgestoßen worden sein, und da niemand das Haus verlassen hat, nähern sich Goster und ein anderer Polizist vorsichtig. Als sie mit gezückten Waffen vor der geschlossenen Tür stehen, fällt ein Schuss, der Polizist bricht getroffen zusammen, Goster fasst sich ans Herz und sinkt ebenfalls zu Boden. Die Tür hat jetzt ein lichtdurchflutetes Guckloch, doch als Klost und weitere Beamte kurz darauf eintreffen, ist das Zimmer hinter der Tür leer – bis auf eine am Boden liegende Pistole. Und weit und breit keine Spur eines flüchtigen Schützen.

GosterFoto: HR / Katrin Denkewitz
Ein Fenstersturz, ein leeres Zimmer, eine schöne Frau aus Norwegen (Lise Risom Olsen) und diese verdammte Pistole, die von selber losgegangen sein soll…

Gewalt und Sex in der Comic-Ästhetik von FuFu Frauenwahl
Bevor aber Missverständnisse aufkommen: „Goster“ (nach einer Novelle von Gerhard Zahner) ist eigentlich kein Krimi, jedenfalls keiner, der ins Korsett einer der zahlreich existierenden TV-Reihen passen würde. Der Film von Markus Busch (Drehbuch) und Didi Danquart (Regie) ist ein weiteres Beispiel dafür, wie fantasievoll die von Liane Jessen geleitete Redaktion des HR mit dem üblichen Krimi-Inventar spielt. Wie schon bei manchem „Tatort“ mit Kommissar Murot (Ulrich Tukur) werden die Zuschauer mit einer Film-Realität konfrontiert, die nicht realistisch sein will. Noch bevor der Vorspann läuft, hat Goster ein Loch in den Mond geschossen. Blut tropft heraus. Danquart setzt auf zahlreiche Animationen in ausgesprochen ansehnlicher Zeichen-Ästhetik (FuFu Frauenwahl), wodurch nicht zuletzt Gewalt- & Sex-Darstellungen comicartig verfremdet werden. Klasse auch die Idee, wie hier Ermittlungs-Ergebnisse präsentiert werden. In „normalen“ Krimis führt das häufig zu ermüdenden Dialogen, hier legt Klost ihrem Chef gleichzeitig Bleistift-Zeichnungen vor.

Johann Feindts Kamera zeigt ein entrücktes Frankfurt
Daneben experimentiert der Regisseur noch mit anderen visuellen Stil-Mitteln: zum Beispiel mit Rückblenden, die in postkartenartigen Fernstern eingeblendet werden, sowie weiteren Bild-im-Bild- oder Splitscreen-Lösungen. Auch das Licht und und die zum Teil auffälligen Kostüme sorgen für eine spielerisch-surreale Note. Zugleich erzählen die Kamera-Bilder von Johann Feindt eher von einem bodenständigen, auch mal düsteren Frankfurt. Goster geht regelmäßig bei einem schummrigen Italiener Essen oder hockt sich mit seiner Putzfrau Ayse (Siir Eloglu) zu philosophischen Gesprächen auf die Treppe des Hausflurs. Seine Wohnung ist ein ziemlicher Müllhaufen, aber als der Kommissar tanzt, wandelt sich sein Zuhause in einen gemütlichen, in warmes Licht getauchten Ort. Schön auch der entrückte Blick auf die Skyline der fleißigen Bankenmetropole, während Goster sich in seiner Freizeit faul auf den Rasen fläzt. Von diesem Park aus hat man einen weiten Blick über Frankfurt, aber der Kommissar hat nur Augen für die schöne Blondine, die ihn zu verfolgen scheint. Dass Liz Hand (Lise Risom Olsen) dem Kommissar nachstellt, hat natürlich mit dem skurrilen Fall zu tun.

GosterFoto: HR / Katrin Denkewitz
Nichts Schlüpfriges: alter Kommissar (Bruno Cathomas) und junge Assistentin (Julia Riedler). Extravaganter Look und die Frage, wer zahlt heute.

Gosters Welt ist rätselhaft und urkomisch
Eigenwillig wie die Bildgestaltung sind auch Geschichte und Figuren. Dass mal eine Waffe von selbst losgeht, kann passieren. Hier aber scheinen sie gezielt zu morden, in einer Rotlicht-Kaschemme richten automatische Waffen sogar ein Blutbad mit mehreren Toten an. Bei „Goster“ ist das Anlass, über die „Autonomie der Dinge“ nachzudenken. So jedenfalls lautet die Arbeit, an der Ayses studierender Sohn gerade schreibt. Seine These: Wenn immer mehr Menschen Waffen haben, müssten sie immer schneller schießen. „Und das schneller Schießen wird immer schneller, bis die Waffen von selbst schießen“, klärt Ayse Goster auf. Nun folgt keine ausgetüftelte Geschichte über fremdgesteuerte Waffen oder künstliche Intelligenz. Es bleibt bei dem hintersinnigen Spaß, der grotesken Realität mit philosophischem Schabernack zu begegnen. Das gelingt mal mehr, mal weniger originell. Auch manch kalenderspruchartige Weisheit ist dabei. Aber intellektuell belehrend geht es nicht wirklich zu, eher – passend zur visuellen & musikalischen Gestaltung – lässig-ironisch. Goster schlummert im Park über der Lektüre von Nietzsches „Jenseits von Gut und Böse“ ein. Stellvertretend für uns (Männer) stellt er die einfachen Fragen: „Wie findet man heraus, was eine Frau von einem Mann will?“ Antworten sucht er nicht nur bei der Polizeipsychologin (Anna Stieblich), sondern auch bei der Verkäuferin im Bio-Laden. Und natürlich bei Ayse. Gosters Welt ist eine schillernde Mixtur. Es geht darin verschwurbelt, rätselhaft, urkomisch zu. Nicht zuletzt dank Bruno Cathomas, der immer ein bisschen wie ein aus der Zeit gefallenes, großes Kind wirkt.

GosterFoto: HR / Katrin Denkewitz
Riedler ist Klost. Ein bisschen vom Kino träumen darf erlaubt sein, jedenfalls dann, wenn die ARD den Film nicht zur Primetime, sondern um 23 Uhr programmiert. Dass der Film nicht einmal in der Mediathek eine zweite Ausstrahlung bekommt, ist eine Ohrfeige für die Intellektuellen, die noch öffentlich-rechtliches Fernsehen gucken und genauso Rundfunkgebühren bezahlen wie die krimisüchtigen Rentner. Oder sollen die, die es weniger mainstreamig mögen, sich etwa auch noch ARD Plus zulegen?!

Hannelore Klost und die Abenteuerlust vor dem Eheleben
Hannelore Klost ist eine selbstbewusste, eigenständige, kluge junge Polizistin, die Gefallen an der Arbeit und ein bisschen auch an ihrem älteren Chef findet. Da ist gegenseitige Sympathie, aber nichts Schlüpfriges. Zugleich wird sie von dem Fall zu einer gewissen Abenteuerlust vor dem geregelten Eheleben mit einem Installateur angeregt. Der aus dem Fenster gestürzte Tote gehörte zu einer Szene, die die Leidenschaft für „Break-in-Sex“ teilt: Paare brechen in Wohnungen ein und haben Sex in fremden Betten. Zum Beweis werden Fotos für die sozialen Netzwerke gemacht, manchmal werden Botschaften oder Geschenke hinterlassen. Hannelore würde gerne in der Szene recherchieren, wohl auch weil sie dem sexuellen Kick nicht abgeneigt ist. Julia Riedler spielt diese Figur erfrischend und souverän – und vermutlich wäre ihr das auch gelungen, wenn man sie nicht fortwährend in kurze Röcke gesteckt hätte.

Albert Camus, der Vollmond und die Frage nach dem Sendeplatz
Das Grund-Thema dieser, sagen wir, existenzialistischen Krimi-Komödie sind also insbesondere die Beziehungen der Geschlechter, die Leidenschaft, der Sex. „Es gibt kein süßeres Gift als die Sehnsucht nach Vereinigung“, wird Albert Camus zu Beginn zitiert, während der Vollmond romantisch das Bild füllt und im Hintergrund eine Polizeisirene zu hören ist. Zugegeben, „Goster“ neigt bisweilen zu philosophischer Geschwätzigkeit, und der Film berauscht sich in seiner üppigen Formensprache auch ein wenig an sich selbst, aber so fantasievoll und unberechenbar geht es selten zu im deutschen Fernsehen. Das Publikum, falls es sich auf den besonderen Ton der Inszenierung einlassen mag, wird auf ausgesprochen unterhaltsame Weise irritiert. Einen erkennbaren Grund, warum die ARD diesen Film nicht zur Primetime am Mittwochabend, dem Sendeplatz für anspruchsvolle Fernsehfilme, sondern dienstags erst nach den „Tagesthemen“ zeigt, gibt es übrigens nicht. Außer man möchte sein Publikum dann lieber doch nicht zu sehr irritieren. (Text-Stand: 17.4.2017)

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Fernsehfilm

HR

Mit Bruno Cathomas, Julia Riedler, Lise Risom Olsen, Siir Eloglu, Anna Stieblich, André Szymanski, Luc Feit, Mirco Kreibich

Kamera: Johann Feindt

Szenenbild: Theresia Anna Ficus Comics: FuFu Frauenwahl

Kostüm: Monika Gebauer

Schnitt: Ulrike Hano

Musik: Cornelius Schwehr

Produktionsfirma: Hessischer Rundfunk

Drehbuch: Markus Busch, Didi Danquart

Regie: Didi Danquart

Quote: 440.000 Zuschauer (3,7% MA)

EA: 16.05.2017 22:45 Uhr | ARD

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