Gloria, die schönste Kuh meiner Schwester

Manzel, Prahl, Ingo Rasper. Landflucht, dörflicher Alltag und ein paar Gefühle

Foto: Degeto / Frédéric Batier
Foto Rainer Tittelbach

Bäuerin Jutta scheint mit sich und ihrem Leben im Einklang zu sein. Solange ihre Preis-Kuh Gloria jeden Schönheitswettbewerb gewinnt, ist ohnehin für diese Frau die Welt in Ordnung. Doch mögliche Veränderungen zeichnen sich ab, als ihr Bruder zu Besuch kommt und sie sich noch einmal verliebt. Die Geschichte von „Gloria, die schönste Kuh meiner Schwester“ (ARD/Provobis) ist dem Rhythmus des dörflichen Alltags abgelauscht. Kleine undramatische Situationen, in denen sich die Probleme der modernen Landwirtschaft oder die Verödung ländlicher Gegenden spiegeln, ersetzen ein durchgängiges Thema, zwischenmenschliche Spannungen dominieren über einen Hauptkonflikt. Klug legt Ingo Rasper die unterschwelligen Beziehungsmuster der familiären Vorgeschichte als Grundierung unter der Handlung aus, und das Klasse-Duo Manzel/Prahl macht das Geschwisterverhältnis zum Kern der Geschichte. Toll auch, wie Rasper aus dem ländlichen Kommunikationsstil seine Dramaturgie entwickelt.

Bäuerin Jutta (Dagmar Manzel) scheint mit sich und ihrem Leben im Einklang zu sein. Dabei ist unlängst erst ihr Vater gestorben, was bedeutet, sie muss den Hof nun allein bewirtschaften, denn ihre Söhne sind in der Fremde und ihr Ex (Uwe Rohde) wohnt zwar noch im Dorf, hat sein Leben allerdings dem Alkohol verschrieben. Solange ihre Preis-Kuh Gloria jeden Schönheitswettbewerb gewinnt, ist ohnehin für diese Frau die Welt in Ordnung. Gerade ist Gloria mal wieder zur schönsten Kuh Brandenburgs gewählt worden. Doch mögliche Veränderungen zeichnen sich ab im Leben dieser Frau, die nur zu gut weiß und immer wusste, was sie will. Ihr jüngerer Brüder Thomas (Axel Prahl) kann ein Lied davon singen. Ihn zog es in die Welt, er wurde Flugpilot – und nun ist er mal wieder für ein paar Tage zurück in der alten Heimat. Doch irgendwas verschweigt er seiner Schwester und auch deren Freundin Brigitta (Anne-Kathrin Gummich), die wie schon vor Jahrzehnten noch immer ein Auge auf Thomas geworfen hat. Und dann ist da noch Gerd (Max Hopp), Futtervertreter und Strahlemann, der überall mit seinem Campingmobil auftaucht und der Jutta, diesem Arbeitstier, mit seinem lockeren Lebensstil durchaus zu imponieren weiß.

Gloria, die schönste Kuh meiner SchwesterFoto: Degeto / Frédéric Batier
Stimmungsbild aus der Pampa. Bräunungsstudio statt Bäckerei – Landflucht kann auch absurde Züge tragen. Vor allem der Kommunikationsstil & die Charaktere sind stimmig. Großartige tragende Nebenrolle für Anne-Kathrin Gummich. Dagmar Manzel

Die Geschichte von „Gloria, die schönste Kuh meiner Schwester“ ist dem bäurischen Tagwerk und dem Rhythmus des dörflichen Alltags abgelauscht. Kleine undramatische Situationen, in denen sich die Probleme der modernen Landwirtschaft oder die Verödung ländlicher Gegenden spiegeln, ersetzen ein durchgängiges Thema, latente zwischenmenschliche Spannungen dominieren über einen Hauptkonflikt. Realistisch werden auch Landschaft und Natur integriert in die Geschichte, tauchen (wilde) Tiere auf, sind die Bilder näher an einer Dokumentation als am „Herzkino“-TV. Und dann ist da die heimatverbundene Heldin, der ihr Hof alles bedeutet, und da ist ihr Bruder, der aus gutem Grund früh das Weite gesucht hat, weil er erkannte, auf dem Land nicht der sein zu können, der er sein wollte. Zwar sind die Geschwister in ihren Streitgesprächen, die es schon immer zwischen ihnen gegeben hat, recht bald beim lieben Geld angelangt (so interessiert sich der Bruder auffallend für das Testament des Vaters oder für den möglichen Verkaufswert des Bauernhofs), aber gleichzeitig spürt man die tiefe Verbundenheit der beiden. Rasch ist man auf Hundert, vor allem Jutta kann ziemlich biestig sein, aber ebenso schnell regen sich beide wieder ab. Während eines dieser Dispute fällt Jutta die Treppe runter; zu einer jener typischen Filmversöhnungen im Unglück kommt es aber zunächst nicht: „Bleib mir von der Pelle“, schimpft die Schwester, schmollt weiter und lässt sich nach einem Bänderriss erst nach und nach die Arbeit von ihrem Bruder abnehmen. Jutta bekommt fast immer, was sie will, auch in der Beziehung zu ihrem Bruder und selbst noch in einer Notlage. Thomas „darf“ helfen, wird aber sein schlechtes Gewissen nicht los.

Gloria, die schönste Kuh meiner SchwesterFoto: Degeto / Frédéric Batier
Die Wiederbegegnung von Schwester (Dagmar Manzel) und Bruder (Axel Prahl), die deutlich macht, was für Töne Ingo Raspers lebenskluge ARD-Dramödie „Gloria, die schönste Kuh meiner Schwester“ anschlägt. Aber auch der Witz kommt nicht zu kurz.

Jutta und Thomas sind also nicht nur ein ungleiches Geschwisterpaar, was ihre Lebenswege angeht, es sind auch zwei Charaktere, die von ihrem Wesen unterschiedlicher nicht sein könnten. Oder lag es vielleicht an der Dynamik der Familienkonstellation, dass Jutta, die etwas Ältere, im Gegensatz zu ihrem Bruder ihren Willen immer resolut umzusetzen verstand? Thomas hingegen ist auch heute noch der, der häufig von Schamgefühlen überwältigt wird und heftiges Muffensausen bekommt, sobald er mal wieder etwas verbockt hat und die große Schwester es herauskriegen könnte. Weil er bei Auseinandersetzungen mit ihr keine Chance hat und nie hatte, versucht er es immer wieder auf die heimliche Tour. An seinem Leben ließ er seine Ursprungsfamilie nie teilhaben. Und dass er jetzt mit dem vermeintlichen Erzfeind der kleinen Bauern, dem Großinvestor Klotzberg, hinter dem Rücken seiner Schwester Kontakt aufnimmt, ist Gift für den Familienfrieden und sagt gleichsam etwas aus über die verzweifelte Lage, in der sich der Bruder befindet. Am Ende aber ist Blut dicker als Wasser. Das alles wird in „Gloria, die schönste Kuh meiner Schwester“ nicht groß verhandelt, es schwingt einfach mit, wird indirekt Thema, weil Autor-Regisseur Ingo Rasper („Besuch für Emma“) die unterschwelligen Beziehungsmuster der familiären Vorgeschichte quasi als Grundierung unter der Handlung auslegt und weil die Ausnahmeschauspieler Dagmar Manzel und Axel Prahl sie wie selbstverständlich zum emotionalen Kern der Geschichte machen. Beispielhaft ist gleich ihre erste Begegnung: Der heimgekehrte Thomas sitzt am Klavier und spielt, Jutta kommt dazu, Überraschung und Freude halten sich in Grenzen, sie reden erstmal nicht, sondern klimpern ein bisschen zusammen. Eine schöne Metapher: Sie mögen sich  mit Abstand.

Es ist aber nicht nur die Geschwisterbeziehung, die Ingo Rasper zwischentonreich erzählt, auch das Leben auf dem Lande vermittelt sich dem Zuschauerblick äußerst nuanciert und authentisch – dabei strebt der Autor-Regisseur aber weniger ein Abbild der Realität an, sondern setzt auf Reduktion und dezente Überhöhung. Die Wahrhaftigkeit steckt auch wie bei der Interaktion der Hauptfiguren im Umgang miteinander. In dieser Dramödie gibt es keine (bösen) Gegenspieler, allein im Dialog wird Großinvestor Klotzberg zum Buhmann. Ansonsten gibt es allenfalls Mitmenschen, die anders ticken als man selbst und auch schon mal gehörig nerven können. Jutta weiß ihre „Freundinnen“ im Dorf zu nehmen, wie sie sind. Kleine Miniaturen nachbarschaftlicher Belanglosigkeiten oder dörflichen Streits sind die Gespräche zwischen Jutta und Brigitta (ein echte Type: Anne-Kathrin Gummich), die Besitzerin von Brittas Bräunungs-Boutique, in der sie selbst offenbar ihre beste Kundin ist. Ein Schlichtungsgespräch bringt zwar kein wirkliches Ergebnis („Warum kommste zu mir? Will‘ste ‘ne Genehmigung? Soll ich dir ‘nen Stempel geben?“), aber natürlich kündigt man sich hier nicht die Freundschaft auf, wohl wissend, dass sonst am Ende jeder wohl nur noch mit einem Vierbeiner reden würde. Das macht Jutta ja sowieso schon. Und obwohl Thomas darüber anfangs hinwegschmunzelt, sieht auch er sich irgendwann in vertrauter Zwiesprache mit der schönsten Kuh Brandenburgs. Zum Kommunikationsstil gehört offenbar auch, dass manche Männer über die Köpfe ihrer Frauen hinweg entscheiden. Typisch auch: dass man nicht miteinander redet, nicht das Für und Wider zum Beispiel eines Hofverkaufs abwägt und miteinander diskutiert. Das ist offenbar nicht Landwirt-Art. Denn dafür braucht man Zeit, und Bauern haben keine. Die Dramaturgie also entwickelt Rasper aus einem ländlichen Kommunikationsstil, der in sich stimmig wirkt. „Gloria, die schönste Kuh meiner Schwester“ mag auf den ersten Blick „nur“ eine unterhaltsame, angenehm undramatische, mitreißend gespielte Heimat-Dramödie sein; auf den zweiten Blick ist der Film einiges mehr.

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Dagmar Manzel, Axel Prahl, Max Hopp, Anne-Kathrin Gummich, André M. Hennicke, Matthias Freihof, Nadine Wrietz, Uwe Rohde, Rainer Sellien

Kamera: Andreas Höfer

Szenenbild: Olaf Schiefner

Kostüm: Petra Wellenstein

Schnitt: Nicola Undritz

Musik: Phillip Feneberg.

Soundtrack: Them („Gloria“)

Redaktion: Katja Kirchen, Stefan Kruppa

Produktionsfirma: Provobis

Produktion: Jens C. Susa

Drehbuch: Ingo Rasper

Regie: Ingo Rasper

Quote: 4,44 Mio. Zuschauer (15,5% MA); Wh. (2021): 2,98 Mio. (11,6% MA)

EA: 27.09.2019 20:15 Uhr | ARD

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